Dilemma der Stromversorger
26. April 2008In Deutschland sind nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) für die nächsten sechs Jahre 24 Kohlekraftwerke geplant oder bereits im Bau. Bei Umweltschützern stoßen diese Pläne auf Kritik. Die Kraftwerke gelten wegen ihres hohen Ausstoßes an Kohlendioxid als Klimakiller oder sind als Dinosaurier-Technologie verschrien. Auch neuere Kohlekraftwerke schneiden bei der Umweltbilanz schlecht ab - verglichen mit Kraftwerken, die aus erneuerbaren Energien gespeist werden. Doch die deutschen Energieversorger planen für die nächsten fünf Jahre nur drei Wind- und zwei Solarkraftwerke.
Angesichts dieser Planungen ist fraglich, wie die ambitionierten Klimaziele der deutschen Bundesregierung erreicht werden sollen. Im April 2007 kündigte Umweltminister Sigmar Gabriel an, Deutschlands Treibhausgasausstoß solle bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent (270 Millionen Tonnen) sinken. Dieses Wort gilt bis heute.
Was soll den Atomstrom ersetzen?
Die Klimaziele stellen die großen deutschen Stromhersteller wie E.ON, RWE und EnBW vor ein Dilemma: Atomstrom soll es vom Jahr 2022 an nicht mehr geben. Er soll durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Doch der Bau und Betrieb von entsprechenden Kraftwerken ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht wenig lohnend. Kohle bietet deshalb eine lukrative Alternative. Zumal sie gegenüber Öl und Erdgas den großen Vorteil langfristig sicherer Reserven bietet. Diese reichen Schätzungen zufolge noch für 200 Jahre, Öl und Erdgas dagegen wohl nur noch für 50 Jahre.
Gegen den Kohle-Boom nimmt der Widerstand jedoch zu. So haben Bürgerproteste Ende 2007 dafür gesorgt, dass RWE den Bau einer 1600-Megawatt-Anlage im Saarland absagte. Auch im Ostseebad Lubmin, in Mainz, Krefeld und Hamburg widersetzen sich die Menschen Neubauplänen. Von einer "Anti-Kohle-Bewegung" spricht WWF-Klimaexperte Brick Medack bereits. "Ich will sie nicht mit der Anti-Atomkraftbewegung in den 80er-Jahren vergleichen, aber es gibt ein neues Bewusstsein gegen Kohlekraftwerke. Die Leute fühlen sich gestört, weil sie vor Ort diese Dreckschleudern sehen, die die Umwelt verschmutzen, und weil Klimawandel mit Kohle nicht einhergeht."
Standort-Bedrohung
Stephan Kohler von der Deutschen Energie-Agentur sieht diese Proteste nach eigenen Worten bereits als Bedrohung, eine ausreichende Energieversorgung für Deutschland bereitzustellen.
Führende Politiker in Deutschland sehen das ähnlich. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Michael Glos fordern ein Festhalten an der Kohlekraft, weil ohne sie Deutschlands Energiesicherheit in Gefahr gerate. Selbst Gabriel hat den Bau neuer Kohlekraftwerke verteidigt und deren Gegnern vorgeworfen, sie setzten die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands aufs Spiel. "Es geht um das Zentrum unserer Industriegesellschaft", sagte er dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Mit ihrem Widerstand gegen neue Kohlekraftwerke leisteten Umweltverbände längeren Laufzeiten von Atomkraftwerken Vorschub. Der Bau neuer Kohlekraftwerke sei mit der Klimaschutzpolitik der Regierung vereinbar. "Wir können zusätzlich zu den im Bau befindlichen Kohlekraftwerken noch zehn Anlagen bauen, ohne die Klimaziele zu gefährden", sagte der Minister. Diese Grenze dürfte jedoch den Zahlen des BDEW zufolge schon im Jahr 2014 überschritten werden. Was dann?
Prioritäten setzen
Kohler hat angesichts dieses Dilemmas aus Klima- und Umweltschutz einerseits sowie Energiesicherheit andererseits eine Prioritätenliste aufgestellt. Ganz oben stehe darauf der Ausstieg aus dem Atomstrom. Dieser sei einfach zu gefährlich. Und wenn man ohne ihn keine Versorgungslücke in Deutschland in Kauf nehmen wolle, komme man auf absehbare Zeit an Kohlekraftwerken nicht vorbei. Das müsse jedoch, räumt Kohler ein, in der Bevölkerung erst noch ankommen.