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Politik

Das Dilemma der Türkei in Syrien

Diana Hodali
30. Januar 2018

Die Türkei will ein Vorrücken der syrischen Armee verhindern, ist aber in Afrin womöglich auf sie angewiesen. Kristian Brakel von der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul hält die Strategie der Türkei für unrealistisch.

Türkei Panzer werden zur Grenze mit Syrien transportiert
Bild: Getty Images/AFP/O. Kose

Es mehren sich die Berichte, dass ein türkischer bewaffneter Konvoi auf dem Weg ins strategisch wichtige Al-Eis vordringen wollte und dann entweder von syrischer Artillerie oder durch russisches Bombardement daran gehindert wurde. Was wissen Sie darüber?

Kristian Brakel: Gesichert ist, dass es einen türkischen Konvoi gab, der in der Nacht in Idlib zu den Frontlinien vorstoßen sollte. Vermutlich, um dort die Front gegen die anrückende syrische Armee zu verstärken. Dieser Konvoi wurde gestoppt, nachdem die russische Luftwaffe Bombardierungen in der Nähe des Konvois vorgenommen hat. Ob das geschehen ist, um den Konvoi zu stoppen, ob das ein Zufall war oder ob der Konvoi inzwischen weiter gefahren ist - all das wissen wir nicht.

Warum will die Türkei nach Idlib vorrücken, in eine der letzten Bastionen der Oppositionellen und Rebellen?

Es gibt ja eine Offensive der syrischen Armee auf Idlib. Die Türkei hat ein Interesse daran, dass die syrische Armee diese Enklave nicht weiter einnehmen kann. Denn sie ist eine der wenigen Enklaven, die im Norden noch von Rebellenverbänden gehalten wird, mit denen die Türkei zum Teil verbündet ist. Die Türkei hofft, dass diese Gebiete als Verhandlungsmasse auf dem Tisch bleiben, wenn es um die Friedensverhandlungen in Sotschi geht.

Wieso hat Russland Erdogans Armee überhaupt erst vordringen lassen?

Das ist ja ein komplett durch Rebellen gehaltenes Gebiet. Es ist kein Gebiet, das von der syrischen Armee oder von den Russen kontrolliert wird. Und es ist das Gebiet, das auch in die sogenannte Deeskalationszone fällt, die die verschiedenen Kräfte - Russland, Iran und die Türkei - miteinander vereinbart haben. Die Zone um Idlib herum ist eben die Zone, für die die Türken zuständig sind, um Rebellengruppen von Angriffen auf Assads Armee abzuhalten. In dieser Zone gewährt Russland der Türkei Bewegungsfreiheit.

Kristian Brakel ist Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in IstanbulBild: Heinrich-Böll-Stiftung/S. Röhl

Einerseits hält Russland die Türkei vom Vordringen auf Idlib ab, obwohl es in der türkischen Zone liegt, andererseits haben sie sie in die Region um Afrin durchgelassen. Wie passt das zusammen?

Russland hat ein Interesse daran, diesen Konflikt zu einem Ende zu bringen - natürlich zu seinen Bedingungen. Es geht auch darum, das Regime dazu zu kriegen, sich auf einen Deal einzulassen, der langfristig das Überleben des syrischen Regimes sichert - nicht unbedingt das von Assad.

Die Russen haben ja Anfang letzten Jahres den Entwurf für eine neue Verfassung vorgelegt, der eben auch vorsieht, dass der syrische Zentralstaat weiter existiert, aber eben mit einer Autonomie für bestimme Regionen. Aber was man natürlich nicht möchte, ist, dass sich - wie in den letzten Monaten geschehen - die syrische Partei der Kurden PYD an die amerikanische Führung anschmiegt.

Das, was die Russen den Kurden angeboten hatten, kann im russischen Interesse sein: Rückzug aus der Region, aber das syrische Regime kann die Region verstärken und gegebenenfalls mit eigenen Truppen den türkischen Angriff abwenden. Man möchte sich die Kurden gewogen halten. Und man möchte nicht, dass sie übermütig werden und sich lieber von den Amerikanern trainieren und gegebenenfalls einsetzen lassen.

Dann ist der Plan ja schon aufgegangen, denn die Kurden haben Assad schon um Schutz und Hilfe gebeten?

Das gilt jetzt für Afrin. Ich glaube auch, dass es im Interesse der Russen ist, dass diese Offensive nicht mehr ewig weiter läuft. Aber man hat ja offensichtlich den Türken in irgendeiner Form nachgegeben, um Konzessionen in Sotschi zu erreichen. Ob das erfolgreich war oder nicht, kann ich nicht sagen, ich weiß nicht, was hinter den Kulissen passiert ist. Es gibt offensichtlich schon den Willen, die Türkei an sich zu binden oder sie zumindest in ein stabiles Übereinkommen mit einzubeziehen, weil man weiß, dass ein Großteil der Rebellenverbände aus der Türkei heraus operiert.

Das heißt, die Türkei bekäme, was sie will und verhindert einen Kurdenstaat in Syrien?

Russland hat ja lange mit der syrischen Kurdenpartei PYD zusammengearbeitet - auch als Balance gegen die Türkei und als mögliche Pufferzone gegen andere vorrückende Rebellenverbände. Man möchte nicht, dass die Kurden sich als rein amerikanische Stellvertreter-Armee verstehen. Bisher hatte Russland durchaus ein Interesse an einer gewissen kurdischen Selbstverwaltung. Aber noch ist man nicht so erfolgreich gewesen, das gegen das Assad-Regime durchzusetzen. Russland ist offensichtlich noch immer nicht in einer Position, wo es dem Regime alles vorschreiben und diktieren kann - schon allein, weil es sich auch mit dem Iran arrangieren muss. Und der Iran hat ganz sicher kein Interesse an einer kurdischen Autonomie.

Die Türkei ist NATO-Mitglied, sie nutzt Leopard-Panzer aus Deutschland, sie hat radikale islamische Kräfte an sich gebunden beim Kampf in Syrien. Wieso hält der Westen sich beim Vorgehen der Türken so zurück?

Die Amerikaner sind präsent. Aber die anderen NATO-Staaten haben einfach nicht besonders viel zu melden bei dieser Offensive. Im Prinzip haben die meisten westlichen Staaten - mittlerweile auch die Amerikaner unter Präsident Trump - sich aus diesem syrischen Konflikt weitestgehend hinausgezogen, was einen politischen Fahrplan angeht. Es ist zum Beispiel der EU über die Jahre nie gelungen, eine Syrien-Strategie zu entwickeln. Auch bei den Amerikanern hat sich die Strategie größtenteils auf die Bekämpfung des "Islamischen Staates" beschränkt und eine halbherzige Unterstützung von Rebellen.

Ich glaube, der Westen ist, was Syrien angeht, eine ziemliche Leerstelle. Das machen andere unter sich aus und da bleibt der NATO nicht viel übrig. Das Interesse der NATO ist, die Kohärenz der Allianz zu bewahren - soweit es geht. Aber das ist natürlich schwierig mit einer Türkei, wie sie sich aktuell verhält.

Damit spielt man doch auch Russland wieder in die Hände, das sicher gerne eine Spaltung zwischen der NATO und der Türkei sähe?

Ich glaube, die große Angst der NATO ist es, dass man sich zu sehr mit der Türkei entzweit und das unter Umständen dazu führt, dass die Türken einen Kampf mit den Amerikanern in der Region um Manbidsch provozieren. Das würde Russland noch viel mehr nutzen.

Glauben Sie denn, dass Präsident Erdogan Flüchtlinge in das Gebiet um Afrin zurückschicken würde, wenn es zu einem Deal käme?

Das hat er auf jeden Fall schon angedeutet. Es gibt bereits seit längerer Zeit große Flüchtlingslager auf der syrischen Seite an der türkischen Grenze: Menschen, die nicht mehr in die Türkei reinkommen. Erdogan sagt immer, man wolle Afrin nicht erobern, sondern das solle ein Ort sein für Syrer in und nahe der Türkei, die die Region wieder aufbauen können. Das ist sehr euphemistisch formuliert.

Und das Ganze passiert dann unter der Führung von Syriens Assad?

An dieser Stelle wird klar, dass die Türken vielleicht eine etwas unrealistische Strategie haben. Dass das Regime die Kontrolle über das komplette Land wiedererlangt, halte ich immer noch für ziemlich unrealistisch. Es wird eher eine Zentralmacht geben, die mit lokalen Gruppen Vereinbarungen trifft  - auch mit oppositionellen Gruppen. Diese müssen dann Treue zum Regime schwören. Im Prinzip geht es dann um die Herrschaft von lokalen Warlords - zumindest solange bis das Regime glaubt, genug Stärke zu haben, um das Ganze wieder aufrollen zu können.

Was die Strategie der Türkei angeht, so lautet sie wohl: Wir unterhalten dort einen Ort, an dem die Opposition oder auch dschihadistische Gruppen unterstützt werden können, einen Ort, an dem man was zu sagen hat und dann schauen wir mal, was in den nächsten Jahren passieren wird.

Inwiefern kann das auch im Interesse Europas sein, wenn eine Zone entsteht, in die man Flüchtlinge zurückschickt?

Das kommt darauf an, was man im Blick hat. Wenn man einfach nur daran denkt, dass man keine Flüchtlinge in Europa haben will, dann ist es im Interesse der Europäer. Wenn man sich aber um humanitäre Prinzipien und das humanitäre Völkerrecht schert, dann geht das natürlich nicht: Denn der Schutz von Geflüchteten kann in so einem Kriegsgebiet - was es ja immer noch ist - nicht in der gleichen Weise sichergestellt werden wie in einem Drittland.

Kristian Brakel ist Islamwissenschaftler und leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul.

Das Gespräch führte Diana Hodali.

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