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Das echte Leben proben

Svenja Üing2. April 2013

Rechnungen schreiben, mit Kunden korrespondieren. Das wird an deutschen Schulen meist nicht gelehrt. In Leverkusen kennen Gymnasiasten sich damit gut aus, denn sie arbeiten als Schülergenossenschaft.

Schülerinnen und Schüler mit Kochmützen auf der GenoGenial - Schülergenossenschaftsmesse in der WGZ Bank Düsseldorf am 26.11.2012 (Foto: Udo Geisler)
Bild: Stiftung Partner für Schule/Udo Geisler

Wenn seine Klassenkameraden am Dienstagnachmittag ihre Schulsachen packen und nach Hause gehen, fängt für den 17-jährigen Yannik die Arbeit erst richtig an. Dann trifft er seine Kollegen von der Schülergenossenschaft "Young Generation Computerservice" zur wöchentlichen Teamsitzung. Gemeinsam besprechen sie neue Aufträge und laufende Projekte. Der einzige Erwachsene im Raum ist ihr Lehrer Benedikt Ditscheid.

Yannik und seine Kollegen richten Websites ein, reparieren Computer und entwickeln Webdesigns. Nicht nur für ihre eigene Schule, das Landrat-Lucas Gymnasium in Leverkusen, sondern auch für andere, externe Kunden, erzählt Lehrer Benedikt Ditscheid, der das Projekt betreut: "Wir haben jetzt zum Beispiel eine Anfrage von einer Theatergemeinschaft. Die möchte ihre Webseite von uns gestaltet haben. Dann wird überlegt, wie hoch soll das Angebot sein, was bieten wir dafür?" All das werde dann demokratisch entschieden.

Schülergenossenschaften sind in Deutschland noch relativ neu

Den Computerservice gibt es seit zehn Jahren am Landrat-Lucas-Gymnasium. Zuerst als Schülerfirma, seit einem Jahr als so genannte Schülergenossenschaft. Schülerfirmen gibt es in Deutschland schon seit längerem. Die Idee der Schülergenossenschaft hingegen sei noch relativ neu, sagt Roland Berger, Vorstand der Stiftung Partner für Schule und Mit-Initiator des nordrhein-westfälischen Projekts "Schülergenossenschaften". Anders als Schülerfirmen, die manchmal eher Projektcharakter haben, arbeiten Schülergenossenschaften in einem rechtlich fest abgesteckten Rahmen und unter realen wirtschaftlichen Bedingungen.

Die Mitarbeiter des "Young Generation Computerservice"Bild: Young Generation Computerservice

Schülergenossenschaften orientieren sich dabei an ihren großen Vorbildern, den Genossenschaften in den Bereichen Banken oder Bau zum Beispiel. Wer Mitglied in einer Schülergenossenschaft werden möchte, zahlt einen einmaligen Beitrag. Alle Mitglieder haben eine gleichberechtigte Stimme und wählen den Vorstand und den Aufsichtsrat. Die Gewinne fließen zurück an die Mitglieder. Den Jahresgewinn seiner Schülergenossenschaft schätzt der Leverkusener Lehrer Benedikt Ditscheid auf etwas unter tausend Euro. Was genau mit dem Geld passiert, wird gemeinsam entschieden.

Stefan Touchard: "Schülergenossenschaften funktionieren wie echte Genossenschaften"Bild: Udo Geisler/Stiftung Partner für Schule

Damit sie anderen gewerblichen Anbietern in der Branche das Geschäft nicht kaputt machen, wählen die Leverkusener Schüler ihre Kunden besonders gut aus. "Wir hatten auch tatsächlich schon eine Anfrage einer Webdesignerin", erzählt Benedikt Ditscheid. "Die wollte die Schüler ausnutzen, indem sie einen ihrer Aufträge an uns weitergeleitet hat." Solche Anfragen lassen die Schüler abblitzen.

Die großen Genossenschaften stehen Pate

"Schülergenossenschaften schreiben das Thema Solidarität groß, sie haben eine demokratische Rechtsform und die Kapitalinteressen stehen hier nicht im Vordergrund", so beschreibt Stefan Touchard die Vorteile. Touchard ist Projektleiter "Schülergenossenschaften" beim Rheinisch-Westfälischen-Genossenschaftsverband (RWGV). Sein Verband treibt das Thema auf Landesebene seit einigen Jahren voran. Heute gibt es alleine in Nordrhein-Westfalen rund 50 Genossenschaften, die von Schülern gestemmt werden. Sie reparieren Computer, produzieren Pralinen, realisieren Filme. In der Regel steht ihnen eine große Genossenschaft dabei helfend zur Seite.

Roland Berger: "Schülergenossenschaften bereiten gut auf den Beruf vor"Bild: Stiftung Partner für Schule/Udo Geisler

Aber auch innerhalb der Schülergenossenschaften hilft man sich: Der 15-jährige David und der 12-jährige Robin sind Kollegen von Yannik, sie arbeiten als Azubis. Die beiden Schüler stecken also noch in der Ausbildungsphase, erledigen aber schon die ersten eigenen Aufträge. Den Stundenlohn von rund sieben Euro bekommen sie in dieser Zeit noch nicht. "Aber das ist auch nicht die Hauptsache. Wir sind zum Spaß hier und um von den anderen viel zu lernen", sagt David.

Kein Gegenwind seitens der Gewerkschaften

Wenn die Privatwirtschaft – zum Beispiel durch Sponsoring – zu sehr in die Schule hineinreicht, werden Eltern und Gewerkschaften in Deutschland hellhörig. Häufig zu Recht. Gibt es diese Skepsis auch gegenüber den Schülergenossenschaften? Benedikt Ditscheid hat bei seiner Arbeit am Landrat-Lucas-Gymnasium jedenfalls noch keinen Gegenwind bekommen: "Wir spüren eher das Gegenteil. Die Leute sagen uns: Endlich mal etwas, das aus der Schule rausgeht und die wirklichen wirtschaftlichen Erfordernisse berücksichtigt."

Auch von den großen deutschen Bildungsgewerkschaften, dem Verband Bildung und Erziehung (VBE) und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), ernten die Schülergenossenschaften keine Kritik. Solange die Arbeit der "pädagogischen Logik" folge und "Entscheidungen grundsätzlich demokratisch getroffen" werden, sieht die GEW keinen Grund zur Beanstandung. Im Gegenteil: Aus ihrer Sicht sind Genossenschaften eine gute Möglichkeit, die berufliche Existenz zu erproben und demokratische Strukturen auszuprobieren.

Allein in NRW gibt es heute rund 50 verschiedene SchülergenossenschaftenBild: Stiftung Partner für Schule/Udo Geisler

Eine gute Spielwiese für den späteren Beruf

Wie gut die Vorbereitung auf den Beruf sein kann, lässt sich am Lebenslauf der ehemaligen Mitarbeiter des "Young Generation Computerservice" ablesen, die längst ihr Abitur in der Tasche haben. "Sie haben ganz unterschiedliche Werdegänge, aber alle sind heute berufliche im IT-Bereich tätig", sagt Benedikt Ditscheid. Der 17-jährige Yannik will dieser Tradition treu bleiben: "Ich werde Netzwerktechniker oder Programmierer."

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