Das Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks der Slowakei
25. Juni 2024Am 20.06.2024 läuteten für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Slowakei die Totenglocken. Im Schnellverfahren verabschiedete der Nationalrat des 5,5-Millionen-Einwohner-Staates ein umstrittenes Mediengesetz. Am 1. Juli soll es in Kraft treten. 78 Abgeordnete von insgesamt 150 - alle Vertreter der regierenden nationalistisch-populistischen Drei-Parteien-Koalition - hoben ihre Hand für das neue Mediengesetz. Die Opposition boykottierte die Abstimmung.
Den Schlusspunkt zum Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks RTVS und zum Start des neuen Staatsrundfunks STVR wird Staatspräsident Peter Pellegrini setzen, ein Vertrauter von Ministerpräsident Robert Fico. Mit seiner Unterschrift unter das Gesetz wird aus RTVS dann STVR - Slowakisches Fernsehen und Radio.
Proteste gegen das Gesetz
Doch bei dem neuen Gesetz geht es nicht nur um einen neuen Namen für den Sender. "Wir befürchten, dass das neue Gesetz nur ein Ziel hat: die Ausstrahlungen zu kontrollieren", sagte die RTVS-Journalistin Sona Weissova der Nachrichtenagentur KNA. Der Druck der Regierung Fico beschränke sich nicht nur auf die öffentlichen Medien, sondern treffe auch private Sender und Zeitungen sowie andere Kultureinrichtungen.
"Heute hat das Parlament definitiv die freien öffentlichen Medien abgeschafft", kritisierte auch der Chef der größten Oppositionspartei Progressive Slovakei, Michael Simecka. "Vom 1. Juli an werden sie durch den gehorsamen und gezähmten STVR ersetzt." Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) äußerte Besorgnis. Die Auflösung des öffentlich-rechtlichen Senders sein "ein gravierender Verstoß gegen die Grundwerte der Europäischen Union", sagte der DJV-Vorsitzende Mika Beuster. Er forderte die EU-Kommission zur Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens gegen das Mitgliedsland Slowakei auf.
Antislowakisch oder einfach nur objektiv?
Medien, die Ficos Politik kritisch gegenüberstehen, waren dem Premier schon lange ein Dorn im Auge. Er und seine nur noch dem Namen nach sozialdemokratische Partei Smer-SD verfolgen einen offen nationalistischen Kurs. Zu seiner Drei-Parteien-Regierung zählt auch die ultrarechte slowakische Nationalpartei (SNS). Fico und andere Regierungsmitglieder bedienen sich unverhohlen einer aggressiven Rhetorik. RTVS sei "antislowakisch" und betreibe "illegale" Aktivitäten, wobei unklar bleibt, was damit gemeint ist.
Dabei genoss der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der Slowakei bislang hohe Zustimmungswerte in der Bevölkerung. Das bestätigte erst vor wenigen Wochen das Demoskopie-Institut Median SK in einer Repräsentativ-Umfrage. Unter mehr als 2000 befragten Slowakinnen und Slowaken zwischen 14 und 79 Jahren nannten knapp 30 Prozent RTVS das objektivste Medium der Slowakei. 17,6 Prozent gaben dem privaten Nachrichtensender TA3 den Vorzug und 16,6 dem ebenfalls von Zensurmaßnahmen betroffenen privaten Fernsehsender Markiza.
Ein Gesetz, um den amtierenden Rundfunk-Chef loszuwerden
Das geplante neue Mediengesetz ist auch der Hebel, um den Chef des Rundfunks, Lubos Machaj, loszuwerden. Der Generaldirektor von RTVS ist erst seit 2022 im Amt und für fünf Jahre gewählt. Nun soll er durch einen Nachfolger abgelöst werden, den ein neunköpfiges Gremium bestimmt. Dies besteht aus vier Mitgliedern der Regierung und fünf aus dem Parlament, in dem die Fico-Koalition eine knappe Mehrheit stellt. Der Neue auf dem Chefstuhl soll, wenn er im Amt ist, wohl das Lied der Regierung singen. Ohne die Auflösung von RTVS wäre das nicht möglich. Bislang sei ihm nichts vorgelegt worden, was den Vorwurf belege, nicht objektiv zu berichten, so Machaj. Schon längst habe "die aktuelle Regierungsnomenklatur damit begonnen, alternative Medien zu bevorzugen". So wurden Ministerien aufgefordert, RTVS zu boykottieren.
Proteste ohne Wirkung
Vergeblich hatten RTVS-Mitarbeiter und Öffentlichkeit in den vergangenen Monaten gegen die Abschaffung des Senders protestiert. Im Frühjahr gingen tausende Slowaken in zahlreichen Städten des Landes auf die Straße und solidarisierten sich mit ihrem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In- und ausländische Journalistenverbände liefen Sturm gegen das Mediengesetz, einschließlich der Europäischen Rundfunk-Union EBU. Jetzt sind die Würfel gefallen.
"Es geht abwärts", so Katharina Weiß von Reporter ohne Grenzen. "Feinde der Pressefreiheit werden in der Slowakei immer lauter."
So hatte der nationalistische Abgeordnete Roman Michelko (SNS), Vorsitzender des parlamentarischen Ausschusses für Kultur und Medien, regierungskritischen Journalisten und Journalistinnen schon mit Mikrofon- und Kameraverbot bei politischen Talkshows gedroht. Die neue Führung von STVR werde darüber entscheiden, wer in Zukunft moderieren dürfe.
Der größte Feind der Pressefreiheit aber ist Robert Fico selbst. Er goss noch Öl ins Feuer, als er den Medien vorwarf, für einen Anschlag auf sein Leben verantwortlich zu sein. Am 15.05.2024 hatte er die Schüsse eines Attentäters nur knapp überlebt. RTVS-Reporter Vladimir Amirch wies die Beschuldigung zurück. Es sei absolut verantwortungslos, die Medien für diese Tat verantwortlich zu machen, sagte er. "Es gibt kein einziges Nachrichtenmedium, zumindest wenn es sich um traditionelle Medien handelt, das zu politischer Gewalt aufgerufen hat."
Die Slowakei, ein tief gespaltenes Land
Die Slowakei, seit 20 Jahren Mitglied der EU und der NATO, ist Europas jüngster Problemfall, nicht nur medienpolitisch. Anfang des Jahres löste die Regierung die Sonderstaatsanwaltschaft gegen Korruption auf. Jetzt geht es den Medien an den Kragen. Es sei traurig, dass 35 Jahre nach dem Fall der Grenzen zwischen Ost- und Westeuropa "Politiker und Oligarchen diesen Staat in ihren Händen halten und über die Zukunft der Slowakei entscheiden", so Lubos Machaj, der Rundfunkchef des öffentlich-rechtlichen Rundfunks der Slowakei, der demnächst zu Grabe getragen wird.