Über 800 Jahre wurden hier Silber, Zinn und Uran abgebaut. Nun wurde der deutsch-tschechische Region Erzgebirge/Krušnohoří der UNESCO-Titel verliehen. Eine Reportage aus Freiberg über den langen Weg zum Welterbe.
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Freiberg ist eine ebenso bodenständige wie sehenswerte Stadt. Das ist der erste Eindruck, wenn man an einem sonnigen Werktag über die Kopfsteinpflaster der Altstadt geht. Das Zentrum ist voll von denkmalgeschützten Gebäuden aus Renaissance und Barock. Und trotzdem gibt es an diesem Tag, abgesehen von ein paar Radwanderern, kaum Touristen. Auch finden sich, anders als in vergleichbaren Altstädten Deutschlands, nur wenige Souvenirshops. Dafür Friseure, Bäcker, Metzger und ein Infocafé für Studenten der TU Bergakademie Freiberg.
Freiberg liegt im Norden des Erzgebirges, ziemlich genau in der Mitte des Freistaats Sachsen. Weil hier im 12. Jahrhundert eher zufällig Silber gefunden wurde, entwickelte sich Freiberg im Mittelalter zu einer bedeutenden Stadt. Schürfrecht und Bodenschätze sorgten für Wachstum und Wohlstand.
Der zentrale Untermarkt zeigt dem Besucher beides auf einen Blick, den Reichtum und die Grundlage für die frühe Entwicklung. Auf der einen Seite der Dom St. Marien, eine spätgotische Hallenkirche mit der Goldenen Pforte aus dem 13. Jahrhundert. Direkt daneben der ehemalige Domherrenhof, der schon seit 1903 das Bergbaumuseum beherbergt. Gesammelt haben Freiberger Bürger sogar schon seit 1860, die Wertschätzung der eigenen besonderen Geschichte hat also Tradition.
Glück auf, der Steiger kommt
Im Rathaus, einem langgestreckten Renaissance-Bau auf dem Obermarkt, residiert Sven Krüger, der Oberbürgermeister von Freiberg. Er begrüßt seine Gäste mit "Glück auf", dem traditionellen Gruß der Bergarbeiter. Auch er schwärmt vom Reichtum der Kulturlandschaft, von der Bergbautradition im Erzgebirge. Erst vor kurzem haben sie in Freiberg bei Bauarbeiten alte Schächte aus dem 12. und 13. Jahrhundert freigelegt.
Für die 1765 gegründete Bergakademie in Freiberg habe der junge Alexander von Humboldt ein Gutachten für die Entwässerung eines Stollens abgegeben. Außerdem sei in Freiberg schon 1713 das erste Mal die Nachhaltigkeit definiert worden, betont Sven Krüger. Damals ging es darum, neue Wälder anzupflanzen - im Ausgleich für den Holzverbrauch zur Absicherung der Bergbau-Stollen.
Besuchern, die sich ein Bild von der lebendigen Tradition des Erzgebirges machen wollen, empfiehlt der Oberbürgermeister die Bergparaden der Vorweihnachtszeit. Obwohl der Bergbau seit 1990 Geschichte ist, gibt es zahlreiche Vereine, die dann in Städten wie Annaberg-Buchholz, Freiberg oder Schneeberg in historischer Bergmannstracht festlich durch die Straßen ziehen.
Von tiefen Schächten und Stollen bis zu Renaissancestädten - die Bergbauindustrie hat die Region sowohl in Deutschland als auch in Tschechien bis heute sichtbar geprägt.
Bild: WFE GmbH
Jáchymov - Geburtsort des Dollar
Für die Wissenschaft der Bergbauindustrie ist die Renaissancestadt in Tschechien von zentraler Bedeutung. Berühmt ist Jáchimov aber vor allem wegen seiner Silbermünzen. Der erste "Joachimsthaler"- eine große Silbermünze - wurde hier ab 1520 in der Königlichen Münze geprägt. Über zwei Millionen Münzen sollen im Umlauf gewesen sein. Die populäre Münze wurde zum Namenspaten für den Dollar.
Bild: Lubomír Zeman
Roter Turm des Todes, Jáchymov
Der Turm war Teil des Arbeitslagers Vykmanov II, das 1951 in der Nähe von Jáchymov errichtet wurde. Jahrelang wurde hier Uranerz aufbereitet, bevor es in die Sowietunion geliefert wurde. Politische Häftlinge, die unter unmenschlichen Bedingungen in den Arbeitslagern inhaftiert waren, schufteten hier. An ihre Leiden erinnert der Rote Turm des Todes, heute ein nationales Kulturdenkmal.
Bild: Petr Lněnička
Frohnauer Hammer, Annaberg-Bucholz
Bis ins 15. Jahrhundert als Getreidemühle genutzt, wurde die Anlage 1621 zum Hammer umgebaut um Silberrohlinge für Münzen herzustellen. Später kam die Kupfer- und Eisenverarbeitung dazu, noch bis 1904 wurden hier Werkzeuge für den Bergbau und die Landwirtschaft produziert. Heute ist es das älteste Schmiedemuseum Deutschlands.
Bild: picture-alliance/dpa/P. Endig
Geotop Scheibenberg
30 Meter hoch ragen die Basaltsäulen des Scheibenbergs in den Himmel. Er ist einer von drei großen Basaltbergen im Westerzgebirge. Im Volksmund heißen sie "Orgelpfeifen". Entstanden vor Millionen von Jahren aus erkaltender Lava. Ein geologisches Phänomen, das wichtige Erkenntnisse über die Entstehung der Erdoberfläche lieferte. Es zählt zu den wichtigsten Geotopen Deutschlands.
Bild: WFE GmbH
Altstadt Marienberg
Wie viele Städte im Erzgebirge wurde auch Marienberg gegründet, weil man hier reiche Erzvorkommen entdeckte. Das war 1521. Aus der Vogelperspektive kann man sehr gut die symmetrische Struktur der Stadt erkennen. Von dem ein Hektar großen quadratischen Marktplatz geht ein rechtwinkliges Straßennetz nach allen Seiten. Der historische Stadtkern im Renaissancestil steht unter Denkmalschutz.
Bild: IWTG/Jens Kugler
Tiefen-Bünau Stollen, Altenberg
Der Tiefen-Bünau-Stollen bei Altenberg ist ein echter Europäer. Er führt sowohl auf deutscher als auch auf tschechischer Seite ins Erdinnere. Die Region um das sächsische Altenberg steht für 600 Jahre Bergbau. Hier war eine der bedeutendsten Zinnlagerstätten Europas. Heute gewährt das Besucherbergwerk "Vereinigt Zwitterfeld zu Zinnwald" Einblicke in die Arbeitswelt unter Tage.
Bild: WFE GmbH
Bünau Epitaph, Stadtkirche Lauenstein
Manchen Familien bescherte der Bergbau ungeahnten Reichtum. Im Falle der Familie Bünau ist diese einträgliche Beziehung sogar in Stein gemeißelt. Als ein vier Stockwerke hoher Altar in Pyramidenform. Bezahlt aus den Einkünften aus dem Erzbergbau. Die Familienmitglieder sind in Lebensgröße dargestellt, die Schmuckelemente sind aus kostbarem Alabaster und aus Jaspis.
Bild: Jens Jäpel
Röhrgraben, Ehrenfriedersdorf
Der Röhrgraben ist ein künstlicher Wasserweg, der über eine Länge von 5,5 Kilometern eine Höhenunterschied von 23,5 Metern überwindet. Er lieferte mit seinem Wasser die Energie, die im Erzbergbau zum Betrieb der Maschinen benötigt wurde. Der Graben wurde schon im Mittelalter angelegt und erst 1990 stillgelegt. Zuletzt versorgte er die Textilindustrie mit Energie.
Bild: IWTG/Jens Kugler
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Der lange Weg zum Welterbe
In der Silbermannstraße, nicht weit vom Rathaus entfernt, arbeitet Helmuth Albrecht, Professor an der Freiberger Bergbau-Uni. Er leitet das Institut für Technikgeschichte und Industriearchäologie und ist einer der treibenden Kräfte hinter dem Welterbe-Antrag. Er ist von Anfang an dabei. Seit den ersten Überlegungen im sächsischen Wissenschaftsministerium im März 2000. Seine erste Studie verschwand in der Schublade. Und als die sächsische Landeshauptstadt Dresden 2009, wegen eines Brückenneubaus über die Elbe, ihren Welterbetitel verlor, gab es kaum noch politische Unterstützung.
Helmuth Albrecht ließ sich nicht entmutigen. "Mir war klar, das kriegen wir nur durch, wenn wir die ganze Region hinter uns haben." Es folgte eine mühsame Tour zu Bürgermeistern, Vereinen und Förderern auf der deutschen und tschechischen Seite des Erzgebirges. Dazu wurden 20.000 eingeschriebene Denkmale ausgewertet, um daraus die typischen und wichtigsten der Region auszuwählen. Dazu gehören für ihn auch die dunklen Seiten der Bergbaugeschichte im Erzgebirge, der Uranabbau, die Zerstörung von Leben und Landschaften. "Das war eine wichtige Epoche von weltgeschichtlicher Bedeutung. Hier wurde das Uran für die erste russische Atombombe gefördert."
Der erste Antrag bei der UNESCO wurde 2016 als zu umfangreich befunden. Aber auch davon haben sich Helmuth Albrecht und seine Mitstreiter nicht beirren lassen. Obwohl der Verzicht auf Objekte wie das 30 Kilometer von Freiberg entfernte Schloss Augustusburg für ihn schmerzhaft war. "Das Jagdschloss mit dem wunderschönen Brunnen, den die Bergleute gegraben haben. Das hatten wir ursprünglich mit drin, weil es mit dem Geld aus dem Erzgebirge gebaut worden ist."
Für die Abstimmung 2019 legte Helmuth Albrecht vier dicke Bände vor. Dieses Mal ging alles glatt. "Es war ein sehr, sehr langer Prozess, und ich bin auch froh, wenn es mal vorbei ist."
Kulturschätze aus Freiberg
Am Rande der Altstadt von Freiberg, direkt vor dem letzten erhaltenen Tor der Stadtbefestigung, weist der Turm der Jakobikirche auf einem weiteren Schatz, der mit der Kulturlandschaft rund um Freiberg verbunden ist. Die Kirche beherbergt eine von insgesamt vier Silbermann-Orgeln der Stadt. Gottfried Silbermann gilt als einer der bedeutendsten Orgelbauer der Barockzeit. Von etwa 50 Instrumenten aus seiner Freiberger Werkstatt sind bis heute 31 erhalten, die meisten in Sachsen.
Wie so eine Orgel klingt, können Besucher der Jakobikirche im Sommer jeden Freitag bei der Mittagsmusik hören. An diesem Tag spielt der Organist Werke von Silbermanns Zeitgenossen, von Johann Sebastian Bach bis Francois Couperin. Ihr Alter sieht man der großen Orgel gar nicht an. Sie sei über die Jahrhunderte immer gut gepflegt worden, betont Clemens Lucke von der Silbermann-Gesellschaft.
Gottfried Silbermann habe vor 300 Jahren nur hochwertige Materialien verwendet und sei ein Künstler seines Fachs gewesen, meint Clemens Lucke. Auch kleine Dörfer in Sachsen wollten sich damals mit seinen Orgeln schmücken. "Wer durchs Erzgebirge fährt, kann in vielen Orten Silbermann-Orgeln finden, das hat die Gegend geprägt." Jede Orgel habe ihren eigenen Charakter und trotzdem fühle er sich als Organist an jeder von ihnen gleich zu Hause.
Diese Kulturlandschaft hat durch den Welterbetitel der UNESCO die Chance noch stärker zusammenwachsen und ihre Identität zu stärken, betont Oberbürgermeister Sven Krüger. "Dann können wir wesentlich erfolgreicher als eine Region auftreten. Außerdem können wir weltweit Aufmerksamkeit erzeugen und den einen oder anderen Touristen begeistern."
Zehn Gründe für das Erzgebirge
Das Erzgebirge im Osten Deutschlands ist ein Reiseziel für Wanderer und Wintersportler. Die Mittelgebirgsregion steht für Bergbaukultur und Eisenbahnromantik, traditionelle Handwerkskunst und Naturerlebnis.
Bild: picture-alliance/blickwinkel/G. Rentsch
Fichtelbergbahn
Anfang des 20. Jahrhunderts sorgte die sächsische Schmalspurbahn für die wirtschaftliche Entwicklung der Region. Auch wenn die meisten Verbindungen schon lange stillgelegt sind, verkehren auf wenigen Strecken noch nostalgische Ausflugszüge. Die Fichtelbergbahn zum Beispiel fährt in den bekannten Wintersportort Oberwiesenthal.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Woitas
Oberwiesenthal
Am Fuße des Fichtelbergs, der mit 1215 Meter höchsten Erhebung Sachsens, liegt Oberwiesenthal. Direkt vor der Haustür beginnt das Skigebiet, in dem man bei 300 Meter Höhenunterschied immerhin 17 Pistenkilometer Schneespaß haben kann.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Woitas
Johanngeorgenstadt
Im Erzgebirge kommen besonders die Skilangläufer in Fahrt auf den gepflegten Loipen durch romantisch verschneite Wälder. Die Kammloipe führt von Johanngeorgenstadt bis nach Schöneck im Vogtland. Sie gilt mit 36 Kilometern als eine der längsten und schneesichersten in Deutschland.
Bild: picture-alliance/ZB
Annaberg-Buchholz
Als hier Ende des 15. Jahrhunderts Silber entdeckt wurde, begann die Blütezeit für Annaberg-Buchholz. Davon zeugen heute noch die spätgotische St. Annen-Kirche und der Marktplatz mit Rathaus und prächtigen Bürgerhäusern. Einen anschaulichen Einblick in vergangene Zeiten bieten Führungen durch das 500 Jahre alte Silberbergwerk.
In Frohnau, einem Stadtteil von Annaberg-Buchholz, erfahren Besucher, mit welchen Mitteln in der vorindustriellen Epoche das Eisen geschmiedet wurde. Der mit Wasserkraft betriebene "Frohnauer Hammer" ist ein Technikdenkmal aus dem 15. Jahrhundert.
Bild: picture-alliance/dpa/P. Endig
Freiberg
Auch die Bergparaden im Erzgebirge berufen sich auf eine mittelalterliche Tradition. Dazu versammelten sich Bergleute und Handwerker, die mit dem Bergbau verbunden waren. Heute dienen die Paraden wie hier in Freiberg der Traditionspflege und sind eine Touristenattraktion.
Bild: picture-alliance/dpa/A. Burgi
Seiffen
Die Ursprünge von Seiffen liegen im Zinnbergbau. Nach dessen Niedergang im 18. Jahrhundert begannen die Bergleute mit Holz zu arbeiten. Ihr gedrechseltes und geschnitztes Holzspielzeug wurde zum Exportschlager. Noch heute werden die für Weihnachten typischen Nussknacker, Pyramiden und Räuchermänner hergestellt. Im Bild ein Jubiläumsexemplar zum Lutherjahr.
Bild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert
Burg Kriebstein
Über die 1384 erstmals erwähnte Ritterburg gibt es eine schöne Geschichte. Einst erbaten die Frauen in der belagerten Burg vom Kontrahenten Markgraf Friedrich dem Streitbaren freies Geleit für sich und alle Kostbarkeiten, die sie tragen konnten. Als sie dann statt Schmuck ihre Männer im Huckepack weg trugen, war der Markgraf so beeindruckt, dass er seine Widersacher ziehen lies.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Woitas
Zschopau
An einer mittelalterlichen Handelsstraße gelegen, gehört Zschopau zu den bekannteren Städten im Erzgebirge. Hier gab es schon 1929 mit dem DKW-Werk die weltweit größte Produktionsstätte für Motorräder. Auch später zu Zeiten der DDR wurden flotte Zweiräder hergestellt. Die mittlerweile ebenfalls legendäre MZ, steht für Motorradwerk Zschopau.
Bild: picture-alliance/dpa/W. Thieme
Schloss Augustusburg
Biker vor Renaissancekulisse. Seit 1971 versammeln sich Motorradfahrer zum traditionellen Wintertreffen auf dem Jagdschloss von Kurfürst August aus dem 16. Jahrhundert. Für Zweiradfreunde lohnt sich der Besuch das ganze Jahr. Im Schloss ist eine der bedeutendsten Motorradsammlungen Europas zu bewundern.