"Das europäische Modell sind multiethnische Staaten"
23. Februar 2012 Deutsche Welle: Einige Politiker in Serbien haben sich inzwischen klar für eine Teilung Kosovos ausgesprochen. Kommt aus Sicht Deutschlands die Option der Teilung als Lösung dieser gesamten Kosovoproblematik überhaupt in Frage?
Nikolaus Graf Lambsdorff: Die Antwort darauf lautet ganz einfach: Nein. Minister Westerwelle hat auch bei Besuchen in der Region mehrfach nachdrücklich gesagt, dass für uns die Grenzen auf dem Balkan feststehen, das gilt auch für Nordkosovo. Nordkosovo ist kein Teil der Republik Serbien und wir glauben im Übrigen auch nicht daran, dass eine Teilung eine Lösung sein könnte für das Problem mit und im Nordkosovo.
Es gibt aber auch Politiker, nicht nur in Serbien sondern auch im Kosovo selber, die sich – wie z.B. ‚Selbstbestimmung', die nationalistische Bewegung der Albaner – für eine Zusammenführung aller albanisch besiedelten Gebiete in der Region ausspricht. Sie haben den Vorsitzenden dieser Bewegung, Albin Kurti, kürzlich in Berlin empfangen. Was halten Sie von dieser Vision?
Das, was dort vorgeschlagen wird, halten wir für vollkommen falsch. Das wird nicht zu einer Lösung, sondern würde zu neuen Problemen auf dem Balkan führen. Diese neue Partei vertritt, sowohl im Parlament als auch als außerparlamentarische Opposition, nationalistische albanische Vorstellungen im Kosovo. Das ist erlaubt in einer Demokratie, aber im Kosovo - und ich bin überzeugt, auch anderswo unter Albanern - nicht mehrheitsfähig.
Die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik hat unlängst eine Analyse herausgegeben, mit der Einschätzung, dass die Vereinigung aller albanisch besiedelten Gebiete in der Region keinerlei Domino-Effekt nach sich ziehen würde. Es wird geschätzt, dass man in Mazedonien durchaus leichten Herzens Westmazedonien abtreten würde, weil man dort ohnehin viele Probleme mit der albanischen Minderheit hat. Und auch Bosnien und Herzegowina hätte keine großen Gefahren zu befürchten, sollte es zu solchen Gebiets- und Grenzverschiebungen kommen. Sehen Sie das ähnlich?
Ich sehe das ganz anders. Erstens steht dahinter die Frage, ob man die Schaffung neuer oder anders gearteter monoethnischer Staaten selber betreiben oder ihr zumindest zustimmen wollte. Wir glauben, dass das europäische Modell multiethnische Staaten sind. Dahinter steht am Ende die großalbanische Frage, die immer mal wieder hervorkommt – erstaunlicherweise aber viel seltener als wir glauben. Ich bin der festen Überzeugung, dass Albanien keinerlei Interesse an großalbanischen Überlegungen hat. Im Übrigen ist zu solchen Fragen die betroffene Bevölkerung selten gefragt worden und Gebietsverschiebungen würden ja auch Verschiebung von Bevölkerung mit sich bringen. Das ist alles – um es ganz vorsichtig zu sagen – uneuropäisch und mit Werten und Normen und Vorstellungen der Europäischen Union nicht vereinbar. Und was den Dominoeffekt angeht, da weiß niemand vorher was hinterher daraus wird - wer möchte das denn bitte ausprobieren? Wir werden das ganz sicher nicht unterstützen, sondern ganz im Gegenteil darauf beharren, dass die Grenzen des Balkans gezogen sind, und dass es nun darum geht, innerhalb dieser Grenzen moderne demokratische multiethnische Staaten aufzubauen und zu entwickeln.
Wie schätzen Sie denn die Sicherheitslage im Kosovo zurzeit ein? Wird es ruhig bleiben? Haben Sie Sorge, dass es da noch einmal im Hintergrund der Verhandlungen zwischen Serbien und Kosovo zu Unruhen kommen könnte?
Wir sind sicher, dass die Sicherheitslage – übrigens grundsätzlich auf dem gesamten Westbalkan – gut ist. Das gilt z. B. auch für Bosnien, wo es ja auch noch eine, wenn auch kleine internationale Militärpräsenz gibt. In Kosovo gibt es immer noch fast 6000 NATO-Soldaten in Rahmen der multinationalen militärischen Mission der Kosovo Force (KFOR). Sie stehen dort mit vollem Einverständnis der kosovarischen Regierung. Ich glaube nicht, dass es ein Sicherheitsproblem in der Republik Kosovo gibt. Andererseits wollen wir natürlich auch verhindern, dass Sicherheitsprobleme geschaffen werden. Daher sind wir gegen unilaterale Aktionen z. B. der Regierung in Pristina im Norden Kosovos. Auch das Problem Nordkosovo muss auf dem Verhandlungswege gelöst werden. Natürlich streben wir auch weiterhin an, dass die KFOR-Truppen verkleinert werden können. Im Moment ist das wegen Nordkosovo ins Stocken geraten, aber die Tendenz ist klar: das wird weiter fortgesetzt werden.
Die Rechtsstaatlichkeitsmission der Europäischen Union im Kosovo, EULEX, ist zum Teil sehr umstritten. Viele sagen, dass es eine zu teure Mission sei, die gleichzeitig zu wenig bewegen kann. Wo sehen Sie die Grenzen, aber auch die Möglichkeiten dieser Mission?
EULEX ist eine große europäische Mission, die jetzt wahrscheinlich sukzessiv langsam verkleinert wird. Das Problem ist, dass EULEX ihr Mandat, ihren Auftrag im Norden Kosovos nicht erfüllen kann, wofür sie aber nichts kann. Sie ist daran gehindert im Norden Kosovos überhaupt tätig werden zu können. Wir hoffen sehr darauf, dass bei einer Verhandlungslösung zum Problem Nordkosovo auch gehören wird, dazu gehören muss, dass EULEX ihrer Aufgabe nachgehen kann. Gleichzeitig kann EULEX auch verkleinert werden, das wird zurzeit in Brüssel besprochen, denn dort wird im Moment zum ersten Mal umfassend die EULEX-Mission seit ihrem Beginn im Jahr 2008 überprüft.
Wie sehen Sie denn die Chancen Serbiens eine Empfehlung zu bekommen für den EU-Beitrittskandidatenstatus (Red. Anm.: darüber sollen zunächst die EU-Außenminister am 28. Februar beraten, die Entscheidung wird dann der EU-Gipfel am 1. März treffen), vor dem Hintergrund der Gespräche, die jetzt wieder begonnen haben zwischen Kosovo und Serbien?
Das ist die Frage nach den Ergebnissen des Dialogs zwischen Pristina und Belgrad mit Blick auf den Rat, bei dem in der nächsten Woche, konkret am nächsten Dienstag, 28.02., entschieden werden soll, ob Serbien EU-Beitrittskandidat werden kann. Noch ist es zu früh, zu sagen, wie das ausgeht, denn es gibt zwei konkrete Probleme, die im Dialog noch nicht zufriedenstellend gelöst sind. Das muss jetzt tatsächlich in den wenigen nächsten Tagen geschehen. Es ist möglich dort einen Kompromiss zu finden, denn wie immer bei Verhandlungen, geht es auch hier um Kompromisse. Das müssen beide Seiten verstehen und akzeptieren. Es wird danach dann natürlich auch um die Umsetzung des Erreichten gehen. Das wird dann das Thema in den nächsten Monaten sein.
Kroatien
Kommen wir zu Kroatien: Das Land hat die Hürde schon geschafft, wird im nächsten Jahr der EU beitreten. Was erwarten Sie von dem Monitoring-Prozess, der ja läuft und diesen Weg Kroatiens in die EU begleitet? Wird es da noch einmal Schwierigkeiten geben in Bezug auf die Frage, ob Kroatien überhaupt beitreten wird?
Zum Einen ist diese Art Monitoring-Prozess ja etwas Neues und man kann wohl damit rechnen, dass künftige Beitrittskandidaten sich ähnlichen Prozessen unterziehen müssen. Es ist also schon deswegen sehr wichtig und interessant für alle nachfolgenden, also die sechs verbleibenden Staaten des Westbalkans, die auch alle Mitglied in der Europäischen Union werden wollen. Damit, dass dieser Monitoring-Prozess für Kroatien noch einmal ein Hindernis zur Mitgliedschaft darstellt ist – soweit ich informiert bin – nicht zu rechnen. Wir rechnen tatsächlich fest damit, dass Kroatien nun am Ende des Ratifizierungsprozesses Mitglied der Europäischen Union wird, und wir rechnen dann damit – und das hat Kroatien seit geraumer Zeit immer wieder betont - dass sie dann ein besonders wichtiger Partner sein werden in allen Fragen, die den westlichen Balkan, also die eigene Nachbarschaft Kroatiens, angehen.
Da war es ja im Falle Sloweniens so, dass Slowenien durchaus auch aufgrund eigener politischer Interessen Kroatiens Schwierigkeiten bereitet hat auf dem Weg in die EU. Zumindest gab es eine ganze Reihe von Streitfragen zu klären, die den Beitrittsprozess Kroatiens etwas verlangsamt haben. Was erwarten Sie denn von Kroatien? Glauben Sie, dass es eine ähnliche Rolle spielen wird?
Im Gegenteil, Kroatien hat immer wieder - öffentlich und nicht öffentlich – schon seit längerer Zeit betont, dass sie nicht etwa anderen nachfolgenden, und damit eigenen Nachbarn Schwierigkeiten machen werden auf dem Weg in die Europäische Union, sondern im Gegenteil, dass sie helfen wollen und sie haben damit auch ganz konkret schon begonnen. Wir sind fest davon überzeugt, dass Kroatien nicht nur eine positive Rolle bei der regionalen Zusammenarbeit auf dem westlichen Balkan spielen kann, sondern dieses auch tun wird, und dass Kroatien für die Europäische Union einiges als neues Mitglied zu bieten hat und dies auch einsetzen wird – so, wie das übrigens Slowenien bei vielen Fragen auch getan hat, ganz unabhängig von bilateralen Problemen zwischen Slowenien und Kroatien.
Bosnien-Herzegowina
20 Jahre nach dem Kriegsbeginn in Bosnien und Herzegowina ist die Situation sicher nicht so wie man das erwartet hätte nach dem Friedensvertrag von Dayton. Vieles liegt noch im Argen, die politischen Prozesse stehen häufig still, das Land hat sehr lange gebraucht um eine Regierung zu bilden. Wie schätzen Sie im Moment die Stabilität dieses Landes ein?
Mir scheint, besser als viele andere. Immerhin ist es so, dass es jetzt – wenn auch erst nach 15 Monaten – eine gewählte Regierung, also einen Ministerrat in Bosnien-Herzegowiba gibt, und es ist schon bemerkenswert, dass dies eine Entscheidung der gewählten bosnischen Politiker gewesen ist. Diese Regierung ist nicht durch Entscheidung oder auch nur durch entscheidenden Druck der internationalen Staatengemeinschaft zustande gekommen, sondern es sind die Parteivorsitzenden, die führenden Politiker Bosnien-Herzegowinas, die diese Regierung ins Amt gebracht haben. Ähnliches gilt jetzt für weitere politische Entscheidungen und wir haben auch erste Anzeichen und auch Hoffnung, dass in den wichtigen und auch notwendigen Fragen der Verfassungsreform diese gewählten Politiker auch in der Lage sein werden notwendige Kompromisse und Lösungen zu finden. Das schmälert nicht die Bedeutung des Vertreters der Europäischen Union, Peter Sörensen, in Bosnien-Herzegowina. Für ihn gibt es dort mehr als genug zu tun. Bosnien-Herzegowina ist ein Nachzügler auf dem Weg zur Annäherung an die Europäische Union, aber die beschriebenen Entwicklungen sind positiv und werden dem Land helfen, weiter Fortschritte zu machen, und das ist gut.
Rumänien, Bulgarien
Schauen wir auf zwei EU-Länder Südosteuropas: Rumänien und Bulgarien, die seit geraumer Zeit darauf hoffen, endlich dem Schengen-Raum beitreten zu können. Wie schätzen Sie die realistischen Chancen ein, dass es demnächst dazu kommt? Es gibt da eine Blockadehaltung der holländischen Regierung. Was, glauben Sie, kann noch verhindern, dass Bulgarien und Rumänien doch bald dem Schengen-Raum beitreten können?
Im Grunde ist das die Frage nach Konditionalität, die uns bei derzeitigen und künftigen Beitrittskandidaten auf dem Balkan ständig begegnet: Was sind die Bedingungen und was ist, wenn die Bedingungen erfüllt werden, die Gegenleistung der Europäischen Union? Das gilt auch in der Frage des Schengen-Beitritts für Bulgarien und Rumänien. Natürlich ist es bei den meisten dieser Fragen so, dass am Ende alle europäischen Mitgliedstaaten überzeugt sein müssen, aber vorher müssen die Bedingungen, die von der Europäischen Union gestellt werden, erfüllt werden. Das ist eben Konditionalität. Es ist allerdings auch wichtig, dass die Europäische Union sich dann an Zusagen hält, wenn die Bedingungen zufriedenstellend erfüllt sind.
Mazedonien
Ein Blick auf das Nachbarland Mazedonien. Da würde ich gerne Ihre Einschätzung hören, warum die Bundesregierung bei der Haltung bleibt, dass ohne eine Lösung im Namensstreit eine Mitgliedschaft Mazedoniens in der NATO und ein Termin für die EU-Beitrittsverhandlungen zurzeit nicht in Frage kommen. Und vielleicht noch eine Einschätzung, inwieweit sehen Sie diese mazedonisch-griechischen Irritationen, die ja seit 20 Jahren bestehen, unter dem Eindruck der derzeitigen Finanzkrise eigentlich überhaupt in Bewegung?
Der Namensstreit ist zunächst einmal ein Problem zwischen den beiden Nachbarstaaten. Wir haben beiden Regierungen gesagt, dass wir ein großes Interesse daran haben, dass die Namensfrage gelöst wird, auch - und vielleicht sogar vor allem – deswegen, weil wir sehen, dass die europapolitischen Ambitionen Mazedoniens blockiert werden, und dass dies mittlerweile sichtbar destabilisierende negative Auswirkungen auch auf die Innenpolitik in Skopje hat. Das ist besorgniserregend und sollte so nicht weitergehen. Das ändert aber nichts daran, dass die Namensfrage nur auf dem Wege eines Kompromisses zwischen beiden Parteien gelöst werden kann. Daran ändert grundsätzlich auch das Urteil des Internationalen Gerichtshofes nichts. Es kann keine Namenslösung geben, die oktroyiert ist, die einfach von einem Gericht oder vielleicht von der Internationalen Staatengemeinschaft entschieden wurde. Das wird alles nicht geschehen, aber wir haben an beide Seiten appelliert, mehr Kompromissfähigkeit zu zeigen und sich mehr zu bemühen. Das tut auch der von der UNO beauftragte Vermittler Niemetz, der jetzt gerade nach längerer Zeit erstmals wieder beide Hauptstädte besucht hat. Er wird kaum neue eigene Vorschläge gemacht haben. Das tun auch wir nicht. Es gibt keine eigenen deutschen bilateralen Vorschläge, aber wir erwarten schon, dass man sich nach dem Urteil des Internationalen Gerichtshofes ernsthaft um eine Lösung dieser Frage kümmert – und zwar in beiden Hauptstädten.
Transnistrien
Und einen letzten Blick nach Transnistrien, das ja ziemlich aus den Schlagzeilen heraus ist. Diese Republik ist international nicht anerkannt. Es hat Ende 2011 einen Machtwechsel gegeben, der bisherige langjährige Präsident, Smirnov, wurde bereits im ersten Wahlgang abgewählt. Allerdings gewann nicht der Wunschkandidat Moskaus, Kaminski, die Präsidentschaftswahlen, sondern der bisherige Parlamentspräsident, Jewgeni Schewtschuk. Bringt diese überraschende Wende eine Lösung im Transnistrien-Konlikt näher?
Ich kenne Jewgeni Schewtschuk. Ich weiß, dass er sich vor allem Sorgen macht um die wirtschaftliche, finanzielle und soziale Situation in Transnistrien. Davon versteht er auch etwas, aus seinem eigenen beruflichen Werdegang her. Und er hat Recht. Er ist sicher auch deswegen gewählt worden. Er versucht auch zu diesen Fragen mit Chisinau ins Gespräch zu kommen. Das alles sind, aus unserer Sicht, gute Zeichen. Ich glaube schon, dass er grundsätzlich an einer Lösung Interesse hat, aber wir wissen ja auch, dass es nicht nur an den beiden – wenn man so will – Parteien Tiraspol und Chisinau liegt, eine Lösung zu finden, sondern dass andere ein gewichtiges, vielleicht sogar entscheidendes Wort mitsprechen; dazu gehören Russland und die Ukraine. Immerhin aber gibt es Gespräche und Verhandlungen, die auch fortgesetzt werden im sogenannten Kreis von fünf plus zwei. Ich bin sicher, dass die neue Führung in Tiraspol zumindest eine bessere Chance bietet, eine Lösung zu finden.
Das Gespräch führte: Verica Spasovska
Redaktion: Marina Martinović