Das Wasserstoff-Flugzeug nimmt Gestalt an
25. September 2020Wie eine Revolution der Luftfahrt sieht der neueste Flugzeugentwurf von Airbus nicht aus, der da zu sphärischer Musik am wolkenlosen Himmel schwebt. Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass sich im hinteren Drittel des Rumpfes der Airbus-Flugzeugstudie keine Fenster befinden. Oben auf dem Leitwerk prangt ein kurzer Fortsatz, der eher wie eine Antenne wirkt. Diese Charakteristika geben Aufschluss darüber, dass es sich hier tatsächlich um eine womöglich bahnbrechende Neuheit handelt.
"Im hinteren Drittel des Rumpfes hinter dem Druckschott der Kabine befindet sich der Wasserstofftank, und der Fortsatz oben am Leitwerk dient zum Ablassen von Gas im Falle eines Lecks", erklärte Airbus-Technologiechefin Grazia Vittadini jetzt bei der Vorstellung der ersten Entwürfe von zukunftsweisenden Flugzeugen mit Wasserstoffantrieb. Das Ziel ist ehrgeizig: Bis 2035 will Airbus das weltweit erste emissionsfreie Verkehrsflugzeug herausbringen.
"Historischer Moment"
Dazu hat der europäische Hersteller drei verschiedene Konzepte, von denen eines umgesetzt werden soll, darunter der eher konventionell aussehende Jet. Airbus will sich unter starkem Druck der Politik vor allem aus Frankreich und Deutschland an die Spitze der Transformation setzen, um für die Luftfahrt die Abkehr von fossilen Brennstoffen und damit die Dekarbonisierung voranzutreiben. Deutschland hat bereits eine eigene Wasserstoff-Strategie entwickelt, Frankreich kündigte zu Monatsbeginn an, langfristig sieben Milliarden Euro in die Wasserstofftechnik zu investieren. Da passt der Vorstoß von Airbus genau ins Bild.
"Dies ist ein historischer Moment für die gesamte kommerzielle Luftfahrt", so Airbus-Chef Guillaume Faury über seine "kühne Vision". Technologiechefin Vittadini betont, diese "spannenden Konzepte sind auch dazu gedacht, zukünftige Generationen von Ingenieuren zu inspirieren."
Keine neue Idee
Die Idee, Wasserstoff statt Kerosin als Energiequelle für Flugzeugtriebwerke zu nutzen ist nicht neu, aber sie ist immer noch schwer umzusetzen. Daher fehlte es bis heute an alltagstauglichen und wirtschaftlich zu betreibenden Flugzeugkonzepten. Denn Wasserstoff ist nicht pflegeleicht: Er weist zwar gegenüber Kerosin die dreifach höhere Energiedichte - ein großer Vorzug gegenüber Batterien - und wiegt nur ein Drittel soviel, benötigt aber bis zu viermal mehr Volumen als gängiger Treibstoff. Und Platz ist an Bord von Flugzeugen nun mal notorisch knapp und kostbar.
Außerdem, und das macht es besonders anspruchsvoll, ist Wasserstoff ein sogenannter kryogener Treibstoff: Ein Gas, das erst bei minus 253 Grad Celsius flüssig und unter hohem Druck komprimiert für Antriebe nutzbar wird. Was wiederum einen doppelwandigen, zylindrischen oder kugelförmigen Tank erfordert. Bereits 1988 brachten Ingenieure in der damaligen Sowjetunion eine umgebaute Version ihres dreistrahligen Passagierjets Tupolew TU-154 heraus, das Testflugzeug nannten sie TU-155, dessen rechtes Triebwerk mit Wasserstoff betrieben wurde. Wasserstoff lässt sich auf verschiedene Arten für Flugzeuge nutzen: Zur direkten Verbrennung in umgerüsteten Gasturbinen, durch Brennstoffzellen umgewandelt in elektrische Energie oder man produziert damit in Kombination mit CO2 synthetisches Kerosin.
Nicht für Transatlantikflüge
"Wir müssen das Flugzeug um diese Bedingungen herum neu gestalten", weiß Grazia Vittadini. Daran versucht sich Airbus jetzt gleich mit einem Trio an Vorschlägen. Dem eingangs beschriebenen sogenannten Turbofan-Design, das 120 bis 200 Passagiere über Strecken von etwa 3700 Kilometer befördern soll, also keine Langstrecken oder Transkontinentalflüge in Amerika schafft, aber alle innereuropäischen Routen. Das Konzept fällt etwas kleiner aus als das aktuelle Basismodell A320neo, das etwa bei Lufthansa fliegt, erreicht aber mit gut 800 km/h auch Wasserstoff-getrieben die gleiche Geschwindigkeit.
Zweiter Entwurf ist ein Turboprop-Flugzeug mit Propellerantrieb für bis zu hundert Passagiere auf Kurzstrecken, das mit gut 600 km/h rund hundert Stundenkilometer schneller wäre als heutige Turboprops. Beide Entwürfe sind von modifizierten Gasturbinen angetrieben, ergänzt durch einen Hybrid-Elektromotor gespeist aus Brennstoffzellen, und bewusst konventionell gehalten. "Wir müssen dafür nicht in komplett neue Technologien investieren", erklärt Airbus-Chef Faury.
Ein disruptives Konzept gibt es auch - ein Wasserstoff-getriebener Nurflügler, den sogenannten Blended Wing Body. Hier formen Flügel und Rumpf einen durchgehenden aerodynamischen Körper. Diese Konfiguration, zuletzt etwa von KLM und der TU Delft mit ihrem Flying V-Konzept vorgestellt, gilt ohnehin als zukunftsträchtig. "Der Nurflügler ist aerodynamisch das vorteilhafteste Modell zur Integration der Wasserstofftanks", so Grazia Vittadini gegenüber DW. "Aber das heißt nicht, dass das bei den anderen Parametern ebenfalls die optimale Lösung ist."
Nicht gänzlich emissionsfrei
Die Airbus-Initiative stößt auch in der Wissenschaft auf Zuspruch. "Die Welt ist reif dafür und Airbus hat die Gunst der Stunde genutzt", sagt Dragan Kozulovic, Professor für Flugtriebwerke an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) zu DW. Dass die Studien gänzlich ohne Kerosin auskämen sei bemerkenswert, die geplante Markteinführung bis 2035 durchaus realistisch.
Kozulovic hält dabei die Realisierung des Entwurfs des Wasserstoff-getriebenen Turboprop-Flugzeugs für am wahrscheinlichsten. Entscheidend für den Erfolg sei aber, dass die dafür die am Boden nötige Infrastruktur für die kommerzielle Nutzung von Wasserstoff geschaffen werde, von der Produktion über die Lagerung bis zur Betankung, "das ist eine Mammutaufgabe".
Wasserstoff ist dabei nur dann nachhaltig, wenn er durch grünen Strom etwa aus Sonnen- oder Windenergie hergestellt wird. Der Professor wehrt sich aber gegen die Etikettierung der ZEROe genannten Airbus-Konzepte als "emissionsfrei". Denn auch ohne CO2-Erzeugung entstehe durch Wasserstoffverbrennung weiterhin Wasserdampf als Emission, Auslöser von klimarelevanten Kondensstreifen am Himmel. Auch Stickoxide würden weiter freigesetzt. "Diese Flugzeuge wären deutlich besser, aber nicht emissionsfrei", erklärt Dragan Kozulovic.