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Das gefährliche Spiel der Spitzenkandidaten

Christian F. Trippe7. März 2014

Zum ersten Mal bewerben sich bei der Europawahl Spitzenkandidaten um das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Doch der Wahlkampf könnte in eine Sackgasse führen, meint Christian F. Trippe.

Christian Trippe, Leiter DW-Studio Brüssel

Auf den ersten Blick verspricht der Mai zu einem Wonnemonat der europäischen Demokratie zu werden. Europas Bürger sind aufgerufen, in der vorletzten Mai-Woche ein neues Parlament zu wählen. Dabei stellen die europäischen Parteienfamilien erstmals Spitzenkandidaten auf, als Bewerber für das mächtige Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Wer künftig die stärkste Fraktion stellt, dessen Kandidat soll mit dem Rückenwind des Parlaments die Brüsseler EU-Verwaltung leiten.

Nach Lage der Dinge können sich darauf nur die Bewerber der beiden großen Volksparteien Hoffnung machen: Der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz, derzeit noch Präsident des Europa-Parlaments oder der Luxemburger Christdemokrat Jean-Claude Juncker, langjähriger Premier seines Landes und ehemaliger Chef der Eurogruppe.

Beide sind bodenständige Politiker und leidenschaftliche Europäer, beide beherrschen die drei Amtsprachen der Union. In Fernsehduellen auf Deutsch, Französisch und Englisch wird der Streit zweier ebenbürtiger 'political animals' inszeniert werden. Umfragen übrigens sehen Sozialisten und Konservative europaweit Kopf-an-Kopf. Ein ganz normales Wahlszenario also. Wahlkampfstrategen und Werbeleute, Schulz und Juncker sowieso, wollen genau diesen Eindruck erwecken. Doch da beginnt ein großes, ein vielleicht sogar gefährliches Missverständnis.

Grundlagenvertrag ohne 'Spitzenkandidaten'

Die EU ist schließlich kein parlamentarisches System. Das EU-Grundgesetz, der Vertrag von Lissabon, sagt klipp, aber leider nicht klar: Die Staats- und Regierungschefs bestellen den Kommissionspräsidenten "im Lichte der Ergebnisse" der Europawahlen. 'Spitzenkandidaten' kommen im Grundlagenvertrag jedenfalls nicht vor.

Auch politisch hat das Parlament nur begrenzten Einfluss auf die Ratschlüsse der vielen Herren und wenigen Damen, die auf ihren regelmäßigen Gipfeltreffen die Geschicke der Union leiten. Denn im EU-Parlament gelten ganz andere Spielregeln als auf nationalen Bühnen: mal ist es die parteipolitische Bindung, mal die nationale Herkunft, die bei den Abgeordneten den Ausschlag gibt. Nicht ohne Grund gilt das Parlament in den Hauptstädten der Mitgliedsländer als ziemlich unberechenbar und in seinem Drängen auf immer mehr Integration als Inbegriff der "Verbrüsselung".

Kurzum, Angela Merkel, François Hollande, David Cameron und Co verspüren schon jetzt wenig Neigung, sich den Mann für's wichtigste EU-Amt vom Parlament vorsetzen zu lassen.

Spitzenkandidaten gegen sinkende Wahlbeteiligung

Dabei sollten die Spitzenkandidaten doch nur Gutes bewirken: Der oft so abstrakten und fernen Brüsseler Politik ein Gesicht geben. Die Europawahl aufwerten, indem diese Wahl mit der Machtfrage verknüpft wird. Das alles, um endlich wieder mehr Bürger in die Stimmlokale zu locken. Seit 1979, seit der ersten Direktwahl zum Europa-Parlament, sinkt die Wahlbeteiligung von Wahl zu Wahl. Zuletzt, vor fünf Jahren, lag sie bei beschämenden 43 Prozent.

Spitzenkandidaten, so die Strategen in Straßburg und Brüssel, könnten diesen Negativtrend umkehren. Mit den Spitzenkandidaturen, so glauben immer noch viele, sei ein wirksames Heilmittel gefunden gegen das notorische Demokratiedefizit der EU.

Und wenn diese Medizin nicht wirkt, weil das Kalkül nicht aufgeht? Wer diese Frage stellt, der erntet in Brüssel derzeit Schulterzucken. Dabei wissen alle um das Vabanque-Spiel der Kandidaten. Martin Schulz, Jean-Claude Juncker und auch die Frontleute der kleineren Parteien beginnen nun eine Wahlkampagne, die schnell in der politischen Sackgasse enden könnte.

Gut möglich, dass die Staats- und Regierungschefs Ende Mai "April-April" sagen - und jemanden zum Kommissionspräsidenten wählen, der gar nicht zur Wahl stand. Dann droht eine Blockade der europäischen Institutionen, immer mehr Bürger dürften sich von der EU abwenden. Für die europäische Demokratie wäre das ein Totalschaden.

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