Seit Menschengedenken ist das Gehirn das größte Rätsel des Menschen. Die Bundeskunsthalle in Bonn sucht - mit Hilfe von Wissenschaft und Kunst - nach Antworten.
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Das Gehirn - Rätsel der Menschheit
Was haben wir im Kopf? Wie funktioniert unser Oberstübchen? Die Bundeskunsthalle verbindet Wissenschaft und Kunst - und gibt Antworten.
Bild: Antonio Gravante/dpa/picture alliance
Die Seele als Vogel
Was macht den Menschen aus - sein Denken, sein Fühlen, seine Seele? Viele Glaubensrichtungen haben darauf ihre ganz eigenen Antworten gefunden. Im Alten Ägypten verbanden die Menschen die menschliche Seele mit dem Bild eines Vogels, der nach dem Tod in den Himmel aufsteigt. Einen solchen Seelenvogel - 2400 Jahre alt - zeigt die Bundeskunsthalle jetzt in ihrer großen Ausstellung über das Gehirn.
Bild: KHM-Museumsverband
Archiv aus Pappschachteln
Seit der Antike machten sich die Menschen ein Bild vom Innern unseres Schädels. Der Philosoph Aristoteles etwa hielt das Gehirn für ein Kühlaggregat des Blutkreislaufes. Der israelische Künstler Yaron Steinberg entwarf 2011 diese Hirnskulptur als ein Archiv aus Pappschachteln und Schubladen voller Gedanken und Erinnerungen. Sogar Weihnachtslichter haben darin ihren Platz.
Ungewöhnliches Selbstporträt
Die deutsche Künstlerin Isa Genzken näherte sich der Frage nach dem Gehirn auf eine geradezu medizinische Weise: "Mein Gehirn" heißt ihre Fotoarbeit von 2010, für die sie CT-Aufnahmen ihres eigenen Kopfes verwendete. Bei dieser 3D-Röntgenuntersuchung entstehen Schnittbilder des Körpers. Genzkens Arbeit funktioniert als Selbstporträt, schließlich ist das Gehirn so unverwechselbar wie das Gesicht.
Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Freundliche Inspiration
Über die Jahrhunderte laborierte die Medizin an ihrem Verstehen des menschlichen Gehirns. Erst bildgebende Verfahren im 20. Jahrhundert brachten einen Durchbruch. Dennoch bleibt vieles offen: Wie entsteht unser Denken und Fühlen? "Inspiration" heißt dieses Bild von Maria Lassnig (1919−2014). Darin schwebt ein grünes Wesen mit einem freundlich erhobenen Zeigefinger über einem liegenden Paar.
Bild: Maria Lassnig Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2021/22
Der Schädel von Descartes
René Descartes (1596-1650) war ein französischer Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler. Von ihm stammt das Dictum "cogito ergo sum" ("Ich denke, also bin ich"). Der mit einer Inschrift versehene Schädel des berühmten Denkers, dessen Schriften nach seinem Tod vom Papst verboten wurden, zählt heute zu den kostbarsten Objekten des Pariser Musée de l'Homme - und ist jetzt in Bonn zu sehen.
Bild: Muséum national d’histoire naturelle – JC Domenech
Kontaktversuch mit Hirn
Was trennt Wissenschaft und Religion? Das untersucht die chinesische Künstlerin Lu Yang. In ihrer Computerspielsimulation treten die buddhistischen Gottheiten der vier Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft mittels Tiefen-Hirnstimulation in Kontakt mit unserem Gehirn. Schon heute setzt die Medizin sogenannte "Hirnschrittmacher" ein, um Parkinson, Epilepsie oder Depressionen zu behandeln.
Bild: Lu Yang and Société
Kiki Smiths Traum
Sind mein Ich und mein Körper dasselbe? Viele Menschen fragen sich das, obwohl der Dualismus, die Trennung von Leib und Seele (oder Körper und Geist), heute unser Verständnis von Sterben und Tod prägt. Auch die Frage nach dem freien Willen knüpft sich daran oder die Frage, wie wir träumen. Die Deutsch-Amerikanerin Kiki Smith (geb. 1954) nannte ihre zweifarbige Radierung von 1992 schlicht "Traum".
Bild: Lehmbruck Museum, Duisburg
Christus trägt Marias Seele
Was geschieht mit der Seele nach dem Tod? Die Frage trieb die Christen des Mittelalters um. Diese Holzskulptur vom Bodensee, "Christus mit der Seele Mariens", belegt dies: Christus trägt die Seele seiner Mutter Maria in Form eines Kindes auf dem Arm. Die Darstellung symbolisiert die Überzeugung, dass die Seele eine eigenständige, vom Körper unabhängige Wesenheit sei.
Bild: Landesmuseum Württemberg, P. Frankenstein / H. Zwietasch
Wilde Szenen zeigen Gefühle
Menschenfiguren streiten, kämpfen, leiden, verletzen, verwandeln sich und beobachten - Einblicke in einen menschlichen Schädel gewährt der britische Künstler Richard Ennis in seinem Bild von 1991. Die teils verstörenden Szenen spiegeln offenkundig menschliche Gefühle wider. Wie es scheint, wurde Ennis durch Anatomiebücher in seiner Kindheit inspiriert. In der Bonner Ausstellung lassen sie staunen.
Bild: CC BY 4.0
Max Ernst und die zersplitterte Welt
Mit dem Psychoanalytiker Sigmund Freud und der Kunst psychisch erkrankter Menschen beschäftigte sich der deutsche Künstler Max Ernst (1891–1976). Dieses Porträt malte er um 1913 während seiner Studienzeit in Bonn, wo er unter anderem Philosophie, Psychologie und Kunstgeschichte studierte. Die Welt um die hier dargestellte Person zersplittert förmlich.
Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2021/2022
Sehenswertes Experiment
Das menschliche Gehirn ist ein Phänomen. Heerscharen von Wissenschaftlern, Denkern und Künstlern haben versucht, es zu enträtseln. Die Ausstellung im der Bonner Kunsthalle bündelt nun viele Fragen und Antworten - quer durch alle Wissensgebiete. Die Schau "Das Gehirn in Kunst & Wissenschaft" ist noch bis 26. Juni 2022 zu sehen. Ein Experiment, das zweifellos das Denken weitet.
Bild: Bildagentur-online/picture alliance
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Es ist so groß wie zwei geballte Fäuste, sieht aus wie eine überdimensionierte Walnuss und wiegt rund 1,5 Kilogramm: Aber nicht nur das. Im Gehirn laufen sämtliche Fäden unseres Denkens und Fühlens zusammen. "Diese Ausstellung ist eine große Reise durch dieses Organ", sagt Eva Kraus, die Intendantin der Bonner Bundeskunsthalle. Mit über 300 Exponaten tauche man ein "in diesen Kosmos, das letzte Rätsel unseres Körpers".
Was also gibt es Neues vom Gehirn? Und was sagt die Kunst zu unserem Denkorgan? Die Bonner Ausstellung "Das Gehirn in Kunst und Wissenschaft" versucht nicht mehr und nicht weniger als einen kulturgeschichtlichen Überblick. "Sie ist ein interdisziplinäres Experiment", wie Ausstellungskuratorin Henriette Pleiger betont, denn sie verbindet viele Disziplinen - die Hirnforschung mit der Philosophie, der Religion, der Medizingeschichte, der Psychologie - und schließlich auch der Kunst.
Wie funktioniert unser Gehirn?
Was haben wir da im Kopf? Wie funktioniert unser "Oberstübchen"? Immer schon zermarterten sich die Menschen das Hirn über den Inhalt ihres Schädels. Platon (428/427-348/347 v. Chr.) vermutete, dass Erinnerungen sich einprägen wie Abdrücke auf Wachstäfelchen, wie sie in der Antike gebräuchlich waren. Aristoteles hielt das Gehirn für ein Kühlaggregat des Blutkreislaufes. Goethe (1749- 1832) verglich den Denkprozess mit dem Schiffchen eines Webstuhls, das hin- und her saust und ein Gedankengewebe bildet.
Was passiert im Gehirn, wenn wir denken und fühlen?
Die Medizin näherte sich dem Organ über die Jahrhunderte an, etwa über Wachsmodelle, wie sie Friedrich Ziegler Ende des 19. Jahrhunderts anfertigte, um die Entwicklung des Gehirns beim Embryo darzustellen. Heute lässt sich mit modernster Technik in Sekunden ins Innere des Gehirns reisen. "Die Problematik ist, dass man versucht, mit dem Hirn andere Hirne zu verstehen", sagt der Berliner Hirnforscher John-Dylan Haynes, Co-Kurator der Ausstellung, der an der Berliner Charité forscht.
Die Ausstellung ist klar gegliedert und kreist um fünf Fragen: Da geht es um den Bauplan und die Funktionsweise des Gehirns, die evolutionäre und embryonale Entwicklung und die Geschichte der Hirnforschung. Dann wird beleuchtet, was im Gehirn passiert, wenn wir denken und fühlen. Dazu kennt die Sprache eine Vielzahl von Analogien und Metaphern: Wir "speichern" etwas im Gehirn ab, oder wir haben ein "Gedächtnis wie ein Sieb". Manchmal "tickt" unser Gehirn nicht richtig oder unser Verstand "rostet ein" wie eine Maschine.
Lässt sich das menschliche Gehirn noch optimieren?
Philosophisch wird es, wenn die Schau das menschliche Bewusstsein ins Visier nimmt oder auch das Verhältnis von Seele und Körper. Gibt es ein unveränderliches Ich, eine Frage, die viele Religionen stellen. Und was ist mit dem so genannten "freien Willen"? Wie die Welt in den Kopf kommt, fragt die Ausstellung. Wie verlässlich sind Wahrnehmung und Gedächtnis? Was bedeuten Nahtoderfahrungen und Hirntod? Schließlich diskutiert die Schau über eine Optimierung des Gehirns, sei es mittels Technik, durch Medikamente oder Drogen. Bereits heute gibt es Hirnschrittmacher als Implantate, die zum Beispiel die Symptome der Parkinson-Erkrankung lindern.
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Medizin, Philosophie, Religion: alle interessieren sich für das Gehirn
Viele Exponate zeigen: Der Weg zwischen Kunst und Wissenschaft ist manchmal gar nicht weit. Computer-Scans des menschlichen Gehirns sehen aus wie abstrakte Kunstwerke, auch gezeichnete Landkarten des menschlichen Denkorgans, Gehirnmodelle und Bilder von Gehirnschnitten haben hohen ästhetischen Wert.
Zu sehen ist die Bonner Ausstellung "Das Gehirn. In Kunst & Wissenschaft" noch bis zum 26. Juni 2022. Unter den rund 330 Werken und Exponaten aus Kunst, Kulturgeschichte und Wissenschaft finden sich berühmte Objekte der Wissenschaftsgeschichte wie der Schädel von René Descartes oder Korbinian Brodmanns Zeichnungen zur Kartierung des Gehirns. Daneben präsentiert die Schau Werke bekannter Künstlerinnen und Künstler, Arbeiten etwa von Willi Baumeister, Max Ernst, Isa Genzken und Wilhelm Lehmbruck. Sie alle nähern sich dem Rätsel Gehirn mit ihren ganz eigenen Fragen.