Das Gespenst einer Bankenkrise
14. Oktober 2011Nach der ersten Finanzkrise 2008 wurden Banken mit Steuergeldern gerettet. Dies sei ebenso "alternativlos" wie einmalig – hieß es damals aus Politiker-Mund. Nun könnte ein Schuldenschnitt für Griechenland ein zweites Mal dazu führen, dass Banken mit Steuermitteln vor der Insolvenz gerettet werden müssen.
Die Ratingagentur Fitch holte in der Nacht zum Freitag (14.10.2011) bereits zum Rundumschlag in der weltweiten Bankenbranche aus. Sie drohte mehreren Großbanken mit der Herabstufung ihrer Kreditwürdigkeit. Zu den Geldhäusern in Europa, die auf der Beobachtungsliste mit einem negativen Vorzeichen stünden, gehörten die Deutsche Bank, die britische Barclays Bank, aus Frankreich die BNP Paribas und Société Generale sowie Credit Suisse aus der Schweiz, teilte Fitch mit. Hintergrund seien die derzeitigen wirtschaftlichen Herausforderungen sowie Änderungen bei der Regulierung, so die Begründung.
Keine Bankenkrise, sondern Staatsversagen
Den Grund für die aktuellen Probleme sieht der Finanzwissenschaftler Hans-Peter Burghof im Gespräch mit DW-WORLD.DE eindeutig auf Seiten der Politik: "Durch Hilfsmaßnahmen haben die europäischen Regierungen dafür gesorgt, dass sich Staaten den Gesetzen des Marktes entziehen und auf diese Weise günstig an Kredite kommen konnten." Wer günstige Kredite bekommt, finanziert "Überkonsum und politisches Fehlverhalten" auch weiterhin auf Pump und sorgt so für eine permanente Ausweitung der Krise. Hat es sich 2008 also um eine Banken- und Finanzmarktkrise gehandelt, geht Burghof jetzt von einem "Politikversagen" aus, weil die Kontrollwirkung der Märkte ausgeschaltet worden sei.
Aber gerade der Kreislauf aus dem steigenden Kreditbedarf von Staaten, die jahrelang über ihre tatsächliche Wirtschaftskraft gelebt haben, und dem Bestreben der Banken, Staatsanleihen mit hohen Zinsen zu kaufen, hat die derzeitige Bankenkrise beschleunigt. Denn die Staatsanleihen von Staaten, bei denen ein Schuldenschnitt droht, werden in den Bilanzen der Bankinstitute als Haben ausgewiesen. Wenn diese Positionen nun wegen des Schuldenschnitts um vielleicht mehr als 50 Prozent reduziert werden müssen, stehen die betroffenen Banken vor dem Abgrund.
Regeln für "systemrelevante" Banken
Insbesondere Großbanken, deren geschäftliche Aktivitäten in vielen Ländern der Eurozone liegen, gelten als besonders "schützenswert", weil ihr Zusammenbruch eine Kettenreaktion in der Europäischen Union auslösen könnte. Diese nicht neue Erkenntnis sollte nach der Krise von 2008 zu gesetzlichen Einschränkungen für die Banken führen. Aber Bert van Roosebeke vom Centrum für europäische Politik in Freiburg stellt gegenüber DW-WORLD.DE fest, dass eigentlich nicht viel passiert ist: "Man redet in der EU seit Jahren darüber, die Macht der systemrelevanten Banken zu schwächen." Es gebe aber unterschiedliche Vorschläge, einigen könne man sich derzeit jedenfalls nicht.
Die Regulierung des Bankensektors ist nämlich nicht so einfach wie die Zerschlagung der Strommonopole durch die Auflage an die Energiekonzerne, ihre Netze zu verkaufen. Übertragen auf die "systemrelevanten" Banken könnte das eine Aufteilung in eine klassische Bank und eine Investmentbank bedeuten. Es sei nicht schwer, ein entsprechendes Gesetz zu formulieren, meint van Roosebeke. "Aber was dürfen die beiden entstehenden Banken unternehmen? Die klassische Bank (…) nimmt ja Einlagen von Kunden entgegen und soll damit etwas machen. Die Kunden wollen ja einen Zins bekommen." Darf die klassische Bank also Staatsanleihen von Ländern kaufen, die mit einem Risiko behaftet sind und deshalb höhere Zinsen abwerfen? Die Definition der Betätigungsfelder einer klassischen Bank und einer Investmentbank ist also relativ schwierig.
Europäische Regeln
Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy plädieren für eine Art "europäisches Wirtschaftsministerium", um der Probleme in der Eurozone durch Kontrolle der nationalen Haushalte besser Herr werden zu können. Hans-Peter Burghof weist darauf hin, dass die derzeit "gültigen EU-Vertragswerke unverbindliche Vereinbarungen sind, an die man sich offenbar nicht zu halten braucht." Bevor derartige Mechanismen greifen könnten, müssten also die europäischen Vertragswerke verändert und demokratische Kontrollmechanismen eingebaut werden. Eine Änderung der Verträge ist aber nur mit Zustimmung aller Parlamente in der EU möglich – ein Procedere, das Jahre in Anspruch nehmen würde.
Aber trotz der momentanen Finanzkrise können sich die Regierungen nicht auf ein gemeinsames Bankengesetz einigen, das eine "geregelte Insolvenz" ermöglicht, ohne dass zu große Kollateralschäden entstehen. Deshalb schlägt der Finanzmarktexperte Bert van Roosebeke ein "europäisches Sonderrecht" vor. Für ihn ist die Möglichkeit einer europäischen Regelung für "geordnete Pleiten" vorrangig, denn "es wird nicht funktionieren, die bestehenden Regeln zu harmonisieren. Das wird viel zu lange dauern und viel zu aufwendig sein."
Europäische Bankenaufsicht
Ungeachtet der aktuellen Kritik gibt es seit der Krise des Jahres 2008 bereits europäische Institutionen, die den Finanzmarkt in Europa kontrollieren beziehungsweise regulieren sollen. Die Eigenkapitalrichtlinie gilt in allen Ländern, diese aber wird unterschiedlich ausgelegt, und die Europäische Bankenaufsicht gibt es bereits. Beides sind Instrumentarien, um Verwerfungen auf dem Finanzmarkt entgegenzutreten. Bert van Roosebeke: "Man versucht, tatsächlich einheitliche europäische Regeln auch wirklich durchzusetzen." Aber der Finanzwissenschaftler sieht auch ein starkes Demokratie-Defizit, denn "inwieweit ist eine europäische Bankenaufsicht legitimiert?"
Autor: Matthias von Hellfeld
Redaktion: Julia Elvers-Guyot/Ursula Kissel