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Das Gewalthilfegesetz in Deutschland: 5 Fragen und Antworten

27. November 2024

Einigen sich die deutschen Parteien noch vor den Neuwahlen darauf, Frauen und Mädchen besser vor Gewalt zu schützen? Das Kabinett hat das Gewalthilfegesetz beschlossen.

Auf den Treppen vor dem deutschen Bundestag in Berlin steht eine große Gruppe von Frauen, darunter Familienministerin Lisa Paus. Sie halten ein rotes Transparent mit der Aufschrift: "Gewaltschutz für alle Frauen - JETZT"
25.11.2024: Frauenverbände und Unterstützerinnen haben Bundesfamilienministerin Lisa Paus den offenen Brief "Stoppt Gewalt gegen Frauen - jetzt!" übergebenBild: BMFSFJ

1. Was soll das Gewalthilfegesetz bewirken?

"Deutschland hat ein Gewaltproblem gegen Frauen und mit diesem Gesetz können wir die Gewalt bekämpfen", sagte Frauen- und Familienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Grüne), nachdem das Kabinett den Entwurf aus ihrem Ministerium beschlossen hat. Schon lange hat sie dafür geworben: "Das Gewalthilfegesetz wird Leben retten." Und: "Frauenrechte sind Menschenrechte", betont Paus.

Das Gesetz will für Betroffene von Gewalt erstmals einen Rechtsanspruch auf kostenlosen Schutz und Beratung schaffen. Die Bundesländer sollen verpflichtet werden, genügend Schutzplätze in Frauenhäusern und Beratungsstellen bereitzustellen. Bisher fehlen nach den Vorgaben der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen in Europa in Deutschland fast 14.000 Schutzplätze für Frauen und ihre Kinder. Viele Frauen, die Schutz suchen, werden abgewiesen.

Zusätzlich soll die Prävention ausgebaut werden; zum Beispiel durch Aufklärung und Täterarbeit. Zuständige Stellen wie Polizei, Jugendämter, Justiz oder Kitas und Schulen sollen besser vernetzt werden.

Sie habe das Gesetz mit den Ländern am Runden Tisch "Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen" abgestimmt, sagte Paus. Wichtig für die Bundesländer und die Kommunen, die das Angebot ausbauen und unterhalten sollen: Der Bund will sich an den Kosten beteiligen - erstmals ab 2027. Für die dann  insgesamt zehn Jahre bis 2036 nennt der Gesetzentwurf eine Summe von deutlich über zwei Milliarden Euro, die der Bund übernimmt.

2. Wie groß ist das Problem der Gewalt gegen Frauen?

Das Problem in Deutschland ist groß, genau wie in Europa insgesamt und weltweit. In Deutschland steigt die Gewalt gegen Frauen an, das zeigte zuletzt das erstmals vom Bundeskriminalamt (BKA) erstellte Lagebild zu geschlechtsspezifischen Straftaten gegen Frauen. 2023 wurde fast jeden Tag eine Frau oder ein Mädchen getötet, noch viel häufiger gab es versuchte Femizide: die Tötung von Frauen, weil sie Frauen sind.

Alle drei Minuten erlebt eine Frau oder ein Mädchen häusliche Gewalt. Jeden Tag werden mehr als 140 Frauen und Mädchen in Deutschland Opfer einer Sexualstraftat. Alle Formen von Gewalt gegen Frauen sind gestiegen, auch digitale Gewalt. Das BKA geht davon aus, dass die tatsächlichen Zahlen noch weit höher sind. Das Dunkelfeld von nicht angezeigten und damit nicht erfassten Taten soll weiter untersucht werden.

3. Warum wurde das Gesetz noch nicht verabschiedet?

In der sogenannten Ampelregierung (SPD, Grüne und FDP) gelang wegen der geplanten Finanzierung durch die Bundesregierung keine Einigung mit dem damaligen FDP-Finanzminister Christian Lindner. Er habe gesagt: "Dafür steht kein Geld zur Verfügung", berichtete Paus. Erst nach dem Ausscheiden der FDP vor wenigen Wochen einigten sich SPD und Grüne auf einen Gesetzentwurf, den sie noch vor den geplanten Neuwahlen im Februar verabschieden wollen.

Ministerin Paus stellt fest: "Mit dem heute im Bundeskabinett beschlossenen Gewalthilfegesetz haben wir endlich ein wirksames Mittel gegen die grassierende Gewalt gegen Frauen in Deutschland." Aber dazu müsste erst der Bundestag zustimmen - dort haben SPD und Grüne keine Mehrheit - und dann der Bundesrat, die Länderkammer.

4. Was fordern Wohlfahrts- und Frauen-Verbände?

Am internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen (25.11.) haben der Deutsche Frauenrat und UN Women gemeinsam mit Prominenten einen Brandbrief unter der Überschrift "Stoppt Gewalt gegen Frauen - jetzt!" an Bundesministerin Paus übergeben. Die Zahl der Unterschriften steigt seit Wochen. Weit über 80.000 Menschen fordern mittlerweile auf diesem Weg, das Gewalthilfegesetz zu beschließen.

"Worauf warten wir noch?", fragt der "Paritätische Wohlfahrtsverband" gemeinsam mit prominenten Personen aus Kultur und Wirtschaft in einem YouTube-Video.

Dabei gab und gibt es auch Kritik am Entwurf. "Pro Asyl" etwa fordert Verbesserungen für geflüchtete Frauen. Weil sie nur an einem bestimmten Ort wohnen dürfen, sei es ihnen oft unmöglich, einen Platz in einem Frauenhaus zu bekommen.

5. Wird das Gewalthilfegesetz verabschiedet?

Weil die amtierende Regierung aus SPD und Grünen nach dem Ausstieg der FDP keine eigene Mehrheit im Bundestag hat, ist sie auf die Opposition angewiesen. Die Linkspartei hat Zustimmung signalisiert, verfügt aber über zu wenig Sitze. Es kommt also vor allem auf die größte Oppositionsfraktion aus den konservativen Parteien CDU und CSU an.

Wie viele andere hat auch CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz auf der Plattform X zum internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen (25.11.) gemahnt: "Gewalt gegen Frauen darf in Deutschland keinen Platz haben. Die aktuellen Zahlen sind alarmierend."

Dass CDU und CSU dem Gesetzentwurf zustimmen, ist allerdings fraglich. Die Unionsfraktion hat einen eigenen Antrag zum Gewaltschutz vorgelegt. Die familienpolitische Sprecherin Silvia Breher sagte dem "Spiegel": "Es ist doch lächerlich: erst über Jahre nichts hinbekommen und dann uns im Parlament sagen: Ihr müsst jetzt das Gesetz retten!"

Sie ergänzte: "Wir können unser Konzept gern in der nächsten Legislatur beschließen." Bis eine neue Bundesregierung gebildet ist und eigene Gesetze beschließt, dürften noch viele Monate vergehen, in denen Frauen Gewalt erleben.

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