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Politik

Das Happening beim Präsidenten

25. Juli 2017

Vor dem polnischen Präsidentenpalast sind erneut Demonstranten versammelt, als Duda sein Veto gegen die Justizreform verkündet. Einige von ihnen kommen seit Wochen auf den Platz. Rosalia Romaniec berichtet aus Warschau.

Polen Demonstrationen in Warschau
Bild: DW/R. Romaniec

Das gemütliche Boulevard der Warschauer Altstadt platzt seit Tagen aus allen Nähten. Sobald die Sonne etwas tiefer über den Dächern der renovierten Häuserfassaden steht, füllt sich der Platz vor dem Präsidentenpalais. Mit Fahnen und Kerzen strömen auffallend viele junge Menschen hierher, und wenn es dämmert, zünden sie die mitgebrachten Lichter an. Andrzej Duda, mit Mitte 40 der jüngste Präsident Polens, wagte an diesem Tag mit einem doppelten Veto seinen ersten Emanzipationsschlag von der regierenden PiS-Partei. Viele danken ihm dafür und zugleich machen sie vor seinen Fenstern klar, dass da noch mehr ginge: "Drei mal Veto, Mr. Präsident!", rufen sie im Chor.

Jugend erwacht

"Wir kommen seit Tagen hierher, einen Plan gibt es nicht", sagt Aleksandra Radzik, eine junge Werbemanagerin in einem internationalen Konzern in Warschau. Auch sie hält ein Kerzenglas mit brennendem Licht in der Hand. "Das Glas und die Lichter sind seit Tagen in meiner Tasche", erzählt die 29-Jährige lächelnd. Sie druckte auch Hunderte kleine Plakate am Arbeitsplatz, das ginge in diesen Tagen in Ordnung, sogar in einem internationalen Konzern. Sie und ihre Freunde treffen sich nach dem Feierabend täglich im Zentrum. Warum? "Weil wir zu denen gehören, die verstehen, dass es hier um unsere Zukunft geht." Pathetisch soll es nicht klingen, meinen sie.

Die 29-Jährige Aleksandra Radzik sorgt sich um Polens ZukunftBild: DW/R. Romaniec

"Jetzt im Sommer ist irgendetwas anders", erklärt die junge Werbefachfrau. "Die Regierung glaubte, dass in den Ferien keiner auf die Straße geht, und schon gar nicht die Jugend." Junge Leute waren bei bisherigen Protesten kaum zu sehen, ob aus Ignoranz oder Politikverdrossenheit - darüber stritten sich die Geister. "Jetzt sieht jeder, dass es hier nicht um Politik geht, sondern darum, ob wir in einem solchen Land leben wollen."

Eine kleine Jugendgruppe nebenan hört beiläufig zu und auch sie nicken. "Wissen sie", sagt Adam, ein Jurist im Warschauer Amtsgericht, "ich war im Winter nur einmal bei einer Demo, jetzt gehe ich jeden Tag. So wie diese Regierung weitermacht, habe ich Angst, dass sie uns bald aus der EU hinausführt!" Er fügt hinzu: "Brüssel muss wissen, dass es uns nicht egal ist."

Musik für Demokratie

Etwa zehntausend Menschen versammeln sich gestern Abend vor dem Sitz des Präsidenten. Es ist nicht die größte Demo der letzten Tage, aber die erste, die ganz ohne Politiker auskommt. "Heute geht es nicht darum, was uns trennt, sondern was verbindet", sagt Zuzanna Rudzinska-Bluszcz, eine junge Juristin, die einer Gruppe von Freunden angehört, die das Event organisiert hat.

"Wir sind nicht viele, nur ein paar Leute", sagt sie. "Wir hatten die Idee für eine Veranstaltung unter dem Motto 'Musik für Demokratie'", sagt die junge Frau. "Also haben wir mehrere Schauspieler und Musiker gefragt und fast 20 sagten zu."

Für das Programm ist das berühmte polnische Improvisationstalent zuständig. Die Polen wachsen damit auf: Nicht zugucken, sondern mitmachen, dann läuft es schon. Auch an diesem Abend. Zunächst lesen Schauspielerinnen die polnische Verfassung vor - ein Fragment, wo es darum geht, wer für das Wohl des Staates in erster Linie zuständig und verantwortlich ist. Dann halten verschiedene Menschen spontane Reden, anschließend wird die polnische Hymne gesungen, dann auch die europäische. Immer wieder rufen die Versammelten vor den Fenstern des Präsidenten Sprüche, wie: "Freiheit, Gleichheit und Demokratie".

Die Welle rollt

Der Präsident lässt sich nicht blicken, doch übersehen kann er die täglichen Demos nicht. Zuletzt folgten ihm die Demonstranten sogar in den Kurzurlaub. Ob er an dem Montagabend hinter den dicken Gardinen steht, weiß niemand, doch wenn laut "Dziekujemy!" (Danke!) gerufen wird, dann soll auch er das hören. Der Dank gilt zwar in erster Linie den Versammelten selbst, die durch ihre friedlichen Proteste den Präsidenten zum Nachdenken bewegten, doch sein doppeltes Veto gegen die umstrittenen Gesetze sorgt für eine bessere Stimmung am Abend.

Von der Bühne wird stets über aktuelle Ereignisse berichtet und so erfährt kurz nach 21 Uhr die Masse: "Es werden gerade gleichzeitig zwei Ansprachen ans Volk übertragen." Wieso zwei? - fragen sich viele. "Der Präsident und die Premierministerin halten ihre Reden gleichzeitig", sagt jemand von der Bühne und erklärt, die Rede des Präsidenten werde vom privaten Fernsehen übertragen, während das Staatsfernsehen die der Regierungschefin zeige. Das riecht weniger nach einem Kompromiss, eher nach einem Machtkampf in den kommenden Wochen.

Doch der Höhenpunkt des Abends tritt erst später ein. Irgendwann gegen 22 Uhr beginnt jemand, eine Liste mit vielen Ortsnamen vorzulesen. Es sind zunächst bekannte Städte, sowohl in Polen, als auch weltweit - überall dort, wo in diesen Tagen Menschen auf die Straßen gingen. Danzig. Krakau, Warschau - die Masse jubelt immer wieder. Berlin, München, London, Rom, Paris und andere - die Freude ist groß. Als dann kaum bekannte Namen aus der polnischen Provinz genannt werden - wird es stiller, intimer, irgendwie nachdenklicher, und dann immer wieder ein Applaus, der sich irgendwie erleichtert anhört. Denn in diesem Moment begreifen viele Versammelten, dass die Protestwelle, die sich bisher auf größere Städte begrenzte, jetzt durch Provinz rollt. "Das könnte das Ende der PiS werden", sagt eine Frau zu ihrer Freundin fast triumphierend. "Wenn die Provinz aufsteht, sind die erledigt."

Ein junger Mann hält eine Zeitung mit der Schlagzeile "Wir haben gewonnen - Danke - Es ist nicht das Ende" Bild: DW/R. Romaniec

"Auf dem Land fremdelt man bisher mit den Protesten in der Hauptstadt”, meint sie. "Dort hält man Richter für eine elitäre Gruppe. Aber es scheint, als habe man jetzt auch dort verstanden, dass diese Reform der Justiz alle treffen wird, ganz egal ob man in Warschau oder in Kedzierzyn Kozle lebt."

Zwischen Hoffnung und Gebet

Etwas abseits der Massendemo steht ein älterer Mann mit langen grauen Haaren lässig an einer Hausfassade des Boulevards, als wollte er sie stützen. Er sieht aus, als könnte er sehr wohl gleich auf eine Harley steigen und davonfahren. Doch er hat keine Harley, er kommt täglich zu Fuß, schaut sich die Massen an und zieht dabei genüsslich an selbst gedrehten Zigaretten. Und, gefällt es ihnen heute? "Ha, klar! Es ist gut hier. Vorher war ich um die Ecke beim Obersten Gericht, dort war auch gute Stimmung", sagt er. "Es gibt heute wieder viele Demos, auch vor dem Sitz der PiS und dort, am Kreuz. Beim Denkmal des Unbekannten Soldaten - da haben vorhin die PiS-Damen für die Erleuchtung des Präsidenten gebetet, damit er sein Veto zurückzieht und Kaczynski das Land weiter reparieren lässt", erklärt er ironisch mit dem Kopf schüttelnd.

Eine Viertelstunde später sind die Betenden aber schon weg, nur ihre Kerzen brennen noch. Zwei Touristinnen aus Massachusetts (USA) laufen einsam durch den Platz mit dem Kreuz mit einer Verwandten, aber sie beten nicht. Eigentlich sind sie auf Familienbesuch in Polen unterwegs. Sie hätten nicht gedacht, dass sie in fast jeder Stadt, die sie besuchen, gleich auch demonstrieren können. Aber sie finden es gut, dass die Polen dies so friedlich tun.

Um 23 Uhr lichten sich langsam alle Demonstrationen. Für die nächste Stunde füllen sich noch die Lokale entlang des Boulevards. An diesem Dienstag soll es weitergehen. Der polnische Improvisationsgeist lebt. Schon manchmal trug er unerwartete Früchte.

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