Das Immunsystem im Kampf gegen Corona
5. April 2020Wie reagiert unser Immunsystem auf das Coronavirus?
Das Coronavirus ist - wie jedes Virus - nicht viel mehr als eine Hülle um genetisches Material und ein paar Proteine. Um sich zu vermehren, benötigt es einen Wirt in Form einer lebendigen Zelle. Einmal befallen, führt diese aus, was das Virus befiehlt: Informationen kopieren, zusammenbauen, freisetzen.
Das aber bleibt nicht unbemerkt. Innerhalb weniger Minuten schreitet die körpereigene Immunabwehr mit ihrer angeborenen Antwort ein: Aus Blut und Lymphbahnen strömen Granulozyten, Fresszellen und Killerzellen herbei, um das Virus zu bekämpfen. Sie werden von zahlreichen Plasmaproteinen unterstützt, die entweder als Botenstoffe dienen oder die Zerstörung des Virus mit vorantreiben.
Bei vielen Viren und Bakterien reicht diese erste Aktivität des Immunsystems bereits aus, um einen Eindringling zu bekämpfen. Oft passiert das sehr schnell und effizient. Wir spüren, dass das System arbeitet: Wir sind erkältet, haben Fieber.
Eine Untergruppe der Signalproteine, die normalerweise von infizierten Zellen ausgeschieden werden, sind die Interferone. Das für die SARS-Epidemie 2003 verantwortliche SARS-CoV-1 scheint die Produktion eines dieser Interferone unterdrückt und dadurch das Anlocken von Immunzellen zumindest verzögert zu haben. In wieweit dies bei SARS-CoV-2 auch der Fall ist, ist bislang unklar. Interferone unterstützen aber die körpereigene Virenabwehr und werden nun in klinischen Studien als Therapie erprobt.
Ab einem gewissen Punkt ist die Wirtsantwort jedoch so stark, dass ihr Effekt kontraproduktiv sein kann. So strömen beispielsweise zahlreiche Immunzellen in unsere Lunge ein und führen dazu, dass die dünne Landbrücke, über die normalerweise Sauerstoff aus der Luft ins Blut übergeht, sich verdickt. Der Gasaustausch wird eingeschränkt, im schlimmsten Fall ist eine Beatmung notwendig.
Manchmal kann die Reaktion auch überschießen und sich ebenso gegen gesunde Zellen richten. Auch das könnte beim Coronavirus der Fall sein. Daher werden ebenso Medikamente ausprobiert, die eine überschießende Immunreaktion unterdrücken und die man aus der Behandlung von Autoimmunerkrankungen bereits kennt. Die Balance zwischen schützenden und zu aggressiven Immunprozessen in der Bewältigung des Coronavirus stellt derzeit ein großes Rätsel dar. Dieses müsse man nun erforschen, sagt Achim Hörauf, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie an der Universität Bonn.
Zeitverzögert setzt sich schließlich das erworbene Immunsystem in Bewegung. Es ist bei jedem Menschen unterschiedlich und abhängig davon, was wir erlebt haben und mit welchen Erregern wir in Kontakt gekommen sind. Während T-Zellen bei der Zerstörung infizierter Zellen helfen, bilden B-Zellen Antikörper, die das Virus in Schach halten können. Im Fall des Coronavirus sind das neutralisierende Antikörper, die an das Spike-Protein des Coronavirus binden. Dies ist die Angriffsstelle des Virus, mit dem es in den Wirt, also unsere menschliche Zelle, eindringt. Neutralisierende Antikörper setzen gezielt das Spike-Protein außer Gefecht. Unser Immunsystem merkt sich die Antikörper, die es gebildet hat, und ist dadurch für eine erneute Infektion mit dem gleichen Eindringling vorbereitet.
Gibt es eine Immunität? Wie lang hält sie an?
Die gute Nachricht: Es ist sehr wahrscheinlich, dass es eine Immunität gibt. Das legen die Nähe zu anderen Viren, epidemiologische Daten sowie Tierexperimente nahe. Soinfizierten Forscher vier Rhesusaffen, also eine dem Menschen nahe Spezies, mit SARS-CoV-2. Die Affen zeigten Symptome von COVID-19, der durch das Coronavirus ausgelösten Erkrankung, entwickelten neutralisierende Antikörper und erholten sich nach ein paar Tagen. Als man die genesenen Tiere erneut mit dem Virus infizierte, entwickelten sie keine Symptome mehr: Sie waren immun.
Die schlechte Nachricht: Man weiß (noch) nicht, wie lang die Immunität anhält. Abhängig ist sie davon, ob ein Patient erfolgreich neutralisierende Antikörper ausgebildet hat. Achim Hörauf schätzt, dass die Immunität mindestens ein Jahr andauern sollte. Innerhalb dieses Jahres wirke jeder erneute Kontakt mit dem Virus quasi wie eine Auffrisch-Impfung, die die Immunität wiederum verlängern könne.
"Das Virus ist so neu, dass keiner eine vernünftige Immunantwort hat", meint der Immunologe. Eine lebenslange Immunität hält er für unwahrscheinlich. Dieses "Privileg" sei Viren vorbehalten, die lange Zeit im Körper verbleiben und unserem Immunsystem quasi permanent Gelegenheit geben, es kennenzulernen. Da das Coronavirus ein RNA- (und kein DNA-)Virus ist, könne es sich nicht dauerhaft in den Körper ansiedeln, meint Hörauf.
Der Heidelberger Immunologe Stefan Meuer prophezeit, dass das Coronavirus zudem wie alle Viren mutieren werde. Er vermutet, dass dies in 10 bis 15 Jahren der Fall sein könnte: "Irgendwann wird uns die erworbene Immunität nichts mehr nützen, weil dann ein anderes Coronavirus wiederkommt, gegen das der nun gebildete Schutz uns nicht hilft, weil das Virus sich so verändert hat, dass die Antikörper nicht mehr zuständig sind. Und dann wird auch keine Impfung helfen."
Wie kann man sich die Antikörper-Reaktion des Immunsystems zu Nutze machen?
Schon heute sammeln Forscher das Plasma von Menschen, die eine Infektion mit SARS-CoV-2 erfolgreich überstanden haben, und behandeln damit in begrenztem Umfang an COVID-19 erkrankte Patienten. Das zugrunde liegende Prinzip: Passive Immunisierung. Die hierzu durchgeführten Studien zeigen bislang positive Ergebnisse, wurden jedoch meist nur an wenigen Personen durchgeführt.
Bestenfalls setze man die passive Immunisierung erst dann ein, wenn das körpereigene Immunsystem eines Patienten bereits angefangen hat, gegen das Virus zu arbeiten, meint Achim Hörauf: "Je länger man die Patienten mit der Infektion alleine lassen kann, bevor man sie mit der passiven Immunisierung schützt, desto besser." Nur durch die aktive Immunisierung nämlich sei man auch längerfristig geschützt. Gleichzeitig sei es schwer, diesen Zeitpunkt zu erkennen.
Um zu untersuchen, ob ein Mensch am Coronavirus erkrankt ist, werden bislang PCR-Tests verwendet. Mit Hilfe einer PCR kann man nicht sagen, ob vermehrungsfähige Virus-RNA vorhanden ist oder nicht. Sie ist ein reiner Nachweis, ob überhaupt noch Virus vorhanden ist. Tot oder lebendig. Ein PCR-Test kann keine Aussage darüber treffen, ob unser Immunsystem bereits eingeschritten ist, wir also in der Vergangenheit Kontakt mit dem Virus hatten, Antikörper gebildet haben und nun geschützt sind. Forscher arbeiten daher an Tests, die unser Blut auf das Vorhandensein von Antikörpern untersuchen. Sie sind zum Beispiel in Singapur bereits in der Anwendung, stehen in den USA kurz vor Fertigstellung. Mit Hilfe dieser Tests könnte man endlich Übersicht in die unklaren Fallzahlen bringen. Zudem könnten Menschen, die Antikörper gegen das Virus entwickelt haben, beispielsweise im Gesundheitswesen "in vorderster Front" eingesetzt werden. In der Diskussion befindet sich sogar ein "Immunitätspass".
Kann man sich mehrmals mit Corona infizieren und/ oder erkranken?
"Nach allem, was wir wissen, geht das nicht mit demselben Erreger", meint Achim Hörauf. Man könne sich zwar mit anderen Coronaviren oder Viren aus der SARS- oder MERS-Gruppe infizieren, wenn deren Spike-Proteine, anders aussehen, "was die derzeitige Epidemie betrifft, kann man davon ausgehen, dass die Personen, die COVID-19 durchgemacht haben, daran erst mal nicht mehr erkranken und das Virus auch nicht weiter übertragen."
Ab wann ist man nicht mehr ansteckend?
Eine Studie, durchgeführt an den ersten Corona-Patienten in Deutschland, zeigte, dass sich ab Tag acht nach Symptombeginn keine vermehrungsfähigen Viren, die man in Zellkultur anzüchten kann, mehr finden lassen, auch wenn in der PCR noch bis zu 100.000 Genkopien pro Probe nachgewiesen werden können. Das könnte die bisherigen Empfehlungen zur Quarantäne in Zukunft verändern. Man könnte z.B. genesende Patienten dann früher aus Krankenhäusern entlassen, was die freie Bettenkapazität erhöhen könnte.
Nach Maßgabe des Robert-Koch-Instituts können Patienten bisher aus dem Krankenhaus entlassen werden, wenn sie innerhalb von 24 Stunden zwei negative PCR-Proben aus dem Rachenraum aufweisen. Falls sie einen schweren Verlauf hatten, sollten sie weitere zwei Wochen in der häuslichen Isolierung verbleiben. Für jede Entlassung, egal ob aus dem Krankenhaus oder häuslicher Isolierung, sollte man mindestens 48 Stunden symptomfrei sein.
Warum reagieren Menschen unterschiedlich stark auf das Virus?
Während einige Menschen mit einer milden Erkältung davonkommen, werden andere beatmungspflichtig oder sterben sogar an SARS-Cov-2. Insbesondere Menschen mit vorbestehenden Erkrankungen sowie Ältere scheinen dem Virus häufiger unterlegen zu sein. Warum? Das ist die aktuell heißeste Frage.
Es werde noch eine sehr, sehr lange Zeit dauern, um die mechanistischen, biologischen Grundlagen zu verstehen, warum einige Menschen so viel schwerer betroffen sind als andere, sagte die Virologin Angela Rasmussen gegenüber "The Scientist". "Das Virus ist wichtig, aber die Wirtsantwort ist mindestens genauso wichtig, wenn nicht wichtiger", meinte auch ihr Kollege Stanley Perlman gegenüber dem Magazin.
Stefan Meuer sieht in der unterschiedlichen Ausstattung und Aktivität unserer Immunsysteme ein grundlegendes Überlebensprinzip der Natur: "Wenn wir alle gleich wären, könnte ein und dasselbe Virus die ganze Spezies Mensch auf einmal ausrotten." Aufgrund der genetischen Spannbreite sei es ganz normal, dass einige Menschen an einer Viruserkrankung sterben, während andere diese noch nicht einmal bemerken.
Auch Achim Hörauf vermutet immunologische Varianten, die genetisch festgelegt sein könnten. Da man beim Coronavirus eine interstitielle Lungenentzündung beobachtet, stehe wahrscheinlich eine Überreaktion des Immunsystems im Vordergrund. Ebenso könne aber auch jeder Betroffene mit einer unterschiedlichen Dosis Virus beladen worden sein, was wiederum unterschiedliche Verläufe zur Folge hat. Und schließlich mache es einen Unterschied, wie robust Körper und Lunge sind. Leistungssportler haben schlicht mehr Lungenvolumen als langjährige Raucher.