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Nur ein fauler WTO-Kompromiss?

Thomas Kohlmann21. Dezember 2015

Die Mitglieder der Welthandelsorganisation haben sich in Nairobi auf den Abbau von Exportsubventionen für Agrargüter verständigt. WTO-Experte Heribert Dieter fordert das Ende weiterer wettbewerbsverzerrender Regelungen.

Baumwollernte in Elfenbeinküste
Bild: Issouf Sanogo/AFP/Getty Images

DW: Viele Teilnehmer haben die Ergebnisse von Nairobi als Erfolg gefeiert, viele Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam haben dagegen die Vereinbarungen heftig kritisiert. Wie fällt Ihre Bewertung aus? Ist das Glas halbvoll oder halbleer?

Heribert Dieter: Wenn man bedenkt, wie niedrig die Erwartungen zu Beginn der Konferenz waren, dann ist es schon ein Erfolg, der in Nairobi erzielt worden ist. Allerdings nur vor dem Hintergrund der niedrigen Erwartungen. Man kann festhalten, dass die WTO-Mitgliedsländer weiter im Gespräch bleiben, und dass sie sich auf einigen Gebieten einigen konnten.

Was fehlt, ist eine Verständigung darüber, welchen Weg die Welthandelsorganisation in Zukunft nehmen soll: Soll sie im Mittelpunkt des Welthandels und der damit verbundenen Themen stehen oder soll sie eher eine Rolle am Spielfeldrand spielen? Hier gehen die Meinungen weit auseinander - und das hat sich auch mit Nairobi nicht geändert.

Die Rolle der WTO muss neu definiert werden, meint SWP-Experte Heribert DieterBild: H. Dieter

Blicken wir einmal auf die Doha-Runde: Wie sinnvoll ist es eigentlich, sie in dieser Form weiter zu führen? Schließlich war die Welt 2001 eine ganz andere, wenn wir uns beispielsweise die Entwicklung in China oder Indien ansehen.

Die Doha-Runde ist natürlich ein schwieriges Konstrukt. Man hat die Doha-Runde auf den Weg gebracht, weil man damals glaubte, dass die Industrieländer auf die Entwicklungs- und Schwellenländer zugehen müssten. Aber wie Sie richtig sagen, war die Welt damals eine andere: Die Schwellenländer waren in wirtschaftlicher Hinsicht deutlich weniger mächtig als sie das heute sind. Zugleich ist das Konstrukt von Doha von dem Verhandlungsansatz geprägt, "nothing is agreed until everything is agreed". Im Deutschen würde man sagen: Nichts ist vereinbart, bis wir uns über alles verständigt haben. Und das ist Teil der Problematik.

Es ist so eine Art Pferdehandel: Jeder muss dazu beitragen, dass es dann am Ende zu einem Verhandlungserfolg kommen kann - und das ist schwer.
Die Amerikaner insbesondere kritisieren den mangelnden Fortschritt der Doha-Runde, sind aber selbst diejenigen, die mit mangelnder Kompromissfähigkeit auffallen. Und nimmt man das Ganze aus der Gesamtschau heraus, dann muss man in kleinen Paketen verhandeln - und das ist das, was die Amerikaner wollen.

Die EU hat zugesagt, die Exportsubventionen für Agrarprodukte etwa nach Afrika in den nächsten Jahren abzuschaffen. In den USA sagt man zwar auch 'Nein' zu Exportsubventionen, doch es soll auch in Zukunft vergünstigte Exportkredite für Farmer geben. Wie sehen Sie diese Diskrepanz?

Mit dem Verbot von Exportsubventionen ist das Kapitel der Verzerrungen beim Handel mit Agrarprodukten natürlich noch lange nicht beendet. Suventionen für Exporte sind nur die schlimmste Verzerrung, die wir haben. Es gibt noch eine ganze Reihe von verzerrenden Maßnahmen, auch in Europa. Das ist vor allem aus Sicht der Entwicklungsländer ein Problem.

"Nur die geringen Erwartungen im Vorfeld lassen es zu, von einem Erfolg der Verhandlungen in Nairobi zu sprechen"Bild: picture-alliance/landov

Es ist richtig, dass die Amerikaner hier noch sehr viel Nachholbedarf haben. Aber sie sind nicht bereit, diese Korrkturen vorzunehmen. Immer wieder wurden die USA kritisiert für Nahrungsmittelhilfen, die dazu dienten, amerikanische Überschussproduktion in Ländern der Dritten Welt auf die Märkte zu werfen - Stichwort US Aid - ohne darauf zu achten, was das für die lokalen Märkte bedeutet.

Ein weiterer Kritikpunkt sind seit vielen Jahren die Subventionen für die Baumwollproduktion in den USA. Die Amerikaner produzieren zu Kosten, die etwa doppelt so hoch sind, wie die westafrikanischer Länder. Doch diese westafrikanischen Länder konkurrieren nicht mit amerikanischen Baumwollbauern, sondern mit dem US-Finanzministerium. Und diesen Wettbewerb können sie nicht gewinnen.

Im Grunde stehen wir da noch am Anfang eines sehr langen Weges. Man sollte bedenken, dass ohne eine funktionierende Landwirtschaft Entwicklungswege außerordentlich schwierig sind. Das war in Europa nicht anders als in Ostasien. Und diesen Weg verbaut man afrikansichen Ländern, weil man ihre Landwirtschaft nicht auf die Füße kommen lässt. Und das ist weiterhin ein Problem. Allerdings nicht nur ein Problem bei den Amerikanern. Das gilt auch für die Europäer, die nicht so gut sind, wie sie es der Welt gegenüber darstellen.

Ungleicher Wettbewerb: Farmer in den USABild: AP

Wo müsste noch nachgebessert werden?

Bei Produktionssubventionen! Die Entwicklungsländer sagen: Es reicht nicht, wenn ihr aufhört, Exporte zu subventionieren. Wenn die inländische Produktion subventioniert wird und nicht nur Exporte, dann führt das zu verzerrten Wettbewerbsbedingenungen. Dann kann der Tomatenproduzent in Afrika mit dem europäischen Anbieter nicht wirklich konkurrieren. Jedwede Subventionierung von landwirtschaftlischer Produktion ist aus Sicht vieler Entwicklungsländer ein Problem.

Was muss aus Ihrer Sicht geschehen, um der WTO neues Leben einzuhauchen?

Wir brauchen als 'Weltgesellschaft', wenn ich das so sagen darf, ein Nachdenken darüber, was für eine Funktion die Welthandelsorganisation hat. Es geht hier nicht nur um ökonomische Fragen, sondern es geht auch um die politische Kooperation. Und wenn wir uns immer mehr in Präferenz-Abkommen - großen wie TTIP aber auch kleineren - verlieren, geht die Idee der Kooperation, der friedlichen, nicht diskriminierenden Kooperation verloren. Und das ist ein ganz gefährlicher Prozess, der fatal an die 1930er Jahre erinnert! Das ist noch viel zu wenig in der Diskussion. Und ich bin davon überzeugt, dass die WTO insbesondere für die ärmeren Entwicklungsländer eine ganz wichtige Rolle spielt. Dessen sind wir uns noch viel zu wenig bewusst.

Die WTO schützt die Schwachen. Die Starken können ihre Interessen auch ohne ein internationales Regelwerk duchsetzen. Zurück nach Genf (den Sitz der WTO, Anm. d. Redaktion), wäre meine Empfehlung. Aber viele große Akteure, allen voran die USA, aber auch die EU und die Japaner, wollen weg aus Genf, betrachten die WTO als lästig - und das ist eine gefährliche Entwicklung.

Heribert Dieter ist Welthandelsexperte bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik und hat die Verhandlungen in Nairobi verfolgt.

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