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Das Kalkül des Tayyip E.

Daniel Heinrich16. August 2015

Recep Tayyip Erdogan ist der starke Mann der Republik Türkei. Eigentlich will er sein Land in eine präsidiale Demokratie verwandeln. Das klappt aber nicht. Und langsam nervt er auch seine Verbündeten.

Türkischer Präsident Recep Tayyip Erdogan (Foto: Getty Images/G. Tan)
Bild: Getty Images/G. Tan

Es ist keine Überraschung mehr, dass die Koalitionsgespräche zwischen der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP und der republikanischen Volkspartei CHP diese Woche scheiterten. Zu groß waren die politischen Unterschiede, zu gering wohl auch der wirkliche Wille zur Koalition. Es war daher wohl auch nicht mehr als ein politisches Schauspiel, das bei den Gesprächen über ein mögliches Regierungsbündnis von den beiden Parteiführern Ahmet Davutoglu (AKP) und Kemal Kilicdaroglu (CHP) aufgeführt wurde. Kilicdaroglus Analyse fiel denn auch mehr als nüchtern aus: Eigentlich sei ihm gar keine Möglichkeit zur Koalition angeboten worden.

Für Kristian Brakel, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul, liegen die Folgen auf der Hand: "Eigentlich sind Neuwahlen nun fast unausweichlich", erklärt der Experte im DW-Gespräch. Es stünden zwar noch Gespräche mit der nationalistischen MHP aus. Aber die Chancen, dass daraus eine stabile Koalition erwächst, gehen eigentlich gegen null." Präsident Erdogan dürfte das freuen. Er möchte das Land in eine präsidiale Demokratie verwandeln, mit ihm selbst an der Spitze. Dazu muss allerdings die Verfassung des Landes geändert werden. Und dazu braucht seine AKP eine Zwei-Drittel-Mehrheit in der Großen Nationalversammlung. Neuwahlen also gleich Zwei-Drittel-Mehrheit? Kristian Brakel denkt, dass sich Erdogan damit verkalkuliert. Er glaubt kaum, dass das Wahlergebnis anders ausfallen würde als bei den Parlamentswahlen im Juni: "Die AKP wird wieder mit großer Mehrheit gewinnen, aber eben nicht die absolute Mehrheit bekommen können." Auf Platz zwei werde sich die CHP wiederfinden, gefolgt von den Nationalisten und der pro-kurdischen Volkspartei, der HDP.

Bomben für den Wahlerfolg

Erdogan allerdings glaubt immer noch an den großen Coup. Und so bombardiert die türkische Luftwaffe seit Wochen kurdische Milizen im Nordirak und in Syrien. Die PKK schlägt mit Terrorangriffen zurück. Ein jahrzehntelanger Konflikt, der bisher über 40.000 Todesopfer gefordert hat, ist mit einem Mal wieder auf der politischen Agenda. Und das obwohl sich beide Seiten 2013 auf einen Waffenstillstand geeinigt hatten. Der Polarisierung im Land scheint der Friedensprozess keinen Abbruch getan zu haben.

Auf der einen Seite: die Unterstützer des Präsidenten und die Nationalisten. Für sie hat die verbotene "Arbeiterpartei Kurdistans" Schuld an der Eskalation der Gewalt. Jedes Mittel der Sicherheitskräfte scheint ihnen recht. Auf der anderen Seite: die Kurden. Deren Hauptvorwurf an Erdogan lautet, dass er den gesamten Friedensprozess nur für seinen Wahlerfolg im November opfere.

Polizeiaktion gegen die PKK in der TürkeiBild: picture-alliance/AA/N. Boskut

Beide Seiten hätten bei der Bewertung der Situation durchaus Recht, meint Kristian Brakel: "Es ist klar, dass die PKK den Friedensprozess aufgekündigt hat." Für ihn sind deren Anschläge ganz klar als Terrorangriffe zu werten. Die türkische Regierung schieße bei ihrem jetzigen Vorgehen aber eindeutig über ihr Ziel hinaus: "Die jetzt von der türkischen Regierung losgetretene Verhaftungswelle und die Bombardierung von PKK-Stellungen ist ein Aufplustern eines Konflikts, bei dem es in erster Linie nur um innenpolitische Ziele geht."

Abzug der "Patriot"-Raketen

Erdogan pokert im Spiel um die Macht hoch. Und so langsam wird das auch seinen Verbündeten zu heikel. Nun hat sich die Bundesregierung dazu entschlossen, die Ende 2012 an der türkisch-syrischen Grenze stationierten "Patriot"-Abwehrraketen abzuziehen, einschließlich der 250 dort stationierten Soldaten. Diese waren dem NATO-Partner zum Schutz gegen Angriffe aus dem Bürgerkriegsland Syrien zur Seite gestellt worden.

Die formale Begründung aus Berlin lautet, dass die Gefahr nicht mehr gegeben sei. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich die deutsche Regierung nicht in einen Konflikt zwischen der türkischen Regierung und den Kurden ziehen lassen will. Die kurdischen Milizen gelten als enge Verbündete der westlichen Staaten im Kampf gegen den Islamischen Staat.

Schwere Zeiten für die deutsch-türkischen Beziehungen

Erdogan scheint die Missstimmung gegen ihn nicht wahrzunehmen. Oder sie ist ihm egal: "Die Türkei ist keine Bananenrepublik", schoss er am Wochenende in Richtung Berlin. Der Grund für seine Aufregung: Der ehemalige türkische Staatsanwalt Zekeriya Öz, als Anhänger der Gülen-Bewegung in der Türkei in Ungnade gefallen, konnte über Georgien und Armenien nach Deutschland fliehen. Erdogan ist darüber alles andere als glücklich. Er hat angekündigt, falls es nicht zu einer Auslieferung komme, werde er künftig auch keinen deutschen Rechtshilfeersuchen mehr stattgeben.

Kristian Brakel sieht schwierige Zeiten auf die deutsch-türkischen Beziehungen zukommen. "Diese neuen Aussagen Erdogans sind eine neue Stufe der rhetorischen Eskalation." Die Beziehungen hätten schon seit Jahren gelitten. "Zwar funktionieren sie noch, allerdings lassen die jüngsten Aussagen des Präsidenten erahnen, wie viel Konfliktpotenzial dort noch begraben liegt." Und das auch ganz ohne präsidiales System.

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