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Politik

EU: Das katalanische Dilemma

Barbara Wesel
4. Oktober 2017

Eine Reihe von Europaparlamentariern und die katalanische Unabhängigkeitsbewegung beschuldigen die EU, sie reagiere zu schwach auf die Ereignisse vom Sonntag. Aber was kann sie nach internationalem Recht überhaupt tun?

Spanien Girona nach dem Referendum in Katalonien
Bild: picture-alliance/dpa/AP/F. Seco

Deutsche Welle: Der EU wird häufig vorgeworfen, sie würde in die Mitgliedsstaaten hineinregieren. Jetzt wiederum wird verlangt, sie solle im Streit zwischen Madrid und der Region Katalonien eingreifen, und manche nennen ihre Reaktion "schwächlich". Kann sie überhaupt intervenieren?

Steven Blockmans: Wir müssen hier zwischen verschiedenen Dingen unterscheiden. Zum einen geht es um die territoriale Unverletzlichkeit und die Identität des spanischen Staates selbst, die durch die EU-Verträge gegen Eingriffe geschützt sind (Art.4 Satz 2). Und deshalb hat die Kommission auch festgestellt, dass sie sich nicht in die inneren Angelegenheiten Spaniens einmischen wird. Denn hier geht es jedenfalls um die verfassungsmäßige Ordnung in Spanien.

Lassen Sie uns Schritt für Schritt die Probleme durchgehen. Was bedeutet diese Klausel in den EU-Verträgen für eine Unabhängigkeitsbewegung wie die in Katalonien?

Nach internationalem Recht hat niemand das Recht auf Sezession, Abspaltung von einem Staat. Das ist nach den Regeln nur möglich, wenn es eíne gegenseitige Vereinbarung über einen solchen Prozess gibt. Und die existiert zwischen Madrid und Barcelona nicht. International betrachtet würde jede einseitige Unabhängigkeitserklärung durch Katalonien nicht anerkannt werden, weder durch Spanien noch irgendeinen Staat auf der Welt.

Schottland war ein anderer Fall

Wir hatten ja so einen Fall in der EU, nämlich bei der Unabhängigkeitsbewegung in Schottland, aber dafür gab es eine gemeinsame Verhandlungsbasis?

Genau so. Als die Schotten 2014 an die Wahlurnen gingen, geschah das im vollen Einvernehmen mit Westminster. David Camerons Regierung stellte damals fest, dass London und der Rest Großbritanniens das Ergebnis des Referendums respektieren würden, auch wenn es zur Unabhängigkeit für Schottland käme. Diese Position wurde inzwischen übrigens von Theresa Mays Regierung zurückgezogen.

2014 noch im Einvernehmen mit London: Befürworterin der Unabhängigkeit SchottlandsBild: picture alliance/M. Smith

Verstoß gegen Minderheitenrechte?

 In diesem Fall war das Verfahren also genau wie rechtlich vorgeschrieben. Aber in Spanien ist das nicht so gelaufen. Nun erheben die katalanische Regionalregierung oder auch die Unabhängigkeitsbewegung den Vorwurf, dass ihre Minderheiten- und Grundrechte mit Füßen getreten werden. Wie steht es damit?

Steven Blockmans: "Madrid muss selbst entscheiden"Bild: DW/L.Scholtyssyk

Darüber kann man streiten, insbesondere nach der Polizeiaktion vom Sonntag gegen den Versuch eines Referendums in Katalonien. Es waren brutale Bilder, und man könnte sagen, dass die Rechte der Menschen dort verletzt wurden. Allerdings muss man auch sehen, dass sie bewusst an einem illegalen Referendum teilnehmen wollten und wissen mussten, dass sie von der Polizei daran gehindert werden würden. Hier könnte es also um den Vorwurf der Unverhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes gehen.

Aber die Katalanen benutzen dieses Argument, um ihren Ruf nach Unabhängigkeit teilweise zu legitimieren: "Schaut her, was Madrid mit uns macht! Man sieht doch, dass das reine Repression ist…". Nun schreibt Art. 2 der EU-Verträge vor, dass Minderheiten- und Menschenrechte geschützt werden müssen. Und hier könnte man argumentieren, dass die Kommission dazu aktiv werden müsste, wenn denn ein Mitgliedsstaat tatsächlich dagegen verstößt.

Aber wie kann sie das feststellen, ob es so ist? Sollte sie Vertreter hinschicken und sich selbst als Vermittler einschalten?

Es wäre besser wenn sie diese Aufgabe an eine internationale Persönlichkeit oder Organisation von außen vergibt. Sie könnte zum Beispiel die Venedig-Kommission des Europarates einschalten. Da sitzen die angesehenen Experten, die solche Fragen untersuchen, und von dort könnte dann auch ein Unterhändler benannt werden - jemand mit Kenntnissen in internationalem Recht, der versucht, die beiden Seiten an einen Tisch zu bringen, und der hinter den Kulissen agieren kann.

Die Venedig-Kommission des Europarates: Hier sitzen die ExpertenBild: Venice Commission/CoE

Nachdem die EU-Kommission Madrid ja ermahnt und festgestellt hat, dass "Gewalt kein Mittel der politischen Auseinandersetzung" ist, kann sie jetzt nicht weiter gehen und Rajoy zum Dialog zwingen?

Das ist unmöglich. Die Regierung in Madrid muss selbst entscheiden, ob sie einen konstruktiveren Weg findet, mit den Gefühlen umzugehen, die da in einer ihrer wichtigsten Regionen aufgeflammt sind.

Es muss eine politische Lösung geben, vielleicht mit mehr Autonomie für Katalonien oder sogar einer Verfassungsänderung. Wir sehen hier eine Eskalation, die durch internationale Vermittlung gestoppt werden muss. Die Kommission kann das nicht leisten, weil sie keine Glaubwürdigkeit bei den Katalanen hat, obwohl die sie jetzt um Hilfe bitten. Worum es jetzt zunächst geht, ist, Zeit zu gewinnen für Gespräche zwischen den Parteien.

Ganz verschiedene Dinge

Manche werfen jetzt der EU-Kommission vor, sie verfolge Ungarn und Polen intensiv und scheue davor zurück, sich mit Spanien anzulegen. Sind das vergleichbare Fälle? 

Da geht es um ganz verschiedene Dinge. Zugegeben, es sieht schlecht aus, wenn die Brüssel die EU-freundliche Regierung in Madrid schont und die Europa-skeptischen Regierungen in Warschau und Budapest verfolgt. Aber sie verwischen das Prinzip der Gewaltenteilung, schaffen die Unabhängigkeit der Gerichte ab, hebeln ihre eigenen Verfassungen aus. Die Kommission hat also gute Gründe, gegen sie vorzugehen.

Juristisches Neuland: Der Lissabon-VertragBild: EC AV Service

Ist die EU-Kommission hier in einer rechtlichen und politischen Zwickmühle, nach der Devise, dass alles falsch ist, was sie tun könnte?

Sie hat ein politisches Problem und riskiert dadurch weiter, ihre Glaubwürdigkeit als unabhängige Institution und Hüterin der Verträge zu beschädigen. Und sie hat ein rechtliches Dilemma, weil sie sich hier mit zwei verschiedenen Grundsätzen des Lissabon-Vertrages auseinandersetzen muss. Er ist erst 2009 in Kraft getreten und daher relatives juristisches Neuland für Europa und die EU-Kommission. Dabei geht es um zwei verschiedene Vorschriften: die Verpflichtung zum Schutz von Minderheiten und Menschenrechten auf der einen und den Schutz  der territorialen Unversehrtheit der Mitgliedsstaaten auf der anderen Seite.

Steven Blockmans ist Professor für Internationale Beziehungen und Governance sowie Fellow beim Brüsseler Thinktank "Center for European Policy Studies".

Das Interview führte Barbara Wesel.

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