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Politik

Das KZ, das zur Schweinefarm wurde

Tim Gosling kkl
25. Dezember 2017

Tschechische Aktivisten haben erreicht, dass eine Gedenkstätte für den Holocaust an den Roma gebaut werden kann. Zuletzt waren an dem Ort Schweine gezüchtet worden. Tim Gosling berichtet aus Usti nad Labem.

Tschechien Lety - Industriefarm
Bild: Getty Images/AFP/M. Cizek

Ein schmuddeliges Mädchen, etwa acht Jahre alt, springt in der Dezemberdämmerung aus einem Fenster im zweiten Stock. Ihre nackten Füße landen in einem wogenden Müllhaufen kaum einen Meter unter dem Fenster. Rattenverseuchter Müll und Kot türmt sich an allen Wänden des Wohnblocks im Ghetto von Predlice in der nordböhmischen Stadt Usti nad Labem. Dutzende von Roma-Familien leben hier. Das Elend ist atemberaubend. Es ist schwer zu glauben, dass so etwas im Europa des 21. Jahrhunderts möglich ist.

Die Familie des Roma-Aktivisten Josef Miker hat Schlimmeres hinter sich. In den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts kamen viele ihrer Verwandten nach Lety in ein Konzentrationslager für Roma, 160 Kilometer südlich von Usti nad Labem. Offizielle Unterlagen zeigen, dass dort von 1308 Gefangenen 327 ums Leben kamen. 500 weitere seien nach Auschwitz gebracht worden.

Miker besteht jedoch darauf, dass - Zeugenaussagen zufolge - Tausende mehr in dem Lager umgebracht worden seien, das Tschechen unter der Aufsicht der Nazis betrieben hatten. Über 90 Prozent der tschechischen Roma sollen im Roma-Holocaust ausgelöscht worden sein. Doch während in vielen Konzentrationslagern der Nazis heute Gedenkstätten oder Museen zu finden sind, war das ehemalige Lager in Lety seit den 1970er Jahren eine Schweinefarm. Seit zwanzig Jahren versuchen Aktivisten, den Ort des Lagers räumen zu lassen. Ihr Kampf wurde zum Symbol für den Kampf um die Rechte der Roma - und ein Angriffsziel für Extremisten.

Seit Jahrzehnten eine Schweinefarm: Der Ort des ehemaligen Lagers von LetyBild: picture alliance/dpa/CTK/L. Pavlicek

Im November unterschrieb die tschechische Regierung einen Kaufvertrag für den Schweinezuchtbetrieb; 451 Millionen tschechische Kronen (17,5 Millionen Euro) soll der bisherige Besitzer AGPI dafür bekommen. Die Gesellschaft habe sich während der Auseinandersetzung trotz aller Proteste und Blockaden neutral verhalten, sagen Aktivisten. Miker hatte mit seinem Verein Konexe an führender Stelle für die Verlagerung der Schweinezucht gekämpft, um Platz für die Ausgrabung vermuteter Massengräber zu schaffen. Er nennt den Vertrag einen hart erkämpften, symbolischen Sieg. Aber zu einer Zeit, zu der Extremismus in Europa zunimmt, sieht er der Zukunft sorgenvoll entgegen.

Die Reaktionen auf den Vertrag von Lety waren bösartig. In einem besonders widerlichen Fall sorgte ein Bild einer Grundschulklasse, das tschechische, Roma- und arabische Kinder zeigte, für Gewaltaufrufe in den sozialen Medien. Solcher Hass ist jedoch nicht ungewöhnlich in den sozialen Medien in Tschechien, stellt Miroslav Mares fest, der an der Masaryk-Universität in Brno Extremismusforschung betreibt. Hass habe eine symbiotische Beziehung zur Politik. Dabei reicht der Hass bis in die höchsten Etagen.

Hass von oben

Bei den Wahlen im Oktober legten tschechische Rechtsaußenparteien deutlich zu. Andrej Babis, Milliardär und Populist, gewann mit einer Antimigranten-Plattform die meisten Stimmen. Und Umfragen zeigen, dass nur zwei Prozent der befragten Tschechen Menschen auf der Flucht vor einem Krieg willkommen heißen würden. Als der Vertrag von Lety unterschrieben wurde, nannte Präsident Milos Zeman die Roma "nicht anpassungsfähig", ein verbreiteter Euphemismus für "arbeitsscheue Schmarotzer."

Weiter unten auf der politischen Leiter ist die Rhetorik noch schlimmer. Der Generalsekretär der rechtsextremen SPD, die bei den Wahlen 10,6 Prozent der Stimmen erhielt, führte sich Berichten zufolge im Parlament mit einem Aufruf ein, Juden und Roma bei der Geburt zu erschießen. SPD-Chef Tomio Okamura bezeichnete den Lety-Kaufvertrag als überteuert und behauptete, Lety sei ein Arbeits-, kein Konzentrationslager gewesen. 

In Hodonin gibt es seit diesem Jahr eine Gedenkstätte für den Holocaust an den RomaBild: Museum of Romani Culture, Brno, CZ/Foto: Adam Holubovsky

Leichtes Ziel für tschechischen Hass

Obwohl er ein wichtiges Signal darstellt, verspricht der Vertrag von Lety doch kaum echten Fortschritt für die Rechte der Roma. Im Grunde, so Extremismusforscher Mares, war er eine zynische Reaktion auf wachsenden internationalen Druck; die EU hat den Fall kürzlich zur Kenntnis genommen. "Das Timing macht einen politischen Eindruck", sagt Mares. "Die neue Regierung kann jetzt der alten die Schuld geben, um sich selbst gegen die extremen Parteien verteidigen zu können."

Die Migrantenkrise mag ihren Teil dazu beigetragen haben. "Das Feindbild hat sich hin zum Islam verschoben", sagt der Wissenschaftler. Miroslav Broz von Konexe dagegen meint, dass die Roma nach nachlassendem Druck im Jahr 2015 jetzt wieder voll im politischen Feuer stehen. "Der Islam ist zu abstrakt. Es gibt nur ein paar tausend Muslime in der Tschechischen Republik, aber über 250,000 Roma," sagt er.

Josef Miker besteht jedoch darauf, wie wichtig der Vertrag sei. "Lety war lange ein Hindernis für die Gleichberechtigung der Roma", stellt er fest. "Holocaust-Leugnung und Rassismus sind eng miteinander verknüpft. Man integriert keine Minderheit, auf deren Völkermord man Schweinescheiße ablädt."

Trotz des Erfolges von Lety: Aktivisten wie Miroslav Brod sehen noch eine Menge Arbeit vor sichBild: DW/T. Gosling

Doch während der Mist bald weggefahren wird, bleiben Bedenken, was einmal in Lety zu sehen sein wird. "Der Kampf ist nicht vorbei", sagt Miker. "Wir sind besorgt, dass es Probleme beim Bau einer Gedenkstätte geben wird. Außerdem arbeiten mächtige Roma-Geschäftsleute schon jetzt daran, mit dem Vertrag Geld zu verdienen."

Aus dem Ghetto

Im März wird die bisherige Betreiberfirma AGPI das Gelände an das Museum für Romani-Kultur übergeben; mit weiteren 120 Millionen Kronen wird die staatliche Einrichtung das Gelände räumen. Aber Pläne für eine Gedenkstätte bleiben vage. Sprecherin Kristina Kahoutova sagt, was auch immer gebaut werde, "es wird nichts Großes". Auf der einen Seite, so sagt sie, sei im Sommer eine Gedenkstätte für den Holocaust an den Roma in Hodonin eröffnet worden, dem Ort eines anderen Lagers bei Brno. Auf der anderen Seite gibt sie zu, dass das politische Klima seine Auswirkung haben wird. "Wir haben jetzt eine neue Regierung. Alles hängt von der Finanzierung ab, und die wiederum von der politischen Opposition gegen das Projekt."

Mares meint, dass Lety auch dazu genutzt werden könnte, den Hass weiter anzufachen. "Die großen Summen, die die Regierung bezahlt, können Anti-Roma-Stimmungen anheizen, und die extremistischen Parteien werden das nutzen", sagt er. "Roma-Aktivisten müssen unterdessen einen neuen politischen Sammelpunkt finden."

Miker denkt unterdessen schon über die nächsten Herausforderungen nach. Trotz legalen Drucks aus der EU werden Roma-Kinder im ganzen Land immer noch in gesonderte Schulen für Kinder mit Lernproblemen geschickt. Diese Politik fördere den Ausschluss und die Armut der Roma und sorge für den Fortbestand von Ghettos wie dem vom Predlice. "Die Erziehungs-Segregation ist der nächste große Kampf", erklärt er.

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