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PolitikIran

Das Kopftuch im Iran: Druck auf die gesamte Gesellschaft

17. April 2023

Kameraüberwachung, Verhaftungen, ein Hardliner als neuer Polizeichef: Die iranische Regierung zeigt sich entschlossen, das Kopftuchgebot bei Frauen durchzusetzen. Doch auch die Männer stehen unter Druck.

Iran Frauen Kopftuch Straße
Wohin geht die Reise? Mutter mit Hidschab und ihre Tochter ohne Kopftuch gemeinsam beim Shoppen Bild: Morteza Nikoubazl/NurPhoto/picture alliance

Tragen Schülerinnen und Studentinnen kein Kopftuch, sollen sie am Unterricht nicht teilnehmen dürfen. Das kündigte das iranisches Bildungsministerium des Landes vor einer Woche an. Nun will die Polizei auch mit digitalen Mitteln gegen Frauen vorgehen, die sich weigern, den Schleier zu tragen.

So genannte "intelligente Kameras" und andere Geräte sollen auf öffentlichen Plätzen und Straßen Frauen ohne Kopftuch registrieren und identifizieren. Anschließend, hieß es am Samstag vor einer Woche im staatlichen Fernsehen, würden sie zunächst verwarnt und in einem zweiten Schritt dann vor Gericht gestellt. Ebenso würden auch Autobesitzer verwarnt, wenn Insassinnen gegen die Vorschrift verstoßen. Im Wiederholungsfall könne das Fahrzeug beschlagnahmt werden. Zudem sollen Laden- und Restaurantbesitzer auf die Einhaltung "gesellschaftlicher Normen" achten. Lassen sie unverschleierte Frauen in ihre Räume, müssen sie mit Schließung rechnen.

Die polizeilichen und juristischen Maßnahmen gegen Frauen, die sich der Kleiderordnung verweigern, reißen nicht ab. So macht derzeit ein Video die Runde, das den Angriff eines Mannes auf zwei Frauen zeigt, die kein Kopftuch tragen. Gegen den Mann - er hatte den Frauen Joghurt über den Kopf geschüttet - erging zwar ein Haftbefehl - ebenso aber auch gegen die Frauen.

Das Kopftuch als Symbol der Revolution

Dass die Pflicht zum Tragen des Hidschabs weiter so streng kontrolliert wird, sei nicht erstaunlich, sagt die Politologin Sara Bazoobandi vom Hamburger German Institute for Global and Area Studies (GIGA) im DW-Interview. Der Hidschab sei ein Instrument, um Druck auf die Frauen auszuüben und gleichzeitig ihr Verhalten im öffentlichen Raum zu kontrollieren. "Weil das Ablegen des Kopftuchs nun aber zum zentralen Akt des Aufstands gegen die Regierung geworden ist, wäre es aus ihrer Sicht ein Akt der Kapitulation, dem Druck der Bevölkerung nachzugeben. Es wäre ein Zeichen von Schwäche und Machtverlust des Regimes." Aus diesem Grund bestehe die Regierung auf der Hidschab-Pflicht. "Sie steht für die Frage nach der Macht im Staat. Darum ist sie für das Regime so wichtig."

Kundgebung in der iranischen Revolution von 1979Bild: Mohammad Sayad/Campion/AP Photo/picture alliance

Auch symbolisch sei die Hidschab-Pflicht für das Regime seit dessen Gründung 1979 von höchster Bedeutung, schreibt die Politologin Hamideh Sedghi in ihrem Buch "Women and Politics in Iran" (Cambridge University Press). Das Kopftuch sei dasjenige Kleidungsstück, durch das sich zumindest die eine Hälfte der Bevölkerung - eben die Frauen - auf den ersten Blick von den meisten ihrer Geschlechtsgenossinnen im Westen unterschieden. So stehe es aus Sicht des Regimes für "Islamismus, Anti-Imperialismus und eine anti-westliche Haltung. Die islamische Revolution verwandelte sich so in eine sexuelle Gegenrevolution". Umgekehrt gelten den Islamisten alle Frauen ohne Kopftuch als verächtlich, nämlich als "westliche Puppen" oder gar "westliche Prostituierte" - mithin als Angehörige jener Zivilisation, die den Iran einst "geplündert" habe und nun einen negativen Einfluss auf die iranischen Frauen nehme, wie Sedghi die Sicht des Regimes resümiert.

Auf diese Argumentation stützt sich das Regime auch heute. Anfang dieses Monats erklärte der Oberste Revolutionsführer Ali Hosseini Chamenei, die Missachtung der Vorgaben zum Kopftuch sei eine "religiös und politisch verbotene" Handlung. Das Ablegen des Schleiers nütze allein den Feinden Irans, die hinter den Protesten stünden. Und der Chef des iranischen Justizwesens, Gholam-Hossein Mohseni Edschehi, sagte, wenn Frauen den Schleier abnehmen, sei das gleichbedeutend mit "Feindschaft" gegenüber den Werten des Landes.

Ein Hardliner als nationaler Polizeidirektor

Wie ernst es dem Regime mit der Durchsetzung der Hidschab-Pflicht ist, deutet sich bereits damit an, dass Ahmad-Resa Radan im Januar zum neuen Polizeichef des Landes ernannt wurde. Radan war 2006 als Direktor der Teheraner Polizei berufen worden. In dieser Position setzte er konservative Kleidungsvorschriften durch. Kleidung sei eine Frage der Gesellschaft, erklärte er damals: "Es ist nicht die Sache des Einzelnen, sich so zu kleiden, wie er will."

Sie wollen das Kopftuchgebot unter allen Umständen durchsetzen: Ayatollah Ali Chamenei (rechts) und der iranische Polizeichef Ahmad-Resa RadanBild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Dieses Prinzip setzte er gegen Frauen und Männer gleichermaßen durch. Frauen, die lange Stiefel über ihrer Hose trugen, wurden ebenso verhaftet wie Männer die etwa "abweichende westliche Frisuren" trugen, wie Radan es formulierte. Auch über die Krawatte verhing er einen Bann - diese sei ein "Symbol des Westens".

Nicht nur Frauen, auch Männer sind demnach von Kleidervorschriften betroffen. Dabei gehe es dem Regime immer um eines, sagt Bazoobandi, nämlich darum, seine Macht zu demonstrieren. "Die Kleidungsvorschriften sind Teil der revolutionären Kultur. Der Staat demonstriert seinen Machtanspruch beiden Geschlechtern gleichermaßen gegenüber."

Radan setzte diesen Machtanspruch bedenkenlos durch; so etwa im Jahr 2009, als Demonstranten nach den Präsidentschaftswahlen auf die Straße gingen und gegen die Ernennung des konservativen Amtsinhabers Mahmud Ahmadinedschad protestierten. Radan leitete die Einsätze zur Niederschlagung der Proteste. Berichten zufolge wurden Dutzende von Menschen getötet, mehrere Demonstranten sollen gefoltert worden sein. Die Islamische Republik bestätigte den Tod von mindestens drei Personen. Er bereue sein Verhalten nicht, sagte Radan später. "Sollte es erneut zu einem Aufruhr kommen, werde ich wieder entschlossen dagegen vorgehen." Aufgrund von Menschenrechtsverletzungen steht Radan seit zwölf Jahren auf einer Sanktionsliste der USA.

Ob Radan selbst ein konservativer Mensch sei, sei schwer zu einzuschätzen, sagt Bazoobandi. "Aber er setzt über die Polizei sehr konservative Initiativen durch. Dass der Staat ihn nun wieder in eine so wichtige Position einsetzt, zeigt, dass das Regime entschlossen ist, stärkeren Druck auf die Bürger auszuüben, auf Frauen ebenso wie auf Männer."

Ein neuer Protestaufruf

Bazoobandi verweist in diesem Zusammenhang auf einen Aufruf iranischer Frauen zu einem Protesttag am 22. April, an dem sie ihren Unmut gegen die Kleidervorschriften zum Ausdruck bringen wollen. Zugleich reißt die Diskussion um die juristischen Grundlagen des Kopftuchzwangs nicht ab. In der iranischen Verfassung findet er sich nicht. "Damit fehle der Regierung die rechtliche Grundlage für dieses Gebot", sagt Bazoobandi. Das zähle für die Machthaber aber nicht: "Sie versucht es trotzdem durchzusetzen."

 

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika