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Das Kreuz mit dem Kopftuch

Andreas Noll16. Dezember 2005

Vor 100 Jahren wurde in Paris die Trennung von Staat und Religion verkündet. Das Gesetz - später Vorbild für die Türkei - spielt in Frankreich heute auch eine große Rolle in der Kopftuch-Diskussion.

Demonstration für das Kopftuch in ParisBild: AP

Kein Zweifel: der mächtigen katholischen Kirche in Frankreich wurde im Dezember 1905 ein empfindlicher Schlag versetzt. Der Papst im Vatikan war erzürnt und viele Gläubige bereit zum Aufstand. Die Folgen des Gesetzes waren enorm: Wegfall der finanziellen Unterstützung, endgültiger Verzicht auf Religionsunterricht in staatlichen Schulen und weitgehende Verbannung der Kirche aus dem öffentlichen Raum.

Bis heute darf kein Arbeitgeber formell die Religionszugehörigkeit seiner Mitarbeiter abfragen - noch nicht einmal der Staat weiß heute genau, wie viele Katholiken, Muslime oder Protestanten in seinen Grenzen leben. Doch auch dieser republikanische Grundsatz habe Grenzen, sagt Professor Henrik Uterwedde vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg. Er weist darauf hin, dass der Begriff der Laizität einen Anspruch formuliert hat: Neutralität gegenüber allen Religionen. Die Realität sehe anders aus - wie besonders deutlich werde im Verhalten gegenüber dem Islam und seinen Anhängern.

Kopftuch und Destabilisierung

Mit schätzungsweise mehr als 4 Millionen Muslimen lebt in Frankreich die größte muslimische Minderheit in Europa. Die strikte Trennung von Staat und Religion bereite hier Schwierigkeiten, sagt Hannane Harrath von der Pariser Universität Sorbonne. Denn: "Wenn man die Geschichte und den Korantext betrachtet, dann trennt der Islam nicht zwischen Politik und Religion."

Für Aufregung sorgte in Frankreich vor allem der Streit um das Tragen von Kopftüchern in der Schule. Ausgelöst worden war die Debatte vor 15 Jahren, als im nordfranzösischen Creil zwei Mädchen wegen Tragens eines Kopftuches vom Unterricht ausgeschlossen wurden. Weil die Schule als weltanschaulich neutraler Ort nur die Werte der Republik vermitteln soll, wollte der Schuldirektor in Creil das Kopftuch nicht akzeptieren. Andere Schulleiter folgten ihm.

Nach jahrelangem Streit suchte im Kopftuch-Streit eine überparteiliche Expertengruppe im Auftrag von Präsident Jacques Chirac nach einer Lösung. Dabei spielte auch eine Rolle, dass der Staat eine Stärkung fundamentalistischer Kräfte unter den Muslimen im Land verhindern möchte. Kommissionspräsident Bernard Stasi: "Es gibt Kräfte, die offenkundig die Republik destabilisieren wollen. Es ist an der Zeit, dass sich die Republik wehrt und Grenzen aufzeigt."

"Nicht alles kann mit der Religion erklärt werden"

Seit September 2004 ist das Tragen von Kopftüchern und anderer religiöser Symbole wie jüddische Kippas oder großen christlichen Kreuzen an staatlichen Schulen verboten. Im Extremfall droht der Ausschluss vom Unterricht. Während die Befürworter von einem Sieg der Republik sprechen, ist das Gesetz für andere nur ein weiterer Beweis für staatliche Unterdrückung.

Diskussionsthema auch in Deutschland: Kopftuch und SchuleBild: AP

Die anfängliche Aufregung um das Kopftuchverbot hat sich mittlerweile gelegt. Der Großteil der Schülerinnen und auch die liberal orientierten islamischen Verbände akzeptieren die neuen Regeln. Ob das neue Gesetz allerdings den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt, halten Kritiker für fraglich. Nur fünf Prozent der Muslime in Frankreich gehen mindestens einmal wöchentlich in die Moschee. Die mangelnde Integration vieler junger Muslime - eine der Ursachen für die wochenlangen Ausschreitungen in den Vororten - habe andere Gründe, sagt die Senatorin Alima Boumédiene Thiery, die selbst aus einer Einwandererfamilie stammt: "Man kann die Ausschreitungen nicht mit der Religion erklären. Das heißt,
die sozialen und wirtschaftlichen Gründe der Revolte zu leugnen."

Neutralität und Tricks

Die strikte Neutralität des Staates sei eine Säule der Republik, sagt Präsident Chirac. Die Gegner halten sie dagegen für überholt. Nur weil sich der Staat aus allem raushalte, könnten zum Beispiel dubiose Geldgeber aus arabischen Golfstaaten islamische Gemeinden in Frankreich finanzieren. Eine Kontrolle dieser Gemeinden ist für den Staat schwierig: Drei Viertel der Imame sind keine französischen Staatsbürger - ein Drittel spricht kein Französisch. Um fundamentalistischen Kräften den Nährboden zu entziehen, will Innenminister Nicolas Sarkozy die Gemeinden besser ins öffentliche Leben einbinden. Vor drei Jahren forcierte er die Bildung eines muslimischen Repräsentativrates.

Die Gründung des Islamrates gilt heute als Erfolg. Mit seiner anderen Idee, den Moscheebau mit Staatsgeldern zu unterstützen, konnte sich Sarkozy bislang aber nicht durchsetzen. Dass der laizistische Staat aber auch in dieser Frage über Spielraum verfügt, zeigt das Beispiel Evry. Mitte der 90er Jahre erhielt der Pariser Vorort die einzige neue Bischofskirche in diesem Jahrhundert. Weil das Laizitäts-Gebot staatliche Hilfe untersagte, ersann der zuständige Kulturminister eine trickreiche Lösung: Die neue Kathedrale wurde zum Erweiterungsbau eines Kunstzentrums erklärt - und konnte so mit fünf Millionen Franc aus der Staatskasse unterstützt werden. Die Klagen über das nun 100 Jahre alte Laizitäts-Gesetz sind in der katholischen Kirche übrigens weitgehend verstummt.

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