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Der Klang der Stille

Klaus Esterluss
26. März 2018

Tritt Davyd Betchkal aus seinem Büro, dann steht er in einer unberührten Wildnis. Hier, in Alaska, zeichnet er die Klänge der Natur auf und erlebt dabei auch Tage ohne ein einziges menschgemachtes Geräusch.

Der Biologe und Soundscape-Spezialist Davyd Betchkal sammelt Geräusche im Wald von Alaska (Quelle: NPS / Scot Sharp)
Bild: NPS/Scot Sharp

Können Sie sich vorstellen, wie die Welt vor ein paar hundert Jahren geklungen hat? Das ist eine schwere Aufgabe, ohne Frage. Vielleicht hilft es, möglichst viele, vom Menschen verursachte Geräusche wegzudenken, also alle dröhnenden Flugzeuge, ratternden Züge, brummenden Autos. Die Welt wäre sehr viel stiller, oder?

Für Davyd Betchkal ist dieser Klang, oder besser, diese Stille, Alltag. Der Biologe zeichnet in Alaska für den US-National Park Service auf, wie unberührte Natur klingt. So soll überprüfbar sein, wie sich die Natur wandelt und welchen Einfluß der Mensch auf sie hat. Davyd Betchkal ist demnach einer der wenigen Menschen die von sich sagen können, sie wissen wie die Welt vor langer Zeit geklungen haben muss. Global Ideas hat mit ihm über seine Arbeit gesprochen.

Davyd Betchkal (im Bild) ist Teil in einem Rennen gegen die Zeit. Er macht akustische Aufzeichnungen von einigen der letzten Orte in den USA, an denen es keine Geräusche gibt, die vom Menschen verursacht worden sindBild: U.S. National Park Service

Global Ideas: Davyd, wie müssen wir uns Ihre Arbeit vorstellen?

Davyd Betchkal: Meine Forschungsarbeit findet ausschließlich in den Naturparks Alaskas statt. Diese Schutzgebiete bieten die bemerkenswerte Möglichkeit, die Natur so wahrzunehmen, wie sie tatsächlich klingt. Bezogen auf die Vereinigten Staaten reden wir von den letzten wirklich ruhigen Orte im Land. Wir beim Park Service sagen immer, dass der natürliche Klang eine grundlegende Ressource ist, also etwas, das auch für die Existenz dieser Parks unabdingbar ist.

Wie schützt man mit Audioaufnahmen einen Park?

Man muss dazu wissen, dass Alaska sich sehr schnell verändert. Das haben die Menschen ab den 1980er und 1990er Jahren verstanden. Aber, um zu verstehen, was genau da passiert, brauchen wir eine Basis, einen Bezugspunkt, von dem aus wir auf die Veränderungen blicken können. Wir müssen verstehen, wie es zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort war. Genau das passiert in den Parks in Alaska gerade. Wir machen Audioaufnahmen, das sind unsere Basisdatensätze. Anhand derer messen wir die Veränderungen der Zukunft.

Alaskas Landschaften bieten eine schier unglaubliche Menge an Arten und KlängenBild: NPS/Renny Jackson

Wie funktioniert der Aufnahmeprozess?

Wir haben eine automatisiertes Aufnahmesystem entwickelt, mit dem wir über einen bestimmten Zeitraum, etwa einen Monat, aufzeichnen, wie die Natur klingt. Niemand muss vor Ort sein, so ähnlich wie bei einer Wetterstation. Es so zu machen hat den große Vorteil, dass sich die Tiere auch ganz natürlich verhalten. Wäre ein Mensch da, würden sie sich anders verhalten.

Wenn wir also unsere Beobachter lange Zeit in der Landschaft stehen lassen, erhalten wir eine lange Aufnahme. Mit der können wir abbilden, wie die Bedingungen in diesem Zeitraum waren, den ganzen Sommer am Stück, beispielsweise. Alaska ist ja ein sehr abgelegener Ort. Und dies Art der Datensammlung hilft uns über lange Zeiträume und riesige Landschaften hinweg zu arbeiten. Menschen könnten das nicht leisten.

Global Ideas sitzt ja in Berlin, einer sehr großen und sehr lauten Stadt. Was hört man da, wo Sie sind?

Manchmal hören Sie tagsüber Geräusche einer Straße, die einen bis drei Kilometer entfernt ist. Vielleicht auch vier Kilometer, wenn es sich um eine belebte, laute Straße handelt. Dazu muss man wissen, wie riesig die Landschaft Alaskas ist. Wir haben hier ein dünneres Straßennetz als der Staat New Hampshire, das ist ein sehr kleiner Staat an der Ostküste der USA. Da gibt es deutlich mehr Straßen als hier. (Der Bundesstaat Alaska ist flächenmäßig etwa 70 mal größer als New Hampshire. Anm. Red.)

Es gibt Tage an denen Betchkals Aufnahmegeräte nicht ein einziges nicht-natürliches Geräusch aufzeichnenBild: NPS/Christina Kriedeman

Wenn man auf einer Straße am Nationalpark unterwegs ist, ist das ein bisschen wie auf einem  Drahtseil. Wenn man in die eine Richtung geht, das trifft man erst wieder auf Menschen, wenn man an der Beringsee ankommt. In der anderen Richtung kann man 300 Meilen laufen, bis man wieder bei einer Autobahn ankommt. Deshalb sind Straßen in der Regel nicht das Problem. In Alaska stören viel eher Flugzeuge.

Und wie viele menschgemachte Geräusche hört man insgesamt?

Ich habe noch eine Aufnahme gehabt, bei der nicht mindestens einmal im Monat eine menschliche Aktivität zu hören war. An den meisten Orten Alaskas haben Sie mindestens ein vom Menschen verursachtes Geräusch pro Tag. Aber gelegentlich finde ich doch eine Zeitspanne von 24 Stunden am Stück in der nicht ein (menschliches) Geräusch zu hören ist. Also 24 Stunden in denen es keinen Verbrennungsmotor zu hören gibt, kein Flugzeug, sondern ausschließlich natürliche Geräusche. Das passiert nicht mehr in den unteren 48 US-Staaten, wie wir sie nennen. Aber die Parks in Alaska schützen diese wirklich bemerkenswerten Momente, die in Nordamerika sonst kaum vorstellbar sind.

Nachdem Sie die Aufnahmen gemacht haben, was passiert dann damit?

Wir arbeiten an einem Programm, um die akustischen Veränderungen zu überwachen. Das Ziel, Basisdaten zu sammeln, besteht also darin, später darauf zurückzukommen und Vergleiche zu ziehen. Wenn man dabei eine Situation vorfindet, die offenkundig negativ ist, kann man sich Gedanken machen, wie man sie verbessern kann. Durch weitere Messungen und Vergleiche kann man dann beurteilen, ob das, was man getan hat, etwas bewirkt hat. Die Daten sind also so etwas wie Fotos von Tönen, etwas, das man gut mit zukünftigen Aufnahmen vergleichen kann.

So sieht es im Spektrogramm aus, wenn eine Weißscheitelammer singt. Bilder dieser Art analysiert Davyd Betchkal.Bild: Davyd Betchkal

Können Sie dabei vielleicht sogar bestimmte Tierarten allein anhand ihrer Geräusche identifizieren?

Oh ja, das geht. Wir werden immer wieder gefragt, wie man das alles anhören kann, was wir aufnahmen. Aber genau genommen analysiere ich viele meiner Daten, indem ich mir das Klangbild anschaue, das Spektrogramm der jeweiligen Aufnahme, also eine dreidimensionale Darstellung des Klangs. Darin wird auf der horizontalen Achse die Zeit dargestellt, die Frequenz auf der vertikalen Achse in ihrer Höhe und Tiefe. Die Helligkeit der Abbildes lässt Aussagen über die Lautstärke zu.

So ein Klangbild ist sehr klar und die Muster, die diese Klänge haben, sind sehr leicht zu erkennen. Also, um die Frage zu beantworten - ja, wir können ein Spektrogramm betrachten und daran erkennen, welche Spezies das ist, ohne die Aufnahme hören zu müssen. Bestimmte Vogelstimmen sind so einzigartig, so dass sie besonders leicht zu erkennen sind.

Das Interview führte Klaus Esterluss. Es wurde zum besseren Verständnis bearbeitet und gekürzt. Um mehr über den von Menschen verursachten Lärm und seine Auswirkungen auf Tiere und Menschen zu erfahren, lesen Sie unsere Global Ideas-Geschichte: Wenn der Mensch mit Lärm die Welt verschmutzt.