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Das Leben - eine große Herausforderung

Silke Bartlick10. Februar 2014

Eine Reise um die Welt in elf Tagen, zu Zielen, die kein Veranstalter anbietet. Möglich ist sie während der Berlinale - dank der Produktionen unabhängiger Filmemacher.

Berlinale 2014: Filmszene aus dem Film "Kuzu" (Foto: Berlinale)
Bild: Berlinale

Ein Gesicht. Im Halbdunkel. Das Gesicht einer jungen Frau, verborgen hinter langem, dichtem Haar. Ihr Atem, nur mühsam kontrolliert. Eine Tür, die knarrt. Und dann aus dem Off die Frage: "Bibicha? Was ist mit dir?" Aber Bibicha antwortet nicht. Sie wird auch die nächsten 40 Tage nichts sagen. Denn Bibicha hat sich in das Haus ihrer Großmutter zurückgezogen, um ein Schweigegelübde abzulegen. Warum? Sie erzählt es nie, weint manchmal nur leise. Etwas, jemand muss sie sehr verletzt haben.

Tradition und Moderne

"Chilla/40 Days of Silence" ist der erste abendfüllende Spielfilm der jungen usbekischen Filmemacherin Saodat Ismailova. Ein eindringlicher Film, der von vier Frauen aus vier Generationen erzählt, die in einer Gesellschaft leben, die tief im Islam verwurzelt, aber längst auch im Umbruch begriffen ist. Bibichas kleine Cousine ist unehelich. Die Tante, plötzlich zurückgekehrt aus der Stadt, schreibt unentwegt Textnachrichten. Und die Großmutter, eine wettergegerbte, wissende Frau, sorgt für Geborgenheit und spendet Trost. Die Zeiten verschwimmen, ihre Übergänge verlieren an Schärfe. Aber es ist der traditionelle Zusammenhalt, es sind traditionelle Riten und Bräuche, die den Frauen den Weg in die Zukunft ebnen.

"Chilla" ("40 Days of Silence")Bild: Berlinale

Das Leben, es ist eine einzige große Herausforderung. Das erzählen viele Beiträge unabhängiger Filmemacher und -macherinnen in den Sektionen "Panorama" und "Forum des jungen Films" bei der diesjährigen Berlinale. Und dafür finden sie eindringliche Bilder mit starken Protagonisten: In der chinesischen Provinz, fernab der Glitzerstädte, dominieren nach wie vor die alten Kader. Mit rigiden Methoden setzen sie noch immer die Ein-Kind-Politik durch. Wenn die Quote nicht stimmt, dann werden Frauen eben zur Abtreibung gezwungen. Renwei, auf der Flucht vor seiner zwielichtigen Vergangenheit, ist mit seiner schwangeren Freundin in sein Heimatdorf zurückgekehrt. Weil er nichts Besseres zu tun hat, unterstützt er seinen Onkel bei dessen menschenverachtenden Maßnahmen. Dann wird er für 24 Stunden weggeschickt - in dieser Zeit wird seine Freundin Opfer eines Schwangerschaftsabbruchs. Was Menschen einander antun können, erzählt der Film "Gui ri zi" von Zhao Dayong. Und dass Gewalt immer Gewalt nach sich zieht. In China ebenso wie in vielen anderen Ländern der Welt.

Aufbegehren gegen die Gewalt

Traditionen können lähmen und jedes freie Leben ersticken. Die indische Verfassung garantiert auch den Dalits, den Nachfahren der indischen Ureinwohner, Menschenrechte und demokratische Freiheiten. Dass das in der Realität noch etwas anders aussieht, erzählt der mutige Film "Papilio Buddha" von Jayan Cherian. Wie in vielen Beiträgen des unabhängigen Kinos verschwimmen auch hier die Grenzen zwischen Fiktion und Dokumentation. Der Film erzählt sehr realistisch, wie die Dalits, die Kastenlosen oder Unberührbaren, diskriminiert und zu Opfern tradierter Vorurteile werden: Alles Terroristen, also darf man ihre Dörfer zerstören, ihre Männer foltern und ihre Frauen vergewaltigen. "Papilio Buddha" ist der Name eines seltenen Schmetterlings, der in den indischen Western Ghats beheimatet ist. Eine Gegend wie aus dem Bilderbuch. Aber der Schein trügt. Im Paradies wird ein erbitterter Kampf geführt.

"Gui ri zi" ("Shadow Days")Bild: Zhao Dayong

Im Hochland Anatoliens verlangt es die Tradition, dass das Fest der Beschneidung gefeiert wird. Aber Merts Vater hat kein Geld, um das Lamm zu kaufen, das den Gästen serviert werden soll. Türkischer Dorfalltag in einfachsten Verhältnissen, von Kutlug Ataman in "Kuzu/The Lamb" erzählt - vor der großartigen Kulisse einer winterlich kargen Bergwelt und mit viel Zuneigung zu den Figuren. Und wieder ist es eine Frau, die Mutter des kleinen Mert, die dafür sorgt, dass das Ansehen der Familie nicht leidet. Geschickt bewegt sie sich durch das Dickicht aus Konventionen und Macho-Moral, wahrt den Ruf ihres Mannes, den es in die Arme einer Prostituierten getrieben hat, besorgt mit einem Trick das benötigte Lamm und öffnet damit gleichzeitig sich und ihren Kindern einen Weg in die Zukunft.

Düstere Aussichten

Die Zukunft ist ein Alptraum. Jedenfalls in den warnenden Szenarien vieler Filmemacher. Sie erzählen vom fehlenden Gemeinsinn und von Skrupellosigkeit, vom Abgleiten in die Kriminalität, von Gewalt, Vereinzelung und dem Verlust von Lebensgrundlagen. Vietnam, im Jahre 2030: Weite Teile des Landes stehen unter Wasser, eine Folge der globalen Erwärmung. Die meisten Menschen sind evakuiert, nur wenige leben wie Sao und Thi auf Stelzenhäusern im Meer. Nahrung ist knapp, die Fischbestände sind rückläufig, Gemüse wird in schwimmenden Farmen gezüchtet. Von Großkonzernen und unter strenger Geheimhaltung.

"Nước" ("2030")Bild: Berlinale

Denn was hier entwickelt wird, ist alles andere als gesund. Nguyen-Vo Nghiem-Minh erzählt in "Nước" eine Endzeit-, Science-Fiction-, Kriminal- und Liebesgeschichte. Schonungslos, unerbittlich, ohne erhobenen Zeigefinder, aber sehr wohl als Mahnung. Nein, kurzweilig ist dieses Berlinale-Kino nicht. Stattdessen aufwühlend und sehr eindringlich. Anstrengend, aber kostbar. Willkommen im Leben!

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