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Das Leiden der Generation "Corona-Kokon"

Kay-Alexander Scholz
11. März 2021

Jugend ist viel mehr als Schule, Ausbildung oder Studium. Deshalb leiden viele Jugendliche an den Folgen der Pandemie. Darüber wird wenig gesprochen, dabei betrifft es eine ganze Generation.

Ein Schmetterling sitzt auf dem Kokon der Raupe
Von der Raupe zum Schmetterling - Jugend ist eine wichtige Entwicklungsphase. Ein Kokon wird schnell zu engBild: Getty Images

"Sexuelles Ausprobieren, Ekstase, Party - das macht doch den Reiz der Jugend aus", sagt Stephan Grünewald vom Rheingold-Marktforschungsinstitut. Durch die Corona-Pandemie könnten gerade die Teenager das alles nicht erleben, warnt der Psychologe. 

Schicke Kleidung, viele Menschen und Tanzen beim Abiball - ein Bild wie aus einer anderen ZeitBild: picture-alliance/dpa

"Die Frustration, dass das Leben stehen geblieben ist", da leide er am meisten mit, sagt Erziehungsberater Ulric Ritzer-Sachs von der Online-Beratung der "Bundeskonferenz für Erziehungsberatung". "Freundschaften pflegen geht nicht richtig, neue Beziehungen knüpfen auch nicht, neue Paar-Beziehungen schon gar nicht. Feiern zum Schulabschluss, Rituale zum Übergang ins Erwachsenensein, Pläne für Work and Travel - alles ausgefallen."

Vieles davon sei nicht nachholbar, auch wenn Erwachsene sagten, das ginge doch auch im nächsten Jahr: "Wenn ich jetzt 16 wär', dann wär' ich am Verzweifeln."

"Wir müssen funktionieren wie Maschinen"

"Keine Zeit mehr haben, um über dich selber nachzudenken, glücklich zu sein. Wir müssen funktionieren wie Maschinen", schreibt ein Berliner Schüler. "Kaum Abwechslung, sondern sechs bis 18 Stunden am Computer sitzen", schreiben andere.

Sie haben ihren Herzen an einer digitalen Pinnwand der Schule Luft gemacht. Was im Lockdown übrig blieb? Home-Schooling! Die Schule beschloss, die eindringlichen Äußerungen anonymisiert an die Presse zu geben.

"4 bis 5 Kaffees am Tag und abends nicht schlafen können durch Panik, Angst und Herzrasen."

"Alle sind am Ende und keiner kann sich bei dem anderen abstützen (...) SchülerInnen haben so viel Stress, dass sie mehr trinken, rauchen, Drogen nehmen."

"Ich werde sowieso keine Zeit haben, rauszugehen und jemand anderen als meine Eltern zu sehen. (...) Jeder Lehrer meint, frische Luft sei wichtig für die Gesundheit - aber was sollen wir denn machen?"

"Generation Corona-Kokon"

Durch die Pandemie könnte sich die Einstellung junger Menschen zum Leben verändern. Dass Erfahrungen in der Jugend prägend für ein ganzes Leben sein können, ist in der Soziologie gut bekannt. Die Generation 1989 zum Beispiel war geprägt vom Mauerfall und durchlebte danach gefühlt eine jahrelange Techno-Party. Das endete abrupt mit den Terror-Anschlägen 2001.

Die Jugend wurde ernster, ängstlicher, zurückgezogener. Das Rheingold-Institut hat für diesen Wandel populär gewordene Begriffe geprägt wie "Generation cool" (1989er) oder "Generation Biedermeier".

Stress für viele junge Menschen: Home-Schooling und Kontakt-Beschränkungen in der PandemieBild: picture-alliance/ZUMAPRESS.com/H. Rick Bamman

Und heute? Das Rheingold-Institut hat eine neue Sammel-Bezeichnung besonders für Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren gefunden und diese erstmals im Gespräch mit der DW an die Öffentlichkeit gegeben: "Generation Corona-Kokon".

"Ein Kokon höre sich zunächst einmal gemütlich an und wurde im ersten Lockdown von vielen auch so empfunden", erläutert Birgit Langebartels, Psychologin beim Rheingold-Institut. Aber der Kokon sei erzwungen, nicht selbst gewählt. Im zweiten Lockdown sei die andere Seite stärker zu Tage getreten: "der unausweichlich enge, klebrige Bewegungsraum."

Dadurch könne viel von der Jugend-typischen Entwicklungsarbeit - sozusagen von der Raupe zum Schmetterling - nicht geleistet werden: sich von den Eltern zu lösen, sich zu verlieben, Grenzen zu erfahren. "All das muss nachgeholt werden, es kann nicht übersprungen werden", warnt die Psychologin: "Da müssen wir den jungen Menschen mittelfristig nach der Pandemie unbedingt den Entwicklungsraum für lassen."

Prägungen für das ganze Leben

Langfristig bleibe vielleicht ein realistischerer Blick auf das Leben, sagt Langebartels. "In Erinnerung wird bleiben, da wollte ich los, aber ich konnte nicht, da wurde ich zurückgehalten, mir wurde ein Jahr geraubt." Hieß es vorher, alles sei möglich, wenn ich nur will, könnte es jetzt heißen: "Ich habe einen Platz zugewiesen bekommen in meinem Leben - bestimmte Dinge gelingen, bestimmte nicht."

Nicht übersehen werden dürfe zudem der Vergleich mit der Phase vor der Pandemie, als die Jugend durch die Klima-Bewegung eine riesige Aufwertung erfahren habe. "Da wurde ihnen zugehört - jetzt in der Krise hat man sehr wenig über sie gesprochen."

Wird die Jugend krank?

"Wir streichen ihnen seit einem Jahr fast alles, was diese prägende Lebensphase ausmacht," schreibt die ehemalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder in der Tageszeitung "Die Welt". Die Jugend werde "komplett im Regen stehen gelassen". Und wenn die jungen Leute die verlorenen Erfahrungen thematisierten, hieße es nur, sie sollten sich nicht so anstellen. Schröder bezeichnet die Jugend als "psychisch besonders vulnerable Gruppe" und fordert mehr politische und gesellschaftliche Empathie.

Im vierten Quartal 2020 habe es rekordverdächtige 12,6 Prozent mehr Anträge auf eine Psychotherapie gegeben, hieß es bei der Präsentation des Barmer-Arztreports 2021. Die Barmer gehört mit neun Millionen Versicherten zu den größten Krankenversicherungen Deutschlands.

Von einem weiteren Problem berichtet Erziehungsberater Ritzer-Sachs aus Gesprächen mit Jugendlichen. Manche fühlten sich unter ständiger Beobachtung - andere würden völlig allein gelassen. "Sie sitzen vor dem Bildschirm mit Lehrern als Kontrollinstanz. Wenn sie in einer Pause die Musik laut machen, kommt sofort ein Elternteil rein und fragt, 'Was machst du da, hast du nicht eigentlich Videokonferenz?'". Auf der anderen Seite würden diejenigen allein gelassen, die es schon vorher zuhause schwer hatten, nicht mitkamen, keine unterstützenden Eltern haben: "Wenn da monatelang niemand mehr hinguckt, wird das schwierig."

Eine Umfrage der Universität Erfurt ergab: "23 Prozent der Jugendlichen haben schon einmal gezielt nach Informationen und Tipps gesucht, die sie dabei unterstützen könnten, ihre psychische Gesundheit zu erhalten oder zu stärken". Hilfe-Apps seien besonders beliebt.

Teenager: Psychische Belastung durch Corona

02:43

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