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Politik

Das Leiden der Kinder in Kriegen

7. März 2017

Kinder in Syrien wachsen als "Generation Trauma" auf: Viele kennen nichts anderes als den Bürgerkrieg. Solche Erlebnisse zu verarbeiten ist extrem schwierig, sagt Psychologin Elise Bittenbinder. Sie erlebt auch Heilung.

Syrien - Kinder im Krieg
Kinder spielen auf einer Straße im zerstörten Al Bab in SyrienBild: picture-alliance/AA/H. Nasar

Deutsche Welle: Frau Bittenbinder, rund 3 Millionen Kinder in Syrien kennen nichts anderes als Krieg, Tod und Zerstörung. Was macht das mit ihnen?

Elise Bittenbinder: Alle Menschen haben schon einmal kleinere oder größere Traumata erlebt. Normalerweise verarbeiten wir diese Ängste und dann werden die nicht chronisch. Wir gehen zum normalen Leben zurück und integrieren dieses Erlebnis in unserer Vergangenheit. Kinder aus Kriegsgebieten haben großes Leid und große Verluste erlitten: Den Tod der Eltern oder der Freunde aber auch den Verlust der Schule oder der Heimat, wenn sie fliehen mussten.

Die Angst vor Bombenangriffen begleitet Kinder in Kriegsgebieten ständigBild: Getty Images/AFP/S. Al-Doumy

Manche entwickeln dann bestimmte Traumata, als Symptome, die bleiben, wenn sie nicht behandelt werden. Beispiele sind Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Bettnässen. Oder eben auch das, was wir als Flash-Backs bezeichnen, dass sie also nicht wissen, bin ich in der Gegenwart oder in der Vergangenheit oder erlebe ich das gerade wieder. Und das ist eine krankhafte Angst, die auch bestehen bleibt, wenn das Erlebte schon lange zurückliegt.

Ein 11-jähriger Junge beschrieb das sehr gut. Er sagte, "ich bin ständig müde, ich muss ständig an bestimmte Bilder denken, die machen mir viel Angst. Deshalb kann ich mich in der Schule nicht konzentrieren. Dann hab ich Angst, dass meinen Eltern etwas passiert. Dann tut mir alles weh und ich kann nichts essen."

DW: Haben denn kriegstraumatisierte Kinder überhaupt eine Chance auf ein normales Leben?

Bittenbinder: Wenn wir mit traumatisierten Kindern oder Erwachsenen aus Kriegsgebieten über das Erlebte reden, dann sagen sie oft, dass sie die schlimmen Erlebnisse am liebsten vergessen würden und ein ganz normales Leben haben möchten. Und wenn wir dann sagen, dass das nicht geht, nicken viele. Sie scheinen also zu wissen, dass die Ereignisse sie immer begleiten werden. Was aber gelingen kann, ist, dass andere Lebensinhalte wieder wichtig werden und in den Vordergrund rücken. Und dass die schlimmen Erlebnisse in den Hintergrund geraten und das Leben nicht mehr so sehr dominieren.

Ein verletztes Mädchen wartet auf seine Behandlung in der syrischen Stadt DumaBild: Getty Images/AFP/A. Doumany

DW: Wie kann das konkret gelingen?

Bittenbinder: Es kommt darauf an, was für Lebensmöglichkeiten und Chancen ich nach so einem traumatischen Ereignis habe. Wichtig ist, dass die Kinder Zuversicht, eine Lebensperspektive und Erlebnisse haben, bei denen sie sich als selbstbewusst und kreativ und eben nicht nur als verletzt erleben können. Das können Sporterlebnisse sein, das kann eine Gemeinschaft sein, das kann ein funktionierender Familienverband sein. Aber das kann bei manchen Kindern auch die Tatsache sein, dass sie verstehen, warum das Erlebte solche starken Auswirkungen auf sie hat und warum sie es nicht vergessen können.

DW: Was geschieht, wenn die Kinder keine Hilfe erhalten?

Bittenbinder:  Wenn Kinder, die sehr starke traumatische Symptome haben, keine Hilfe erhalten, dann kann sich das chronifizieren. Wir wissen auch, dass das ein Leben lang anhalten und zum Teil sogar in die nächste Generation weitergegeben werden kann. Es gibt auch Hinweise darauf, dass, wenn Menschen das nicht irgendwie positiv verarbeiten können, aus der Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit dann Aggression und Wut entsteht. Wenn man keine Möglichkeit hat, das auszudrücken, kann daraus letztendlich auch Gewalt entstehen.

DW: Eine Studie der Organisation "Save The Children" spricht von mehreren Millionen syrischer Kinder und Jugendlicher, die sich selbst verletzen oder zu Alkohol oder Drogen greifen, um den ständigen Stress des Krieges abzubauen. Was bedeutet denn diese enorme Zahl an traumatisierten Kindern für die Zukunft eines Landes?

Syrische Kinder im Flüchtlingslager: Eine echte Lebensperspektive ist für die Verarbeitung von Traumata essentiellBild: picture-alliance/dpa/Save the children

Bittenbinder: Wenn wir überlegen, was ist in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg passiert? Da waren ja auch sehr viele Menschen traumatisiert, Erwachsene und Kinder. Was da geholfen hat, war das gemeinsame Gefühl: Wir bauen das Land jetzt wieder auf. Und der folgende wirtschaftliche Aufschwung hat dazu beigetragen, dass die Menschen sich auf Neues konzentrieren konnten. Ein gegenteiliges Beispiel ist Kosovo. Ein großes Problem ist, dass es dort im Augenblick keine Möglichkeiten für junge Menschen gibt, weil es dort wirtschaftlich nicht gut läuft.

Bittenbinder: "Perspektivlosigkeit überwinden" Bild: BafF

DW: Das heißt ein Kriegstrauma und wirtschaftlicher Niedergang führt zusammen zu welchen Konsequenzen?

Das führt dann nicht nur zu einer persönlichen Perspektivlosigkeit. Also ich habe da etwas ganz Schreckliches erlebt, mit dem ich nicht umgehen kann und ich kann auch kein neues Leben aufbauen, weil einfach wirtschaftlich nichts existiert. Wenn es viele Menschen in solchen Situationen gibt, dann heißt das natürlich, dass das ein ganzes Land beeinflusst und sich eine allgemeine depressive Stimmung entwickeln kann.

Elise Bittenbinder ist Vorsitzende der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V. (BAfF). Die Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin  arbeitet seit mehr als 25 Jahren mit schwer traumatisierten Menschen aus Kriesengebieten, Kriegsopfern und Kindersoldaten.

Das Gespräch führte Jeannette Cwienk.

Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin, Fokus unter anderem: Klima- und Umweltthemen
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