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Politik

Legale Waffe für den spontanen Einzeltäter

31. Juli 2017

Die Hamburger Messerattacke ist nur das jüngste Beispiel für die Unkontrollierbarkeit von Einzeltätern. Sie nutzen Waffen, die keiner Genehmigung bedürfen. Doch es geht nicht nur um Täter mit islamistischem Hintergrund.

Deutschland Messerattacke in Supermarkt in Hamburg
Bild: picture-alliance/dpa/M. Scholz

Safia S. ist 15 Jahre jung, als sie Schlagzeilen macht. Ende Februar 2016 sticht sie einem Bundespolizisten am Hauptbahnhof von Hannover oberhalb seiner Schutzweste in den Hals. Der Beamte war nicht allein, ein Kollege begleitete ihn. Trotzdem wurde er lebensgefährlich verletzt. Mit einem Gemüsemesser - von einer Halbwüchsigen.

Islamisten fordern im Netz zu Messerattacken auf

Im Januar verurteilte das Oberlandesgericht in Celle Safia S. zu sechs Jahren Haft. Das Mädchen gilt als IS-Sympathisantin. Sie ist die jüngste Attentäterin mit islamistischem Hintergrund. Der Fall, der wegen des jugendlichen Alters der Täterin unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wurde, gehört zu einer Reihe von Gewaltattacken islamistischer Einzelpersonen, die weder Schusswaffen noch Bomben einsetzen, um gezielt zu töten. Anschläge mit PKWs, LKWs und Messern häufen sich. Weil fast jeder über sie verfügt, lauert die Gefahr buchstäblich hinter jeder Ecke.

Im Frühjahr warnte das nordrhein-westfälische Innenministerium vor gezielten Messerattacken. Im Internet waren vermehrt Videos aufgetaucht, in denen zu Attacken auf Polizisten aufgerufen wird. Die Videos geben sogar Auskunft darüber, wie die Beamten zuvor abgelenkt werden sollen.

Messer gehören inzwischen zur Grundausstattung

Doch auch jenseits von Terror verdächtigen islamistischen Muslimen oder Konvertiten gehört das Messer längst zur Grundausstattung Gewaltbereiter. Vor allem bei 15- bis 30-Jährigen. Schon aus nichtigem Anlass werden Stichwaffen, Klapp- oder Springmesser gezogen und auch eingesetzt. Der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft in Nordrhein-Westfalen (GdP), Arnold Plickert, hält die Entwicklung für brandgefährlich. "Wer ein Messer dabei hat, zückt es auch schnell", so die statistische Erfahrung.

29. Juli 2017: Der Erste Bürgermeister Hamburgs, Olaf Scholz (SPD), am TatortBild: picture-alliance/dpa/P. Weidenbaum

Seit 2003 sind sogenannte Butterflymesser, Faust-, Fall- und Springmesser verboten. Auch Hieb- und Stoßwaffen sowie Messer mit einhändig feststellbarer Klinge dürfen seit einigen Jahren nicht mehr mitgeführt werden. Dazu gehören auch feststehende Messer mit einer Klingenlänge von über zwölf Zentimetern. Wer sich daran nicht hält, dem droht eine Geldstrafe bis zu 10.000 Euro.

Doch solche Auflagen gehen an den aktenkundigen Vorfällen der letzten Jahre vorbei. Das Beispiel Wachtendonk macht das deutlich. In der niederrheinischen Gemeinde in der Nähe der holländischen Grenze wurde vergangenes Jahr ein 23-Jähriger im Anschluss an einen Schwimmbadbesuch Opfer einer Messerattacke. Die Tatwaffe war ein acht Zentimeter langes Küchenmesser.

Messerattacke kennt keine Vorwarnung

Der GdP-Chef im größten Bundesland registriert seit der Kölner Silvesternacht, in der massenhaft Frauen vor dem Kölner Dom von zumeist nordafrikanischen Männern sexuell belästigt worden waren, einen sprunghaften Anstieg von Stichwaffen aus dem Küchenarsenal.

Arno Plickert, Polizeigewerkschaft Nordrhein-WestfalenBild: picture alliance/dpa/AP/M. Meissner

Psychologen haben das Phänomen des Messerstechers längst unter Beobachtung. Obwohl die Gründe zum Messereinsatz vielfältig sind, scheinen sich doch zwei Deutungen herauszuschälen, glaubt die Düsseldorfer Psychologin Susanne Altweger. "Zum einen fühlen sich die jungen Leute durch die jüngsten Terroranschläge fälschlicherweise legitimiert, sich selbst zu bewaffnen und zum anderen denken sie, dass sie mit einem Messer zur Welt der Erwachsenen gehören."

Fest steht, dass Messertäter politisch, ideologisch, religiös und sozial aus fast allen Milieus entstammen. Auf Henriette Reker wurde am 17. Oktober 2015 einen Tag vor ihrer Wahl zur Oberbürgermeisterin Kölns ein Messer-Attentat verübt, weil sie als kommunale Beauftrage ihrer Stadt für die Unterbringung der Flüchtlinge zuständig war. Der Täter, Frank S., war ein bekennender Rechtsextremist. Die Tat kontrastiert in ihrer Motivlage  deutlich vom Anschlag in Hamburg vergangene Woche, bei dem der 26-jährige Täter "Allahu Akbar" gerufen hatte, bevor er mit dem Messer zustieß.

25. April 1990: Anschlag auf den SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine. Das Messer steckte im BlumenstraußBild: picture-alliance/dpa

Gegen Messer-Angriffe ist niemand gefeit. Schon gar nicht, wenn es sich dabei um geistig verwirrte Täter handelt. Das musste auch Oskar Lafontaine erfahren, der im April 1990 einen Wahlkampf-Auftritt in Köln beendet hatte, als er sich plötzlich einer vermeindlichen Gratulantin gegenüber sah. Aus dem vor ihrer Brust gehaltenen Blumenstrauß für ihn zückte die Frau ein Messer und verletzte den SPD-Spitzenpolitiker lebensgefährlich.    

 

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