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Das Messer vor der Hochzeitsnacht

Max Hofmann7. März 2003

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afrika ein weitverbreitetes Phänomen. Aber immer mehr Organisationen kämpfen dagegen. Langsam stellen sich erste Erfolge ein.

Beschneidungsutensilien aus KeniaBild: africa-photo

Sie erzählt schreckliche Geschichten. Von Männern, die ihren Frauen in der Hochzeitsnacht die zugenähten Genitalien mit einem Messer öffnen. Von Frauen, die nur durch ein Loch so groß wie ein Reiskorn urinieren können. Dabei ist sie sachlich und verzieht keine Miene. Dr. Solange Nzimegne-Gölz ist Ärztin und Präsidentin der Gesellschaft für die Rechte afrikanischer Frauen in Berlin. Ihre Geschichten sind wahr. Nach Schätzungen des Interafrikanischen Kommittees (IAC) werden jährlich die Genitalien von etwa zwei Millionen Frauen verstümmelt.

Weitverbreiteter Ritus

Dr. Solange Nzimegne-GölzBild: http://www.nzimegne.de/

"Das muss sich ändern", findet Nzimegne-Götz. Sie engagiert sich seit Jahren gegen die Beschneidung von Frauen. Auch das IAC kämpft gegen den Ritus. Regelmäßig finden internationale Konferenzen statt. In der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba kommen vom 4.02.03 bis zum 6.02.03 Vertreter aus 29 Ländern zusammen. Ihr Motto: "Null Toleranz für weibliche Genitalverstümmelung".

In mindestens 26 afrikanischen Ländern wird Beschneidung von Frauen praktiziert. Der IAC schätzt, dass im Sudan, in Djibouti und in Somalia über 90 Prozent der Frauen Opfer von Genitalverstümmelung sind.

Lebenslange Probleme

Eine besonders grausame Art der Beschneidung ist die so genannte "Infibulation". Die Klitoris und Schamlippen werden unter haarsträubenden hygienischen Bedingungen, oft nur mit einer Glasscherbe, abgeschnitten. Danach wird der Rest zugenäht bis nur noch ein winziges Loch übrig bleibt. Die Folgen sind fatal: Betroffene Frauen benötigen oftmals eine halbe Stunde, um unter großen Schmerzen ihren Urin abzulassen; die Menstruation zieht sich über Wochen. Einmal beschnitten, wird der Unterleib der Frauen zur lebenslangen Problemzone. "Schmerzen, Infektionen und Inkontinenz", fasst Dr. Nzimegne-Götz die auftretenden Komplikationen zusammen. Damit überhaupt Geschlechtsverkehr stattfinden kann, wird die Vagina in der Hochzeitsnacht mit einem Messer "defibuliert". Die psychischen Folgen dieser Tortur sind unabsehbar.

Diffuse Erklärungen

Der Ritus ist tief verwurzelt und wird seit Tausenden von Jahren praktiziert. Manche Stämme glauben, der Islam schreibe sie vor. Diese Behauptung wird in keiner Weise durch den Koran gestützt, betont Nzimegne-Gölz. Andere Stämme wiederum halten die Vagina für etwas Schmutziges, das "gereinigt" werden müsse. Die Beschneidung soll oftmals auch die sexuelle Lust der Frau bremsen, um die Jungfräulichkeit bis zur Hochzeit zu erhalten.

Die Beschneidungsgegner sind inzwischen der Meinung, dass dieses Fundament aus religiösem Aberglauben und traditionellem Irrglauben nur an der Wurzel angegriffen werden kann.

Bei den großen internationalen Konferenzen bleiben Politiker und Menschenrechtler deshalb nicht mehr unter sich. Vielmehr werden nun auch die Religions- und Stammesführer eingeladen. Nur sie können glaubwürdig Aufklärungsarbeit in Moscheen leisten. Wenn sie Gesetze erlassen, stehen die Chancen gut, dass sie auch respektiert werden. So lassen sich sogar jene überzeugen, die von der weiblichen Genitalverstümmelung profitieren. Beschneiderinnen sind oftmals hoch angesehene Mitglieder der Gesellschaft mit einem überdurchschnittlichen Verdienst. Es sind Fälle von ehemaligen Beschneiderinnen bekannt, die jetzt Hand in Hand mit Menschenrechtsorganisationen zusammenarbeiten.

Erste Erfolge

Tatsächlich scheint das Ritual in Afrika an Boden zu verlieren. Eine spektakuläre Erfolgsgeschichte ist die des Afar-Volkes. Unter Mitarbeit des Abenteurers und Menschenrechtsaktivisten Rüdiger Nehberg gelang es im Januar 2002, die Stammesführer für ein Verbot der Genitalverstümmelung zu gewinnen. Ein erster Schritt, auch wenn er sicherlich nicht das Ende aller Beschneidungen bei den Afar bedeutet.

Rüdiger Nehberg mit Partnerin Anette Weber vor dem Foto eines beschnittenen Afar-MädchensBild: AP

Auf höherer Ebene verbietet fast jedes Jahr ein anderes afrikanisches Land das Ritual per Gesetz. 2002 war es Nigeria, dieses Jahr Benin. Am Ende der Konferenz in Addis Abeba soll der internationaler Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung ausgerufen werden. "Man merkt, es tut sich was", sagt Dr. Solange Nzimegne-Götz. Und dabei lächelt sie.

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