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Nadelöhr nach Europa

Omaira Gill, Idomeni /ft18. Oktober 2015

Idomeni hat nur 154 Einwohner - trotzdem steht das Dorf an der griechisch-mazedonischen Grenze im Fokus. Täglich passieren tausende Flüchtlinge den Ort, der deshalb kurz vorm Kollaps steht. Aus Griechenland Omaira Gill.

Flüchtlinge an der Grenze zu Mazedonien, Foto: DW
Bild: DW/O. Gill

Idomeni im Norden Griechenlands: ein kleines Dorf, gerade mal einen kurzen Spaziergang von der mazedonischen Grenze entfernt. Offiziell wohnen hier gerade mal 154 Menschen. Ein vollkommen normaler, unbedeutender, kleiner Ort. Nichts Besonderes.

Bis jetzt. Idomeni ist zum Sammelort für Flüchtlinge geworden, die hier auf ihre Weiterreise nach Mazedonien warten. Yiannis Panagiotopoulos ist Taxifahrer aus Athen und hat neulich einige Flüchtlinge mit seinem Wagen nach Idomeni gebracht. "Sie waren unglaublich gut gekleidet. 1000 Euro habe ich von ihnen für die Taxifahrt verlangt, und eigentlich hätte ich erwartet, dass sie erstmal protestieren", sagt er. "Aber nichts da: Sie haben sofort bezahlt - in bar! Sie waren koptische Christen und haben berichtet, dass Saudi-Arabien jedem syrischen Nicht-Moslem 2000 US-Dollar und ein Smartphone gibt, wenn er verspricht, das Land zu verlassen. Sie wollen, dass Syrien rein muslimisch wird."

Fast jeder Flüchtling steuert auf seiner Reise in Richtung Europa Idomeni an. Die wenigsten können sich zwar ein Taxi leisten, aber es gibt auch Busse, und die einfache Fahrt kostet nur 35 Euro. Natürlich handelt es sich dabei nicht um reguläre Linienbusse. Sie operieren mehr oder weniger legal. In bestimmten Cafés am Athener Viktoriaplatz kann man Tickets kaufen, in bar und ohne Quittung. Die Fahrt würde eigentlich rund fünf Stunden dauern, die Busse fahren allerdings viele Umwege, um nicht in eine Polizeikontrolle zu geraten. So werden aus fünf schnell mal neun Stunden.

Nicht ganz legal, aber beliebt: Ein Bus aus Athen in IdomeniBild: DW/O. Gill

Yahyay Abbas aus Aleppo ist mit einem dieser Busse nach Idomeni gekommen. Der 34-Jährige hat bei einer Kosmetikfirma in Syrien gearbeitet, bis der Krieg losging. "Syrien war mal das tollste Land der Welt. Aber es ist von Terroristen zerstört worden", sagt er und hat dabei den sogenannten "Islamischen Staat" im Hinterkopf. "Ich liebe Assad, aber wegen der Terroristen kann ich nicht in Syrien bleiben." Jetzt will er weiter bis nach Norwegen. "Deutschland, Norwegen, die Niederlande, das sind unsere Freunde. Die Vereinigten Arabischen Emirate oder Saudi-Arabien dagegen helfen uns nicht. Ich frage mich: Warum?"

Tausende Neuankömmlinge - jeden Tag

Monatelang ging es an der Grenze chaotisch zu. Langsam kehre Routine ein, zumindest die meisten Dinge würden funktionieren, sagen die griechischen Behörden. Alle 15 Minuten öffnet sich die mazedonische Grenze und bis zu 80 Menschen werden durchgelassen. Jedesmal, wenn einer der Busse in Idomeni ankommt, dürfen auch nur so viele aussteigen, wie zu dem Zeitpunkt über die Grenze können. Dann bekommt jeder von der griechischen Polizei eine Nummer zugewiesen - und dann geht es einer nach dem anderen, so geordnet wie möglich, über die Grenze.

So kommen Schätzungen zufolge rund 5000 Menschen täglich über die Grenze. Begleitet werden sie von Freiwilligen. Diese holen die Flüchtlinge am Bus ab, versorgen sie mit dem Nötigsten – wie etwa Essen, Trinken, Hygieneartikel - und bringen sie zur Grenze. In großen, weißen Zelten des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR warten die Flüchtlinge, bis sie an der Reihe sind. Kare Mossing, der für das Internationale Rote Kreuz vor Ort arbeitet, sagt, es seien hauptsächlich Erkältungen, Atemwegserkrankungen und Kriegswunden, die versorgt werden müssten. Das Team arbeitet im Acht-Stunden-Schichtbetrieb. "In der letzten Schicht haben wir 378 Patienten behandelt", sagt er, "in den vergangenen zwei Wochen waren es 2500."

An der Grenze arbeitet derweil die griechische Grenzpolizei mit der mazedonischen zusammen. Denn erst, wenn die Mazedonier das Signal dazu geben, wird eine Gruppe Flüchtlinge durchgelassen. Dann geht es einen Bahndamm entlang über den Fluss bis ins mazedonische Gevgelija. Eine Gruppe junger Syrer, von denen keiner seinen Namen nennen will, um die Daheimgebliebenen nicht zu gefährden, ist auch dabei. "Wir würden überall hingehen", macht einer von ihnen klar. "Wir wollen unser Studium beenden, mein Fach ist Wirtschaftswissenschaften".

Inzwischen gibt es im Auffanglager Idomeni immerhin ZelteBild: DW/O. Gill

Nicht alle von ihnen sind vor dem sogenannten "Islamischen Staat" geflohen. Ein Älterer sagt: "In meinem Dorf gab es keine Terroristen. Ich bin vor der syrischen Regierung geflohen. Jeder, der Ihnen hier erzählt, er würde die Regierung unterstützen, ist ein Lügner. Das sagen die doch nur, weil sie sich vor den Konsequenzen fürchten, die ihre Familien in Syrien dann ausbaden müssten."

Sorgen bei den Einwohnern

Ortswechsel. Die Taverne im Zentrum. "Idomeni ist nicht gerade schön", gibt Ilias Konstantindis unumwunden zu. "Und trotzdem kennt uns jetzt jeder - und das nur wegen des Durcheinanders hier." Das "Durcheinander" - das sind für ihn die Flüchtlinge. "Wir helfen ihnen ja, wo wir können. Aber dass das alles tatsächlich Flüchtlinge sein sollen, daran habe ich meine Zweifel. Was, wenn fanatische Muslime nach Griechenland kommen?" So sitzt der 70-Jährige an seinem Tisch und sorgt sich. "Hey", sagt da ein Freund von ihm, "die kommen doch alle nur wegen der Asylpolitik unserer Regierung. Tsipras wird sowieso im Amt bleiben, bis Du stirbst….also stirb bitte nicht so bald", sagt der Freund und lacht über seinen eigenen Witz.

Und auch die Freiwilligen sind nicht alle unkritisch gegenüber den Flüchtlingen eingestellt. Einer, der hier die chemischem Toiletten reinigt, versteht die Welt nicht mehr: "Ich weiß ja nicht, was die Leute in ihren eigenen Ländern machen. Sie können sich den Dreck nicht vorstellen. Mir stinkt´s. Wenn man am einen Ende aufhört zu putzen, kann man am anderen wieder anfangen.", sagt er und dreht sich zu einem urinierenden Kind um: "Hey, das ist eine Dusche, nicht die Toilette".

Kare Mossing, Ärzte ohne GrenzenBild: DW/O. Gill

Dem Wetter ausgesetzt

Alleine in den ersten zwei Oktoberwochen dieses Jahres sind offiziellen Angaben zufolge rund 130.000 Menschen bei Idomeni über die Grenze gekommen. Julia Kourafa, Pressesprecherin bei der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, findet, dass die Situation im Camp schon Fortschritte gemacht hat. "Wir waren eine der ersten Organisationen hier. Als wir kamen, gab es hier noch gar nichts, lediglich ein paar Kantinen, wo man etwas essen konnte", erinnert sie sich. Erst danach seien mobile Versorgungseinrichtungen hergebracht worden. "Auch die Zelte und sonstigen Einrichtungen sind erst seit einem Monat hier, die haben wir zusammen mit den Kommunalbehörden hierher gebracht.", sagt sie. "Davor waren die Wartenden hier dem Regen und der Kälte ausgesetzt. Menschenschmuggler haben sie über die Grenze gebracht." Insgesamt haben 2015 schon 400.000 Menschen an dieser Stelle Griechenland verlassen.

Der bevorstehende Winter wird die große Bewährungsprobe für Idomeni. Wenn keine entsprechenden Maßnahmen getroffen werden, wird es hart für die Wartenden an der Grenze - und sehr gefährlich.

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