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Nein gegen alles Mögliche

Christoph Hasselbach7. April 2016

Die Niederländer haben in ihrem Referendum mehrheitlich das EU-Ukraine-Abkommen abgelehnt. Es steckt noch viel mehr dahinter. Das begreift man auch in Brüssel.

Niederlande Abstimmung EU-Abkommen mit Ukraine
Bild: picture-alliance/dpa/B. Maat

Es ging bei der Volksabstimmung in den Niederlanden gar nicht um die Ukraine, sondern um die EU selbst. Das behauptet jedenfalls der ukrainische Präsident Petro Poroschenko. Das Ergebnis sei "ein Angriff auf die Einheit Europas", schreibt Poroschenko auf seiner Webseite. Weiter heißt es: "Das wahre Ziel der Organisatoren ist nicht das Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine und der EU. Dies ist ein Angriff auf die Verbreitung europäischer Werte". Die Tatsache, dass der Kreml-Sprecher das Referendum ein "Zeichen des Misstrauens" gegenüber dem EU-Ukraine-Abkommen genannt hat, dürfte Poroschenko noch bestätigen.

Die Einschätzung, dass das Ukraine-Abkommen nur der Anlass, aber nicht der Grund für die eindeutige Ablehnung von über 60 Prozent war, ist weit verbreitet. Die Gegner hatten die Abstimmung als Gelegenheit dargestellt, der niederländischen Regierung und den europäischen Institutionen einen Denkzettel zu verpassen. Einer ihrer Anführer, der Rechtspopulist Geert Wilders, freut sich auf Twitter: "Das ist eine Abstimmung der Menschen gegen die Eliten in Brüssel und Den Haag."

Kees Verhoeven, der für die Oppositionspartei D66 die Ja-Kampagne geleitet hat, glaubt, beides habe eine Rolle gespielt. Gegenüber der Deutschen Welle sagt Verhoeven, viele Niederländer hielten die Ukraine "für ein ziemlich korruptes Land". Verbunden mit der Sorge, die Ukraine solle EU-Mitglied werden, habe das zu dem Eindruck geführt: "Die Europäische Union geht zu schnell voran."

Sind die Haager und Brüsseler Eliten zu weit weg vom Bürger? (Bildmitte: Mark Rutte)Bild: Imago

Es gab viele Gründe, Nein zu sagen

EU-Vertreter haben zurückhaltend bis zugeknöpft reagiert. Kommissionspräsident Jean-Claude sei "traurig", gab sein Sprecher bekannt. Das Abkommen mit der Ukraine insgesamt bleibe aber von der Abstimmung unberührt. Ratspräsident Donald Tusk will warten, "welche Schlussfolgerungen Ministerpräsident Rutte und seine Regierung aus dem Referendum ziehen". Die schon eingeleiteten Erleichterungen für die Ukraine blieben in Kraft.

Rutte selbst will erst einmal in Ruhe überlegen. Zwar wäre das Ergebnis des Referendums für die Regierung nicht bindend, Rutte hat aber gesagt, er könne die Volksbefragung nicht einfach ignorieren. Auch Kees Verhoeven meint: "Die Regierung sollte das Abkommen nicht ratifizieren und eine Lösung suchen, die mit den Gründen vereinbar ist, weshalb die Menschen mit Nein gestimmt haben." Das sei schwierig, weil ein Teil der Neinsager gegen die EU als solche sei, ein anderer gegen das vorliegende Ukraine-Abkommen und ein weiterer Teil ein anderes Abkommen wolle, zum Beispiel nur handelspolitischen Inhalte. Trotzdem müsse die Regierung den Versuch unternehmen und zeigen, dass sie sich mit den wichtigsten Gegenargumenten auseinandersetze. In knapp einem Jahr spätestens stehen in den Niederlanden Parlamentswahlen an. Das dürfte den Druck noch erhöhen.

Brisant ist die Sache auch deswegen, weil die Niederlande derzeit den Ratsvorsitz der EU haben und daher besonders im Rampenlicht stehen. Dabei gelten die Niederländer schon seit längerem nicht mehr als die Mustereuropäer von früher, sondern zeigen sich in den vergangenen Jahren zunehmend misstrauisch gegenüber weiterer Integration. 2005 lehnten sie, ebenso wie die Franzosen, in einem Referendum den Entwurf einer EU-Verfassung ab. Auch Rutte selbst gilt nicht gerade als glühender Integrationist. Er hat sich wiederholt dafür ausgesprochen, die nationale Ebene in der EU gegenüber Brüssel zu stärken.

Nigel Farage hofft, dass die Briten die EU verlassenBild: DW/L. Scholtyssyk

Die EU-Feinde twittern "Hurra"

Manfred Weber, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, warf Rutte in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP vor, dieser sei "vor dem Referendum zu sehr abgetaucht, genauso wie viele Eliten". Und mit den Eliten meint Weber auch die Brüsseler Eliten. Gefragt seien mehr Bürgernähe und Bürgerbeteiligung in Europa, so Weber im Deutschlandfunk: "Wir müssen Europa demokratisieren." Weber sprach gegenüber AFP auch das unmittelbare Thema der Abstimmung an und versuchte, diejenigen zu beruhigen, die einen EU-Beitritt der Ukraine ablehnen: "Wir versprechen Euch, dass es in der Legislaturperiode, die wir verantworten, keine Erweiterung der EU geben wird."

Dass das niederländische Referendum über das Land hinaus Wirkung hat, zeigt auch die Reaktion in Großbritannien, wo Ende Juni über einen möglichen Austritt aus der EU abgestimmt wird. Premierminister David Cameron sagte: "Ich hoffe, es wird das Ergebnis unseres Referendums nicht beeinflussen, denn das Thema ist sehr verschieden." Ganz anders Nigel Farage von der EU-feindlichen Unabhängigkeitspartei. "Hurra!", twitterte er, als das niederländische Ergebnis bekannt wurde, und sprach von einem "großartigen Sieg für die Demokratie".

Auch wenn Kees Verhoeven mit seiner Ja-Kampagne ebenso auf der Verliererseite steht wie Ministerpräsident Rutte, sieht er darin kein Argument gegen solche Volksabstimmungen. Man solle das Volk aber nur fragen, wenn das Parlament zuvor entschieden habe. "Deshalb mögen wir das Brexit-Referendum nicht." Er selbst, so Verhoeven, habe in den vergangenen Wochen "Tag für Tag und Nacht für Nacht" mit Gegnern und Befürwortern des Ukraine-Referendums gesprochen und gemerkt, dass es Politiker und Bürger einend "nähergebracht" habe. Volksabstimmungen seien gut, denn sie zwängen die Politiker, die im Parlament getroffenen Entscheidungen gegenüber den Bürgern besser zu erklären.

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