"Das nukleare Spiel der Ayatollahs"
16. November 2012 Die Studie unter der Überschrift "Das nukleare Spiel der Ayatollahs" wurde von der Universität von Utah und dem Institut "Iran Hope" veröffentlicht und stützt sich auf Daten der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA), des amerikanischen Verteidigungsministeriums und auf Informationen anderer US-Regierungsinstitutionen.
Die Forscher gehen von militärischen Anschlägen auf vier existierende Atomanlagen in Natanz, Arak, Bushehr und Isfahan aus. Ein möglicher Angriff und dadurch entstehende Explosionen könnten bereits anfangs bei Hunderttausenden Menschen schwere gesundheitliche Schäden verursachen.
Khosro Semnani, Direktor des Instituts "Iran Hope" und wissenschaftlicher Leiter des genannten Teams, erläuterte gegenüber der DW die Folgen eines solchen Militärschlags für die iranische Bevölkerung.
Deutsche Welle: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine wissenschaftlichen Studie über die Konsequenzen eines möglichen Militärschlags gegen nukleare Einrichtungen auf iranische Bürger zu erstellen?
Khosro Semnani: Mit der Verschärfung des iranischen Atomstreits in den letzten Jahren wurde uns immer stärker bewusst, dass die Konsequenzen eines Militärschlags gegen die iranischen Atomanlagen für die Bevölkerung kaum beachtet werden. Deshalb hielt ich eine wissenschaftliche Untersuchung für nötig. Einige der nuklearen Einrichtungen, wie zum Beispiel die in Isfahan, sind nahe an Wohngebieten und Ballungszentren. Jede Explosion dort hätte verheerende Auswirkungen.
Sie haben betont, dass Sie eine wissenschaftliche Untersuchung durchgeführt hätten. Welche Methoden haben Sie dabei angewandt?
Wir haben für die Untersuchung Daten und Informationen von öffentlichen Institutionen gesammelt. Anschließend haben wir durch computergestützte Methoden die zeitlichen und räumlichen Dimensionen der radioaktiven Verseuchung und die Verbreitungswege nach einer atomaren Explosion prognostiziert. Zudem stützten wir uns auf existierende Untersuchungen von US-Institutionen.
Hatten Sie für Ihre Untersuchung auch Zugang zu den Statistiken und Informationen der iranischen Atombehörde und den Berichten der staatlichen und offiziellen Institutionen im Iran?
Wir benutzen ausschließlich öffentliche Daten und Fakten, die jedem zugänglich sind. Dabei haben wir auch Berichte der iranischen Atombehörde berücksichtigt und die Plausibilität geprüft. Aber unser Untersuchungsteam konnte keinen direkten Kontakt zur iranischen Atombehörde knüpfen.
In Ihrer Untersuchung haben Sie die Auswirkungen eines möglichen Militärschlags gegen iranische Nukleareinrichtungen mit der Tschernobyl-Katastrophe im Jahr 1986 verglichen. Welche Ähnlichkeiten haben Sie festgestellt?
In unserer Studie haben wir vier iranische Einrichtungen untersucht. Bei einem Angriff auf Bushehr wäre eine Katastrophe wie in Tschernobyl wahrscheinlich. Der Hauptreaktor in Bushehr hat die gleichen Dimensionen wie der zerstörte Reaktor in Tschernobyl. Beide Reaktoren wurden übrigens von russischen Ingenieren gebaut.
In Ihrer Untersuchung gehen Sie davon aus, dass ein solcher Militärschlag Zehntausende Todessopfer fordern würde. Um wen handelt es sich dabei?
Natürlich sind die ersten Opfer die Angestellten, Sicherheitskräfte und Techniker, die in dem Kraftwerk arbeiten. Abhängig vom Grad der Zerstörung sind auch die Wohngebiete um die Kraftwerke bedroht. Sehr kritisch ist zum Beispiel die Atomanlage in Isfahan, weil viele Menschen in der Nähe in Ballungszentren wohnen.
Sie haben nur vier Atomanlagen im Iran berücksichtigt...
Insgesamt gibt es im Iran etwa 400 nukleare Einrichtungen und Institutionen, die direkt oder indirekt am Atomprogramm beteiligt sind. Laut einem Bericht des schwedischen Verteidigungsministeriums sind mindestens zwanzig dieser Atomkraftwerke und -anlagen potentielle Ziele eines Militärschlags. Dabei würden die Schäden natürlich deutlich höher ausfallen als in unserer Prognose.
Inwieweit könnte die iranische Regierung die Auswirkungen und Schäden eines solchen Militärschlags vermindern?
Das erste Problem im Iran ist die Pressezensur. Den iranischen Bürgern fehlen richtige und wichtige Informationen für den Falle eines solchen Angriffs. Sie wüssten im Ernstfall nicht, was in den nuklearen Einrichtungen los ist und mit welchen gesundheitlichen Gefahren sie bei einem solchen Anschlag konfrontiert werden. Bei einem Angriff auf die Wiederaufbereitungsanlagen in Isfahan würden 550 Tonnen Uran-Hexafluorid freigesetzt. Durch die Verdunstung dieser hochgiftigen, radioaktiven Chemikalie wären auch weit von Isfahan entfernte Wohngebiete betroffen. Schon fünf Prozent der genannten Menge könnte Zehntausende Todesopfer fordern, weitere Zehntausende würden schwere Gesundheitsschäden erleiden.
Hat Ihr Team versucht, mit amerikanischen und israelischen Politikern über diese Szenarien zu sprechen?
Wir haben mit amerikanischen Behörden Gespräche geführt und einigen Denkfabriken in Washington unsere Untersuchung vorgestellt. Wir hoffen, dass unsere Studie auch den iranischen Bürgern zugänglich gemacht werden kann.
Das Gespräch führte Farnaz Seifi.