1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Das politische Klima ist vergiftet"

16. Februar 2017

Bei der Regionalwahl in Jakarta muss der durch Blasphemievorwürfe geschwächte Gouverneur Ahok in die Stichwahl. Für Indonesien-Expertin Susanne Schröter ein weiteres Zeichen für die zunehmende Radikalisierung des Landes.

Indonesien FPI Proteste
Bild: Adek Berry/AFP/Getty Images

DW: Frau Schröter, in Indonesien fanden in mehreren Provinzen Regionalwahlen statt. Diejenige mit der höchsten Symbolkraft ist sicher die Gouverneurswahl in Jakarta. Inoffiziellen Hochrechnungen zufolge muss der große Favorit Ahok nun doch in die Stichwahl. Wie sehr haben ihm die Blasphemievorwürfe aus den radikalislamischen Kreisen geschadet?

Susanne Schröter: Die haben ihm ganz sicher geschadet. Es ist ja breit gegen ihn mobilisiert worden. Hunderttausende sind Ende letzten Jahres unter Führung der FPI ("Front zur Verteidigung des Islam" Anm. d. Red.) gegen ihn auf die Straße gegangen und haben gefordert, dass er wegen Blasphemie ins Gefängnis solle. Und dieser Blasphemievorwurf ist einer, der in den letzten Jahren zunehmend als politisches Instrument eingesetzt wird.

Die Islamisten haben im Vorfeld auf breiter Front Stimmung gegen Ahok gemacht. Aber es geht ja noch weiter.  Sie zeigen sich teilweise offen verfassungsfeindlich. FPI-Chef Rizieq etwa hat öffentlich die indonesische Staatsordnung – die Pancasila – in Frage gestellt. Wie kommt es, dass die radikalislamischen Kräfte in den letzten Jahren so sehr an Auftrieb gewonnen haben?

FPI-Anführer Rizieq will Indonesien in einen islamischen Staat umwandelnBild: picture-alliance/dpa/B.Indahono

Die Sache ist eigentlich komplizierter und geht zurück bis in den Unabhängigkeitskampf der Indonesier gegen die Niederländer. Daran waren auch sehr viele islamistische Akteure beteiligt. Und deren Ziel war von Anfang an, Indonesien zu einem postkolonialen islamischen Staat zu machen. Gegen dieses Ansinnen hatte sich Indonesiens erster Präsident Sukarno mehr oder weniger handstreichartig durchgesetzt. Er hat die sogenannte Pancasila zu den Leitlinien des Staates gemacht. Und da ist eben sehr klar niedergelegt, dass Indonesien nicht als islamischer Staat, sondern als multikultureller und multireligiöser Staat verfasst sein soll. Diese Präambel ist aber von vielen seiner islamistischen Weggefährten nie akzeptiert worden. Nur durch einen sehr autoritären Kurs ist es gelungen, diese Kräfte die immer da waren, unter Kontrolle zu halten. Doch der fundamentalistische und auch stark politische Islam hat schon Ende der 1980er Jahre immer weiter Raum gegriffen. Und spätestens seit dem Sturz von Sukarnos Nachfolger Suharto im Jahre 1998 sind gewaltbereite islamistische Gruppen in der Öffentlichkeit sehr präsent gewesen.

Wie reagiert der indonesische Staat auf diese Herausforderung?

Junge Indonesierinnen in der Provinz AcehBild: Getty Images/AFP/C. Mahyuddin

Der Staat versucht zwar unter dem Druck des Auslands, diese Kräfte unter Kontrolle zu bekommen. Teilweise ist es ihm auch geglückt. Was er aber nicht verhindern konnte ist, dass seit der Jahrtausendwende eine starke Islamisierung der Gesellschaft stattfindet. Es ist absolut populär, sich islamisch zu kleiden, islamische Literatur zu lesen, islamische Filme zu sehen, islamische Boy-Bands anzuhören. Man könnte ja sagen, das alleine macht eigentlich nichts, jeder soll nach seiner eigenen Vorstellung leben – das lässt die indonesische Verfassung ja auch zu. Aber parallel zu dieser Islamisierung ist auch der Druck auf Minderheiten jeglicher Art enorm gewachsen – auf Christen, auf Schiiten, auf die Ahmaddiyya. Und es gibt vermehrte Stimmen vor allem bei der FPI, die fordern, dass Indonesien als größtes muslimisches Land der Welt endlich ein islamischer Staat werden solle. Und auf dem Weg ist man schon relativ weit: In vielen Distrikten und Provinzen gelten bereits Scharia-Regularien zusätzlich zum ganz normalen Recht. In der Provinz Aceh wurde sogar der gesamte Rechtskorpus anhand des islamischen Rechts umformuliert.

Und auf diesem Weg instrumentalisiert man auch das Blasphemiegesetz, gegen das Gouverneur Ahok verstoßen haben soll?

Ja. Dieses Blasphemiegesetz ist in der gesamten indonesischen Geschichte bis 2004 nur rund 25mal angewendet worden, in den letzten Jahren aber zehnmal so oft. Es ist also eines der Kampfinstrumente dieser radikalen Gruppen, um diese Entwicklung, die viel Zustimmung in der Bevölkerung findet, noch einmal richtig voranzutreiben und mobilzumachen gegen alle, die sich dieser Entwicklung entgegenstellen. Das war schon bei der letzten Präsidentschaftswahl ein großes Thema, und das ist es eben auch bei dieser Gouverneurswahl.

Trotz all dieser Entwicklungen spielen islamische oder islamistische Parteien bei Wahlen bislang nur eine untergeordnete Rolle. Ändert sich das gerade? Wird auch der so genannte "politische Islam" immer salonfähiger?

Schröter: Die Anschuldigungen gegen Ahok richten sich indirekt auch gegen Präsident JokowiBild: Reuters/D. Whiteside

Das Verwirrende ist, dass islamistische Parteien keine großen Wahlerfolge haben. Aber was wir sehen ist, dass eigentlich nicht-islamistische Parteien plötzlich eine islamistische Agenda übernehmen. Die Scharia-Änderungen sind fast durchweg von säkularen Parteien vorgenommen worden. Es gibt also sozusagen eine Übernahme säkularer Parteien durch islamistische Akteure. Umgekehrt instrumentalisiert man gern den Islam, weil man glaubt, dass man einem Kandidaten Wählerstimmen entziehen kann, wenn man ihn als unislamisch diskreditiert. Und das hat man auch bei diesem Wahlkampf gesehen. Dort spielte Ahoks Konkurrent Agus Yudhoyono, der Sohn des ehemaligen Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono, die islamische Karte aus reinem Machtinteresse. Offensichtlich hat es aber nur zum Teil funktioniert. (Yudhoyono ist bei den Wahlen bereits gescheitert – Anm. d. Red.)

Ahok gilt ja als enger Vertrauter von Präsident Jokowi. Wie positioniert dieser sich eigentlich? Wirklich offen hat er sich nicht hinter Ahok gestellt.

Susanne Schröter ist Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI)Bild: Privat

Ahok ist jemand, der ganz eng mit Präsident Jokowi verbunden ist. Von daher zielen diese Attacken ganz klar auch auf den Präsidenten. Jokowi aber lässt die Dinge laufen. Er versucht zu vermitteln und die muslimische Wählerschaft nicht zu verprellen. Dass er bei eher problematischen Veranstaltungen auftaucht, dass er sich nicht klar äußert, dass man nicht weiß, wo er genau steht, wird ihm aber mittlerweile auch als Schwäche ausgelegt. Ihm ist etwa schon mehrfach vorgeworfen worden, dass er eigentlich nichts gegen islamistische Gewalt unternimmt. Gerade die FPI tritt immer wieder mit großer Gewaltbereitschaft auf. Das sind Leute, die zerstören Bars, die stürmen Kunstausstellungen, die sind an Übergriffen auf Minderheiten beteiligt. Doch dazu verliert der Präsident eigentlich nie ein Wort. Man hat schon das Gefühl, dass er sich dazu eigentlich nicht positionieren möchte und dass das nicht gerade ein Zeichen der Stärke ist. 

Kann das noch einmal auf ihn zurückfallen – bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2019?

Das Land ist eigentlich gespalten. Indonesien hatte ja lange den Ruf inne, ein Land zu sein, das einen eher toleranten Islam beherbergt. Das gibt es auch immer noch. Es gibt auch immer noch viele Befürworter eines multikulturellen Indonesiens. Aber die werden jetzt immer mehr herausgefordert. Bei den jetzigen Gouverneurswahlen steht es auf der Kippe, wie es ausgehen wird, und das war auch schon bei den letzten Präsidentschaftswahlen so. Man kann nicht sagen, wie sich das bis 2019 entwickeln wird. Was aber auf jeden Fall feststeht ist, dass das politische Klima sich zunehmend vergiftet und dass auch viele liberalere Leute Angst haben, weil eben die Gewaltkarte von den Islamisten so stark gespielt wird und der Staat untätig bleibt. Und so ist die Gefahr groß, dass das Ganze kippt, und dass Indonesiens Gesellschaft insgesamt sich weiter radikalisieren wird.

Susanne Schröter ist Indonesien-Expertin und Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Johann Wolfgang von Goethe-Universität in Frankfurt/Main.

Thomas Latschan Langjähriger Autor und Redakteur für Themen internationaler Politik
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen