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Post-Polio-Syndrom

Gudrun Heise28. Oktober 2013

Lähmungen in Armen und Beinen sind typische Symptome für Kinderlähmung. Wenn die allmählich abklingen, muten sich die Betroffenen oft zu viel zu. Dann kann es sein, dass die Polio sie irgendwann wieder einholt.

Rollstuhlfahrer: Hand am Rad (picture alliance/keystone).
Bild: Picture-Alliance/KEYSTONE

Es ist die Folge einer Polio-Erkrankung, die meist im Kindesalter aufgetreten ist: Das Post-Polio-Syndrom - PPS. Betroffen sind nahezu alle, die vor Jahrzehnten schon einmal an Polio gelitten hatten. Bei den meisten ist das etwa 30 bis 40 Jahre her.

Polio oder auch Kinderlähmung ist eine Erkrankung, bei der die Nerven geschädigt werden, es treten Lähmungserscheinungen auf. Deren Funktionen übernehmen dann im besten Fall andere Nerven. Das geht lange Zeit gut, aber irgendwann könne es dann zur Überlastung kommen, erklärt Axel Ruetz vom Polio-Zentrum in Koblenz. "Das bedeutet, dass neue Lähmungen eintreten. Die Patienten, die immer versucht haben zu kämpfen und mit ihrer Polio ganz gut klargekommen sind, die merken auf einmal nach 40 Jahren, dass es ihnen immer schlechter geht. In Form des Post-Polio-Syndroms kommt dann genau das zurück, was sie schon einmal erlebt haben.

Eine Welt ohne Polio

Die früher übliche Schluckimpfung wird heute nicht mehr verabreicht - heute wird der Impfstoff gespritztBild: picture-alliance/dpa

Übertragen wird Polio fäkal-oral, also über Ausscheidungen. Aber auch kleinste Speicheltropfen können das Virus über Schmierinfektion übertragen, über Mund oder Nase. Von dort aus kommt der Erreger erst in den Magen-Darm-Trakt und schließlich in die Blutgefäße.

Die meisten Menschen, die sich mit dem Polio-Virus infizieren, haben jedoch keinerlei Symptome. Sie tragen das Virus zwar in sich, merken aber nichts davon. Das trifft auf 90 Prozent zu. Diese Menschen sind gegen das Virus, mit dem sie sich angesteckt haben, immun. Aber es gibt verschiedene Polio-Erreger. Einen zuverlässigen Schutz bietet nur eine Impfung. Seit Anfang der 1960er Jahre wurde sie Kindern als Schluckimpfung verabreicht. Deutschland ist seit 1998 poliofrei, genauso wie alle anderen europäischen Länder. In einigen Teilen der Welt aber gebe es noch immer Neuinfektionen, erklärt Axel Ruetz: "Das sind viele Länder in Afrika und Asien, Pakistan, Afghanistan, Indien. Dort gibt es auch nach dem Jahr 2000, als die Weltgesundheitsorganisation die Polio schon als ausgerottet erklären wollte, noch Polio."

Ein schlimmer Rückschlag

Die Eiserne Lunge wurde früher bei Polio eingesetztBild: picture alliance/IMAGNO/Austrian Archives

Viele derjenigen, die unter Polio gelitten haben, waren jahrelang vollkommen beschwerdefrei, bis das Post-Polio-Syndrom sie eingehtolt hat. Das ist auch die Geschichte von Hans-Joachim Wöbbeking. Er war drei Jahre alt, als die Krankheit bei ihm ausbrach. Das war 1952. Er war komplett gelähmt und musste sogar in die sogenannte Eiserne Lunge. Es war zu der Zeit das erste klinische Gerät, mit dem Patienten künstlich beatmet werden konnten. "Nach circa eineinhalb Jahren hat es sich wieder gebessert", erzählt der Vorsitzende des Bundesverbandes Polio, "und von da an begann über zehn Jahre ein Heilungs- und Regenerationsprozess." Er sei ganz normal in die Schule gegangen, sagt er. "Heute würde man sagen, ich wurde integrativ geschult und das hat auch ganz gut geklappt. Aber ich habe auch unter Hänseleien gelitten. Ich war 'Humpelbein'." An einige Ereignisse erinnert sich Wöbbeking jedoch gerne, wie beispielsweise an die verschiedenen Kuraufnehtalte. "Die Gesunden haben uns dann über den Rücken genommen, uns im Schwimmbad auf den Zehnmeterturm hochgeschleppt und uns dann runtergeschmissen. Das hat einen Heidenspaß gemacht."

Die Kräfte werden überschätzt

Heute weiß man: Zum Post-Polio-Syndrom kann es durch übermäßige Belastung kommen. Nach oftmals zermürbendem Krankheitsverlauf waren die meisten Betroffenen froh, wenn sich das Krankheitsbild verbesserte und sie sich mit wenigen oder keinen Einschränkungen wieder bewegen konnten. Bei Wöbbeking war das rechte Bein betroffen. Das linke, gesunde Bein war etwa zehn Zentimeter länger. Zunächst sei das durch orthopädische Schuhe ausgeglichen worden, so Wöbbeking. 1980 kam dann eine Operation. Das linke Bein wurde gekürzt. "Ich hatte dann einen sogenannten Hüftgleichstand", erzählt Wöbbeking. "Ich konnte das erste Mal normale Schuhe im Laden kaufen und anziehen. Das war ein tolles Erlebnis."

Viele Jahre arbeitete er als Bergbauingenieur unter Tage. "Ich habe so eine Art Gutachtertätigkeit gehabt. Ich habe zwar nicht mit dem Abbauhammer gearbeitet, aber immerhin: Kriechen, Klettern, Krauchen, das gehörte dazu. Aber in den letzten Jahren war das schwierig." Es hat lange gedauert, bis die richtige Diagnose gestellt wurde: Post-Polio-Syndrom. Er hat Atem- und Schlafstörungen und ist tagsüber oft müde. Seit 1995 sitzt er im Rollstuhl. Er weiß, dass er sich immer zuviel zugemutet hat.

Eine seltene Erkrankung

In Koblenz ist die einzige PPS-Ambulanz in DeutschlandBild: picture-alliance/dpa

In Deutschland leiden etwa 70.000 Menschen unter dem Post-Polio-Syndrom. Damit gehört diese Erkrankung in die Reihe der Seltenen Erkrankungen. "Das bedeutet auch", so Axel Ruetz, "dass die Forschung kein besonders großes Interesse daran hat. Spezielle Lehrbücher fehlen und während des Studiums gibt es keine gesonderten Vorlesungen zur Polio. Die Versorgung über ganz Deutschland ist also nicht gesichert." In Koblenz hat Axel Ruetz die bislang einzge PPS-Ambulanz gegründet. Angefangen hat es im Jahr 2001 mit den ersten klinischen Patienten, die der Arzt behandelt hat und die auch eine ambulante Versorgung brauchten. Es sei notwendig gewesen, eine klinische Einrichtung aufzubauen. Über Informationen in den Medien seien dann rund 500 Patienten pro Jahr gekommen. "Es kam die Frage nach speziellen Therapien auf oder auch: Wie kann man bei der Beatmung helfen? Wie kann man erreichen, dass alltagstaugliche Hilfsmittel eingesetzt werden?" Ein Medikament aber, das die Post-Polio-Erkrankung verzögert oder gar stoppen könnte, gibt es noch immer nicht.

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