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Das Saarland und Deutschlands "kleine Wiedervereinigung"

3. Oktober 2025

Mal französisch, mal deutsch, mal autonom. Das Saarland blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Auch daran werden Präsident Macron und Kanzler Merz am Tag der Deutschen Einheit in Saarbrücken erinnern.

Bundeskanzler Konrad Adenauer läuft an einem Spalier aus Polizisten in Saarbrücken vorbei
Willkommen in der BRD: Bundeskanzler Konrad Adenauer am 1. Januar 1957 in SaarbrückenBild: dpa/picture alliance

Das Saarland spielt gegen die Bundesrepublik Deutschland. 53.000 Zuschauer verfolgten am 28. März 1954 ein Fußballspiel, das in die Geschichtsbücher einging. Im Stadion Ludwigspark in Saarbrücken kämpften die deutsche und die saarländische Mannschaft um die Qualifikation zur Fußball-Weltmeisterschaft in der Schweiz.

Das Saarland, heute fester Bestandteil Deutschlands, hatte also eine eigene Nationalelf. Und mehr als das: Die knapp eine Million Saarländer lebten in einem eigenen Staat, mit eigener Verfassung, eigener Flagge und eigener Währung. 

Grenzland: zwischen Deutschland und Frankreich

Wie es zu dieser Sonderrolle des Saarlands kam? "Es ist die Grenzlage", erklärt die Historikerin Gabriele Clemens der DW. Das Saarland liegt im Südwesten Deutschlands, direkt an der Grenze zu Frankreich. "Es war lange ein Zankapfel zwischen deutschen Territorien und Frankreich. Die Saarländer haben zwischen 1800 und 1950 fünfmal die Staatszugehörigkeit gewechselt", sagt Clemens .

Wird bald Weltmeister: Hans Schäfer (Mitte) stürmt durch die Abwehr der SaarländerBild: Ferdi Hartung/IMAGO

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Gebiet 1920 unter Verwaltung des Völkerbunds gestellt, also unter internationale Kontrolle. Die Siegermacht Frankreich erhielt das Recht, die reichen Kohlevorkommen an der Saar auszubeuten. 1935 stimmte die Bevölkerung dann mit großer Mehrheit für die Rückkehr zum nationalsozialistischen Deutschen Reich. 

Doch nach dem Zweiten Weltkrieg wiederholte sich die Geschichte: Die Besatzungsmacht Frankreich übernahm die Kontrolle. Diesmal mit dem Ziel, die Saarländer langfristig an sich zu binden. Ab 1947 war das Saarland ein teilautonomer Staat unter französischem Einfluss.

Hoch emotional: die Volksabstimmung 1955

Einige Saarländer sahen das als Chance für Aufbruch, europäische Einigung und langfristigen Frieden. Doch viele fühlten sich kulturell und sprachlich als Deutsche. 1955 kam es zur Volksabstimmung über das sogenannte Saarstatut. Sollte das Saarland seine Sonderrolle behalten? Oder Teil der Bundesrepublik werden, die gerade ein "Wirtschaftswunder" erlebte?

"Die Auseinandersetzungen im Vorfeld wurden mit großer Emotionalität und teilweise sogar mit Gewalt ausgetragen", sagt Historikerin Clemens. "Wenn man mit heute 80-Jährigen spricht, die es noch miterlebt haben, dann können sie sich noch sehr gut an die Propaganda von beiden Seiten erinnern. Das war hoch emotional."

Mit einer Mehrheit von fast 68 Prozent stimmten die Saarländer schließlich für den Beitritt zur Bundesrepublik.  Am 1. Januar 1957 wurde das Saarland offiziell Teil Deutschlands. Damit war die "Saarfrage" gelöst, eine Hürde auf dem Weg in die deutsch-französische Freundschaft genommen.

Gegen die Autonomie des Saarlands: Demonstranten versuchen, eine Versammlung zu stürmenBild: Göttert/dpa/picture alliance

Zur Feierstunde im Staatstheater Saarbrücken sagt der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer: "Die Saarbevölkerung, Frankreich und Deutschland haben gezeigt, wie es möglich ist, Konflikte, die zuerst unlösbar erschienen, doch zu lösen, sie zu lösen auf der Grundlage des Menschenrechts, der freien Selbstbestimmung und im Geiste des Friedens und der Versöhnung." 

Blick in den Osten: Wann kommt die Wiedervereinigung?

Angesichts dieser "kleinen Wiedervereinigung" richtet Adenauer den Blick in Richtung der Deutschen Demokratischen Republik, DDR: " Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass auch im Osten Lösungen möglich sind" sagt er. Bis zur Wiedervereinigung zwischen West- und Ostdeutschland allerdings sollten noch mehr als 30 Jahre vergehen.

Die "kleine Wiedervereinigung" von Saarland und Bundesrepublik scheint heute oft vergessen. "Hier in der Region aber ist sie ganz präsent, sehr gut in Erinnerung", sagt Historikerin Clemens. Erst durch die wechselvolle Geschichte sei eine saarländische Identität entstanden. "Vorher haben die Saarländer auch zu Preußen und Bayern gehört. Und erst durch diese zweimalige Abtrennung nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg ist das Saarland zu dem geworden, was es ist." Nämlich zu einem Symbol der europäischen Einigung.

Viele Saarländer sprechen fließend Französisch, am Wochenende kommen Franzosen zum Einkauf in die Landeshauptstadt Saarbrücken. Und unter der Woche pendeln im Saarland und den angrenzenden Regionen etwa 275.000 Menschen zur Arbeit über die Grenzen: so viele wie nirgends sonst in der Europäischen Union.

Strukturwandel: Kohle und Stahl unter Druck

"Das große Problem des Saarlands ist die Wirtschaft", sagt Historikerin Clemens. Kohle- und Stahlindustrie gerieten seit den 1960er Jahren zunehmend durch internationale Konkurrenz unter Druck. Der letzte saarländische Bergbaubetrieb wurde 2012 geschlossen.

"Was sich immer mehr als Alternative abzeichnet, ist Bildung, Forschung und Technologietransfer", so Clemens. "Pharma und Medizintechnik ist ganz stark. Ich denke, da liegt die Zukunft. Aber da haben Sie natürlich nicht die Mitarbeiterzahlen wie früher unter Tage." 

Das Saarland sei heute ein "ganz normaler Teil Deutschlands" geworden, sagt Clemens. Das Fußballspiel von 1954 bleibt eine Erinnerung daran, dass die Saarländer auch einen ganz anderen Weg hätten einschlagen können - als eigene kleine Nation.

Im Spiel gegen den Favoriten schlugen sich die Saarländer übrigens wacker, verloren am Ende aber mit 1:3, fuhren nicht zur WM. Und die Bundesrepublik Deutschland wurde drei Monate später in Bern Fußball-Weltmeister.

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