Forschungssache "entartete Kunst"
17. April 2013Er war Hitlers "Kunstfeind Nummer 1": Der berühmte Maler Oskar Kokoschka galt in der NS-Zeit als "Entartetster unter den Entarteten". Seine Werke wurden von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und sind noch längst nicht alle wiedergefunden. Als eine seiner Zeichnungen bei Christie's auftauchte, war die Freude in der Berliner Forschungsstelle "Entartete Kunst" groß.
Das 2003 an der Freien Universität gegründete Institut sammelt Informationen über den Verbleib der rund 20.000 konfiszierten Kunstwerke und stellt sie in der weltweit einzigen wissenschaftlichen Datenbank zusammen. Die Forschungsstelle ist eine bekannte Anlaufstelle für Herkunftsforscher. Daher meldete sich das Auktionshaus sofort nach dem Auftauchen der Kokoschka-Zeichnung bei Projektkoordinatorin Meike Hoffmann, um mehr über das Kunstwerk zu erfahren. Die Wissenschaftlerin konnte Christie's mitteilen, wann und wo Kokoschkas "Tochter des Gauklers" konfisziert wurde.
Mühevolle Detektivarbeit
In der Auktion fand die Zeichnung eines mageren, nur mit einem Rock bekleideten Mädchens für über 300.000 Euro einen neuen Besitzer. Dieser kennt nun die Geschichte der Zeichnung, und die Forschungsstelle erhielt für ihre Datenbank von Christie's eine Abbildung sowie Informationen über Material und Technik der Zeichnung.
Für ihre Arbeit nutzen die Mitarbeiter das von den Nationalsozialisten 1937/38 angelegte Beschlagnahme-Inventar, in dem 16.585 konfiszierte Werke verzeichnet sind. "Es gibt darin zahlreiche Lücken und Irrtümer. Wir ergänzen und korrigieren die Einträge", erläutert die Kunsthistorikerin. Zudem gibt die Forschungsstelle eine Schriftenreihe heraus und bietet für die Studierenden der Freien Universität Seminare an.
Entartete Kunst als Prüfungsthema
Das Interesse der Studierenden an politisch geprägten Aspekten der Kunstgeschichte sei groß, sagt Hoffmann. Bei manch einem gab es sogar einen konkreten Auslöser für die Beschäftigung mit "entarteter" Kunst. So machte die Studentin Johanna Klapproth vor einigen Jahren ein Praktikum beim Auktionshaus Sotheby's und erlebte mit, wie die Restitutionsbeauftragte immer wieder Informationen von der Forschungsstelle Entartete Kunst einholte.
"Ich fand das sehr spannend und habe mich daraufhin für mein Masterstudium an der Freien Universität beworben", sagt Klapproth. Derzeit arbeitet sie an ihrer Abschlussarbeit über die Entschädigungsleistungen, die manche Museen erhielten. Über 30 Masterarbeiten und Dissertationen sind bereits an der Forschungsstelle entstanden, weitere sind in Arbeit.
Mitarbeit von Studierenden aus aller Welt
Auch viele internationale Studierende und Doktoranden kommen an das Institut – wie die Britin Lucy Watling, die ihre Dissertation über die Ausstellung "Twentieth Century German Art" schreibt. Diese wurde 1938 in London als Antwort auf die von den Nazis organisierte Münchner Schmähausstellung "Entartete Kunst" eröffnet.
"Ich habe gemerkt, dass es ein wichtiger erster Schritt sein würde, die Spuren der Werke nachzuvollziehen, die in London gezeigt wurden – Arbeit, die ich am besten in Deutschland erledigen konnte", erläutert Watling. Der Deutsche Akademische Austauschdienst ermöglichte ihre Recherchen mit einem Jahresstipendium, seit dem Herbst ist Watling zurück in London und promoviert dort am Courtauld Institute of Art.
10.000 Werke zum zehnjährigen Bestehen
Für die Forschungsstelle spielen Arbeiten von Studierenden und Doktoranden eine wichtige Rolle, denn mit vier Mitarbeitern und zwei studentischen Hilfskräften ist die Flut an Dokumenten kaum zu bewältigen. Gerade aus Osteuropa, wo eine neue Generation von Mitarbeitern in die Museen strömt, kommen laufend neue Materialien.
Bis zum Herbst dieses Jahres, wenn die Forschungsstelle Entartete Kunst ihr zehnjähriges Bestehen feiert, sollen 10.000 Werke in der Datenbank erfasst sein. Ein vernachlässigter Aspekt der Geschichte des Dritten Reiches wird somit allmählich aufgearbeitet – auch dank der Ferdinand-Möller-Stiftung, die die Forschungsstelle nicht nur initiiert hat, sondern ihr auch ihre langfristige Förderung zugesichert hat.