Tandem auf der Linksspur
21. September 2009Es war beim Wahlparteitag der Linken im Juni. Gregor Gysi teilte den Delegierten mit, er habe gerade mit Oskar Matjes gegessen, sei aber dann schnell ans Rednerpult geeilt, während der nun das gemeinsame Essen bezahlen müsse. Das sei Arbeitsteilung. Gysis kleiner Scherz sollte das gute Verhältnis der beiden Spitzenkandidaten verdeutlichen und Oskar Lafontaine wohl auch ein wenig vom eigenen Sympathiebonus zuteil werden lassen.
Rückendeckung für Lafontaine
Der Ex-SPD-Chef Lafontaine wird von seiner neuen Partei längst nicht mehr so uneingeschränkt bejubelt wie nach dem Wechsel zur Linken im Jahr 2005. Sein verbaler Radikalismus und seine Attacken auf die Sozialdemokraten könnten Kooperationen oder Koalitionen verbauen, fürchten manche Genossen. Und so richtig heimisch ist der Saarländer in dem noch weitgehend ostdeutsch geprägten Partei-Milieu auch nicht geworden. Ohne die Rückendeckung des von den Mitgliedern geliebten Gysi wäre Lafontaine als Parteiführer und Spitzenkandidat kaum denkbar.
Während Lafontaine eher polarisiert - auch in der eigenen Partei - ist Gysi der große Integrator, der die Mitgliedschaft zusammenhält, in der zunehmend Flügel und Grüppchen agieren. Damit hat der heute 61-Jährige Erfahrung. In den Wendejahren 1989/90 bewahrte der Ostberliner Anwalt die verunsicherte Ex-Staatspartei SED vor dem völligen Zerfall und führte ihren Restbestand als Partei des Demokratischen Sozialismus in die deutsche Einheit.
Neues Standbein im Westen
Lafontaine war zu jenen Zeiten SPD-Kanzlerkandidat, wurde im Wahlkampf von einer geistig verwirrten Frau lebensgefährlich verletzt und verlor das Duell mit dem Kanzler der Einheit, Helmut Kohl. Das lag zuletzt auch an seinen damals unpopulären Warnungen vor einer zur schnellen deutschen Vereinigung.
Als SPD-Vorsitzender und Finanzminister der späteren rot-grünen Regierung legte Lafontaine 1999 seine Ämter wegen des Schröderschen Reformkurses nieder. Sein Weg führte weiter nach links. Zuerst zu der von Ex-SPDlern und Gewerkschaftern neu gegründeten Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit und dann 2005 an die Seite Gysis, der die einmalige Chance erkannte, durch den Neuzugang endlich mit der PDS im Westen Fuß zu fassen.
Mit dem prominenten Ex-Sozialdemokraten Lafontaine gelang der neuen Linken stolze 8,7 Prozent bei der Bundestagswahl und die Gründung einer wirklich gesamtdeutschen linken Partei. Der einsame linke Politstar Gysi - charmant, eloquent und witzig - bekam Gesellschaft durch den Volkstribun Lafontaine, der mit aggressiver Rhetorik die zunehmende Spaltung des Landes in Arm und Reich brandmarkte. Mit Gysi teilt sich Lafontaine jetzt den Vorsitz der Bundestagsfraktion, außerdem ist der Neuling seit 2007 auch Parteivorsitzender der Linken, gemeinsam mit Lothar Bisky.
Erfahrung mit Ausgrenzung
Auch im Wahljahr 2009 ist eine funktionierende Arbeitsteilung zwischen den beiden Spitzenkandidaten Bedingung für einen erfolgreichen Wahlkampf. Das Tandem peilt 10 Prozent plus x an. Dass die beiden politischen Alphatiere, der eine wie der andere nicht uneitel, so gut miteinander harmonieren, hat auch damit zu tun, dass Ehrgeiz und persönliches Machtstreben begrenzt sind. Was beide beseelt, ist eher der Wille, es jenen zu zeigen, die Lafontaine gern als die "neoliberale Allparteienkoalition" bezeichnet.
Was sie zusammenhält ist wohl auch die gemeinsame Erfahrung von Ausgrenzung und Anfeindung im politischen Establishment: Gysi wegen seiner nach wie vor umstrittenen Kontakte zur DDR-Staatssicherheit, die immer mal wieder Schlagzeilen produzieren. Lafontaine wegen seiner "Flucht aus der Verantwortung" und eines vermeintlichen "Rachefeldzuges" gegen seine ehemalige Partei SPD. Wie die Wähler heute darüber urteilen, werden beide auch bei der Bundestagswahl erfahren.
Autor: Bernd Gräßler
Redaktion: Kay-Alexander Scholz