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David gegen Goliath: Peruanischer Landwirt klagt gegen RWE

Peter Yeung
10. November 2023

Starke Gletscherschmelze bedroht Hof und Heim eines Bauern in den Anden. Er klagt gegen den Kohlekonzern RWE, denn die Klimaschäden in seiner Region seien wegen der Verbrennung fossiler Brennstoffe schlimmer geworden.

Portraitfoto Mann mit Sonnenhut guckt in die Kamera/ Kleinbauer aus Huarez Klage gegen RWE
Der Klimawandel ist für Saúl Luciano Lliuya eine große Gefahr. RWE soll deshalb für seine Klimaschäden haften und für Flutschutz zahlenBild: Peter Yeung/DW

Saúl Luciano Lliuya treibt seine Schafherde nach Hause auf seinen kleinen Hof in den peruanischen Anden. An einem steilen Felshang bleibt er kurz stehen und blickt auf schneebedeckten Berge, seit Millionen von Jahren haben sie hier die Landschaft dominiert.

"Diese Schneekappen und Gletscher verschwinden", sagt Lliuya. Der 43-jährige Bauer und Bergführer spricht Quechua. Er ist hier in der Cordillera Blanca, den höchsten Bergen der Anden, aufgewachsen und wohnt nahe der Stadt Huarez. "Jeder, der hier lebt, ist deshalb besorgt. Wie alle Menschen denken wir an unser Wohlergehen, an unser Überleben und daran, was wir in den nächsten Jahren essen und trinken werden."

Im Kampf darum, sein Zuhause vor der Klimakatastrophe zu schützen, steht Lliuya im Mittelpunkt eines beispiellosen Gerichtsverfahrens, das wegweisend sein könnte. 

Bestätigt das Gericht seinen Rechtsanspruch, so könnte dies ein neues Zeitalter der Klimagerechtigkeit einläuten und die größten Treibhausgasemittenten der Welt dazu zwingen, für ihre Rolle bei der Erderwärmung zu zahlen.

Konkret klagt Lliuya gegen den deutschen Kohlekonzern RWE, weil dieser mit seinem CO2-Austoß die Wahrscheinlichkeit einer Klimakatastrophe in Huaraz erhöht habe. Huaraz hat 150.000 Einwohner und liegt 3000 Meter über dem Meeresspiegel.

Lliuya fordert, dass RWE einen Teil der Kosten für Schutzmaßnahmen gegen gefährliche Überschwemmungen in der Stadt übernimmt, das Risiko dafür nimmt laut Lliuyas Klage durch die Erderwärmung zu.

Der deutsche Konzern RWE wurde 1898 gegründet. Im vergangenen Jahr machte die international tätige Firma vor allem durch die Kohleverstromung einen Gewinn von 3,2 Milliarden Euro.

"Für mich ist das schwierig. Es ist ein Kampf gegen Riesen", sagt Lliuya, der mit seiner Frau und zwei Kindern ein einfaches Leben in den Bergen führt und Mais und Kartoffeln anbaut.

Der peruanische Landwirt wird vor dem Landgericht in Essen 2016 interviewt. Die Klage von Saúl Luciano Lliuya gegen RWE bekommt von Anfang an große AufmerksamkeitBild: picture-alliance/dpa/R. Weihrauch

Ein bahnbrechendes Verfahren

Das mit Spannung verfolgte Gerichtsverfahren ist der Höhepunkt von fast zehnjährigen Anstrengungen. Lliuya reichte seine Klage mit Unterstützung der Umweltorganisation Germanwatch  im November 2015 beim Landgericht Essen ein, dort hat RWE seinen Hauptsitz. Das Gericht wies die Klage zunächst ab, doch 2017 legte der Landwirt aus Peru erfolgreich Berufung bei der höheren Instanz ein, dem Oberlandesgericht Hamm.

"Das Gericht hat einer gerichtlichen Beweisführung in diesem Fall zugestimmt, das gab es vorher noch nie", sagt Christoph Bals, politischer Leiter von Germanwatch. "Wenn wir das endgültige Urteil gewinnen, bedeutet das, dass alle größten Emittenten in Europa vor Gericht gestellt werden können."

Ein peruanischer Bauer kämpft um seinen Lebensunterhalt

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Im Mai 2022 reiste eine Gruppe von unabhängigen Gutachtern und Richtern aus Deutschland nach Peru. Sie wollten vor Ort beurteilen, inwieweit der Kläger von einer drohenden Klimakatastrophe bedroht ist. Im August 2023 legten sie ihrGutachten vor.

Die Anhörung soll in wenigen Monaten beginnen. Es ist der erste transnationale Klimastreitfall dieser Art, der dieses Stadium erreicht hat.

"Der Fall könnte ein echter Durchbruch sein", sagt Birsha Ohdedar, Dozentin für Klimawandel und Umweltrecht an der School of Oriental and African Studies in London. "Dass ein Kläger im globalen Süden diese Klage gegen ein Unternehmen im globalen Norden in Gang bringt, ist für die Klimagerechtigkeitsbewegung von enormer Bedeutung."

Der Gletschersee Palcacocha oberhalb von Huaraz: wenn er überlauft besteht in der Stadt weiter unten Todesgefahr Bild: Germanwatch e.V.

Flutgefahr durch schnelle in den Anden

Die Bedrohung geht von einem oberhalb der Stadt Huarez gelegenen Gletschersee aus, sagt Lliuya. Der Palcacocha-See liegt auf auf 4500 Meter Höhe. Stürzt eine Eis- oder Felslawine in den See, könnte das eine Flutwelle mit tödlichen Folgen auslösen. Die Einheimischen kennen diese Gefahr. Bei einem Erdbeben im Jahr 1941 fiel nach einem Gletscherabbruch ein riesiges Stück Eis in den See und löste eine Flutwelle aus, dabei starben 1800 Menschen in der Stadt.

"Wenn man die Nachrichten liest und wenn am Palcacocha-See ein Notstand ausgerufen wird, ist man sehr angespannt und besorgt", sagt Lliuya. Im Jahr 2014 verünglückte einer seiner Bergführerkollegen in dem gefährlichten Gelände, das sich immer schneller verändert.

Durch den Temperaturanstieg und die Gletscherschmelze steigen die Gefahren in der Region. Mehr als die Hälfte des Gletschereises in Peru ist in den letzten 50 Jahren schon geschmolzen.

Laut einer Studie der Universität Oxford ist die Wassermenge im Palcacocha-See inzwischen 34-mal größer als im Jahr 1970.

Lliuya Klageschrift führt aus, dass See trockengelegt werden muss, damit Schutzmaßnahmen wie Dämme und ein Frühwarnsystem für Flutwellen durch Gletscherwasser installiert werden können. Dafür fordert der Landwirt von RWE eine Beteiligung von 17.000 Euro, das sind 0,47 Prozent der veranschlagten Gesamtkosten von vier Millionen US-Dollar.

Laut einem Bericht aus dem Jahr 2014 ist RWE für 0,47 Prozent oder 6,8 Milliarden Tonnen der CO2-Emissionen verantwortlich, die seit Beginn des Industriezeitalters im Jahr 1751 bis 2010 weltweit erzeugt wurden. 

Wenn das Oberlandesgericht in Essen entscheidet, dass in Huaraz ein Überschwemmungsrisiko besteht, wird es außerdem beurteilen, in welchem Umfang der menschengemachte Klimawandel und die Emissionen von RWE dieses Risiko verstärken. Lliuyas Team ist zuversichtlich, auch angesichts der großen Fortschritte in der Zuordnungsforschung, und des neuesten Berichts des Weltklimarats (IPCC).

Warum wird RWE verklagt?

Lliuyas Fall ist ein gutes Beispiel für eine Welle von Klimaklagen in letzter Zeit. Inzwischen gibt es mehr als 2,180 entsprechende Verfahren, laut einer Studie des Sabin Center for Climate Change Law an der Columbia University in New York sind das doppelt so viele Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit dem Klimawandel im Vergleich zum Jahr 2017.

Die Klage von Lliuya basiert auf dem Argument der "globalen Nachbarschaft", das davon ausgeht, das Emissionen in einer Region auch Auswirkungen auf alle anderen Teile der Welt haben.

Germanwatch schätzt, dass in über 50 Staaten der Welt die Gerichte ähnliche Zivilklagen zulassen könnten.

"Wir gehen davon aus, dass etwa die Hälfte der 100 größten Emittenten der Welt das Risiko haben, mit ähnliche Klagen vor Ort belangt zu werden", sagt Bals. "Das könnte ein guter Antrieb für diese Unternehmen sein, so schnell wie möglich aus fossilen Brennstoffen auszusteigen."

RWE-Pressesprecher Guido Steffen teilte der DW in einer schriftlichen Erklärung mit, dass es für Lliuyas Klage "keine Rechtsgrundlage" gäbe. "Einzelne Emittenten haften nicht für allgemeingültige und global wirksame Prozesse wie den Klimawandel." Er fügte hinzu, dass das Unternehmen den deutschen Kohleausstieg bis 2030 befürworte und selber bis 2040 klimaneutral sein wolle.

Nach Angaben der gemeinnützigen Organisation Client Earth emittierte RWE im Jahr 2017 durch seinen Kohlebetrieb 106 Millionen Tonnen CO2. Im Jahr 2020 stammten noch fast 80 Prozent des von RWE erzeugten Stroms aus nicht erneuerbaren Quellen.

Unterwegs mit seinen Schafen. Saúl Luciano Lliuya will ohne Angst leben und hofft auf eine gerechte Justiz Bild: Peter Yeung/DW

Ängste vor der Zukunft

In der peruanischen Cordillera Blanca verändert der Klimawandel unterdessen weiter das Leben von Lliuya und seinen Mitbürgern.

Immer extremeres und unvorhersehbareres Wetter hat die Regenzeit verschoben, sodass inzwischen nur noch eine statt früher zwei jährliche Ernten möglich sind. Und durch die steigenden Temperaturen gibt es mehr Schädlinge. Lliuya befürchtet, dass Bauern wie ihm irgendwann das Wasser zum Trinken und zur Bewässerung ausgehen wird. Auch der Tourismus könnte zum Erliegen kommen.

"Wie alle Landbewohner können wir sehen, dass die Gletscher verschwinden", sagt Lliuya vor seinem Haus, während die Sonne über dem Andenhochland untergeht. "Deshalb habe ich die Gelegenheit ergriffen und die Klage eingereicht. Wenn wir gewinnen, werden auch die Gletscher gewinnen."

Adaption aus dem Englischen: Gero Rueter. Redaktion: Jennifer Collins

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