Ein Gespräch über Nazi-Raubkunst, Familiengemälde und alte Wunden
1. April 2014 Die Raubkunst-Debatte erhitzt seit Monaten die Gemüter, und ein Ende scheint nicht in Sicht. Mehr und mehr Kunstwerke aus dem Gurlitt-Bestand tauchen auf, wie jüngst in Salzburg. Die deutsche Politik verspricht öffentlichkeitswirksam Aufklärung, doch passiert ist bislang wenig. Statt Transparenz herrscht immer noch ein moralisches und juristisches Durcheinander. Das irritiert vor allem die Nachkommen jener jüdischen Sammler, die einst von den Nationalsozialisten enteignet wurden.
David Toren ist einer von ihnen. Der New Yorker hat die Bundesrepublik Deutschland und den Freistaat Bayern auf Rückgabe eines Liebermann-Gemäldes verklagt. Das Bild "Zwei Reiter am Strand" gehörte einst seinem Großonkel David Friedmann, der 1942 von den Nazis umgebracht wurde. David Toren verlor seine Eltern ebenfalls im Holocaust. Er überlebte als Jugendlicher, indem er nach Schweden floh. Der inzwischen 88-Jährige hat sich später in den USA niedergelassen und jahrelang erfolgreich als Anwalt gearbeitet.
DW: Herr Toren, welche Erinnerung haben Sie an das Liebermann-Gemälde, das Sie jetzt zurückfordern?
Es hing einst in der Villa meines Großonkels in Breslau. Er war ein wohlhabender Mann, der Landgüter besaß und eine Kunstsammlung hatte. Vor dem Eingang zu seinem Wintergarten befand sich ein kleiner, dunkler Raum. An der einen Wand war eine kleine Lampe und auf der anderen Seite dieses Bild. Ich saß oft in diesem Durchgangszimmer und schaute mir die "Zwei Reiter am Strand" an.
Was mochten Sie besonders daran?
Ich starrte meistens auf die Pferde, weil ich zu der Zeit gerade Reiten gelernt hatte. Ich war damals mit gerade mal 13 Jahren nicht besonders kunstinteressiert.
Es waren die Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Die Stimmung schlug nach 1933 um. Es herrschte eine Atmosphäre der Angst. Und mein Vater sorgte sich um unser Leben. Er schickte mich und meinen Bruder mit dem sogenannten Kindertransport ins Ausland in Sicherheit. Er selbst wollte nie auswandern, weil er glaubte, er sei zu alt. Es gab ja auch nicht sehr viele Länder, die Juden damals aufnahmen. Mein Vater sagte: Ich will nicht irgendwo in Shanghai an einer Straßenecke Schnürsenkel verkaufen müssen. Er war ja Anwalt gewesen, bis man ihm die Lizenz entzog. Später wurden er und meine Mutter von den Nazis nach Auschwitz deportiert und dort getötet.Und wie erfuhren Sie später vom Verbleib dieses Liebermann-Gemäldes?
Vor sechs Jahren rief mich ein Anwalt aus Deutschland an. Er war während seiner Recherchen zu dem Kunstsammler David Friedmann auf meinen Namen gestoßen. Er fragte mich, ob ich mich an irgendwelche Bilder von damals erinnere. Und ich erzählte ihm von den zwei Reitern am Strand. Anschließend gab ich ihm den Auftrag, in meinem Namen weiter nach dem Bild zu suchen. Ich hörte dann aber jahrelang nichts von ihm, bis zu dieser Pressekonferenz in Augsburg.
Im November 2013 wurde dort die Öffentlichkeit erstmals öffentlich über den Gurlitt-Fund informiert.
Mein Berliner Anwalt rief mich an und erzählte mir davon, dass der Staatsanwalt auch einige Bilder namentlich genannt hätte, unter anderem die "Zwei Reiter am Strand". Das Bild wurde am nächsten Tag auf den Titelseiten der Zeitungen abgedruckt. Es wurde zu einer Art Symbolbild für den gesamten Kunstfund.
Was haben Sie in diesem Moment gedacht?
Ich fühlte mich schlecht!Die Gemälde waren ja schon 2012 von der Staatsanwaltschaft Augsburg nach einer Hausdurchsuchung bei Cornelius Gurlitt beschlagnahmt worden.
Ja, und erst als ein Whistleblower das rausbekam und dem deutschen Magazin Fokus die Geschichte lancierte, wurde ein mediales Ereignis daraus. Ich verstehe es einfach nicht! Wie kann man so viele Meisterwerke des 20. Jahrhunderts 18 Monate lang vor der Öffentlichkeit verstecken und nichts unternehmen? Nicht herausfinden wollen, wem sie eigentlich gehören? Das hat die Staatsanwaltschaft nicht getan. Das sind in meinen Augen Trottel.
Und Cornelius Gurlitt?
Ich kenne ihn nicht. Aber er wirkt auf mich, wie ein kranker, alter Mann. Ich habe nichts für die Söhne von Nazis übrig. Sein Vater war ein verachtenswerter Mensch, der von dem gelebt hat, was er anderen gestohlen hat. Er verkaufte die geraubten Kunstwerke, die ihm Goebbels und Göring zuspielten, im Ausland für harte Devisen.
Nun wollen Sie ein Werk aus diesem Bestand zurück. Keine finanzielle Entschädigung, sondern ganz explizit dieses Gemälde. Warum?
Ich nehme kein Geld von diesen Menschen. Ich möchte das Bild zurück, weil es mir gehört und Teil meines Erbes ist. Ich möchte nicht, dass irgendjemand anderes es besitzt. Der Rest ist gesetzlicher Wirrwarr.Inzwischen gibt es eine Task Force, die die Restitution dieser Bilder klären soll. Glauben Sie, dass sich dadurch etwas ändert?
Nein, diese Task Force ist ein Witz. Die hat so viele Mitglieder, wie soll da eine Entscheidung zustande kommen? Bis jetzt konnten sie sich nicht mal darüber einigen, wo sie sich treffen wollen. So viele Punkte sind noch ungeklärt - und das nach so vielen Monaten.
Gerade kam etwas Bewegung in die ganze Sache. Cornelius Gurlitt will womöglich die Bilder an ihre rechtmäßigen Eigentümer zurückgeben. Macht Ihnen das Hoffnung?
Nein, nicht wirklich. Denn der Impuls ging von Gurlitt aus und nicht von der Regierung.
Sind Sie deswegen enttäuscht von Deutschland?
Nein, nicht generell. Das hätte auch in irgendeinem anderen Land passieren können. Aber vielleicht ist so etwas in Deutschland etwas einfacher.
Was meinen Sie damit?
Sehen sie, ich habe jahrelang als Anwalt für Patentrechte gearbeitet und hatte seit den Sechziger Jahren immer geschäftlich mit Deutschland zu tun. Ich war bestimmt schon 28 Mal dort, habe Freunde in Deutschland gefunden. Aber es gibt immer noch diese bestimmte Atmosphäre in diesem Land, die nicht verschwunden ist.
Beunruhigt Sie das?
Nein! Ich werde bald 89.
Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein. Werden sie die Rückgabe der Bilder noch erleben?
Ich hoffe doch sehr, aber man weiß nie. Die Chancen stehen 50:50. Aber ich glaube an Gerechtigkeit. Immerhin habe ich als Anwalt jahrelang damit meinen Lebensunterhalt verdient.