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Davos sucht nach Jobs

24. Januar 2018

Millionen von Arbeitsplätzen sind durch die Digitalisierung angezählt. Politischer Sprengstoff und Grund für viel Frustration. Doch wie bereitet man sich darauf vor? Darüber diskutiert die Wirtschaftselite in Davos.

Schweiz, World Economic Forum in Davos
Bild: picture-alliance

Die Textil- und Elektronikindustrie ist schon lange nach China, Indien und andere Länder mit niedrigen Löhnen abgewandert. Nun kommt die Digitalisierung und wirbelt eine Branche nach der anderen durch. Viele Arbeitsplätze in den USA, in Europa und in anderen Industrieländern sind bedroht.

Für Menschen wie C. Vijayakumar sind die Umbrüche ein gutes Geschäft. Er ist Vorstandschef von HCL, einem multinationalen Anbieter von IT-Dienstleistungen mit Sitz im indischen Noida. Rund 120.000 Menschen sind dort angestellt, und das Unternehmen hat Probleme, weitere ausgebildete Mitarbeiter zu finden. "In jedem Technologieunternehmen mangelt es an qualifizierten Fachleuten", sagt Vijayakumar beim Weltwirtschaftsforum in Davos. "Momentan gibt es rund eine Million Jobs im IT-Sektor, für die es einfach nicht die richtigen Fachkräfte gibt."

Die Angst unterzugehen

Auf der anderen Seite stehen Millionen US-Amerikaner und Europäer, die keinen angemessenen - oder überhaupt keinen - Job finden. Einer der häufigsten Gründe ist, dass sie nicht die Fähigkeiten mitbringen, die in einer globalen und digitalen Welt von Nöten sind.

Historiker und Autor Yuval Noah HarariBild: picture alliance/dpa/NurPhoto/J. Nicholson

"Früher wurden die Arbeiter ausgebeutet", sagt Yuval Noah Harari, Geschichtsprofessor an der Hebräischen Universität von Jerusalem und Autor von Bestsellern wie "Eine kurze Geschichte der Menschheit".

"Jetzt fürchten die Menschen, dass es noch schlimmer kommt. Sie fürchten, völlig irrelevant zu werden", so Harari. "Wenn ich ausgebeutet werde, dann bin ich wenigstens irgendwie wichtig: Sie können mich erschießen, aber wer macht dann meinen Job? Wenn ich völlig irrelevant bin, dann ist das viel bedrohlicher."

Unsicherheiten befeuern Nationalismus

Diese Angst kann teilweise auch das Aufkommen von Nationalismus und Protektionismus erklären, das sich in den USA und in Teilen Europas abspiele, sagt Arlie Russell Hochschild, eine Soziologin von der University of California, Berkeley. Sie hat die Situation von Arbeitern im US-Bundesstaat Louisiana erforscht, die für Donald Trump stimmten. "Sie stehen nicht wirklich hinter ihm, aber sie sind enttäuscht. Aus ihrer Sicht hat niemand sonst ihren sozialen Abstieg wahrgenommen."

Die meisten Teilnehmer in Davos glauben nicht, dass der Arbeitsplatzverfall mit Zöllen und protektionistischen Maßnahmen gestoppt werden kann. Stattdessen wird immer wieder von der Bedeutung der Weiterbildung gesprochen. "Es geht wirklich darum, wie man die Menschen umschulen kann und sie so befähigt, die neuen Ansprüche zu erfüllen", sagt Vijayakumar.

Einige Studien sehen bis zu einem Drittel aller heutigen Jobs durch die Digitalisierung gefährdet - vom Lkw-Fahrer zum Kassierer im Supermarkt, aber genauso Arbeitsplätze im Büro: von Finanzberatern bis Rechtsassistenten. Aber die Studie geht auch davon aus, dass neue Jobs entstehen - die aber auch wieder komplett neue Fähigkeiten voraussetzen.

Immer weiter Lernen

"Die große Frage ist, ob die Menschen in der Lage sein werden, sich neu zu erfinden, um dann auch solche Jobs zu besetzen", sagt der Historiker Harari. "Und man muss sich alle zehn Jahre neu erfinden, weil die digitale Revolution nicht nur eine einmalige Angelegenheit sein wird." Das wahrscheinlichste Szenario sei eine endlose Abfolge von immer größeren Revolutionen und Umbrüchen.

Angela Merkel in DavosBild: Reuters/D. Balibouse

Auch Angela Merkel stimmt diesem Punkt zu. Deutschland habe in der Digitalisierung der Wirtschaft Aufholbedarf. Dennoch fühlten sich bereits jetzt viele Menschen zurückgelassen. "Digitalisierung bedeutet, wir müssen uns mit lebenslangem Lernen beschäftigen", sagte sie in ihrer Rede in Davos. "Die Bereitschaft in einem alternden Land wie Deutschland, sich hierauf einzulassen, ist nicht übermäßig ausgeprägt, um es mal vorsichtig zu sagen."

Wer zahlt die Rechnung?

Was aber, wenn die Menschen bereit sind - wer bezahlt dann für dieses Modell der ständigen Umschulung und Weiterbildung? "Der Staat", sagt Russell Hochschild. Die Berkeley-Wissenschaftlerin schaut nach Frankreich: "Präsident Macron spricht davon, einen Fonds für lebenslanges Lernen einzurichten. Das könnte auch ein Modell für mein rückständiges Land sein", so Russell Hochschild.

Hochschuleinrichtungen könnten auch auf neue Kooperationsformen setzen, glaubt Mary Flanagan, Professorin für Digitalen Humanismus am Dartmouth College im US-Bundesstaat New Hampshire. "Wenn wir über lebenslanges Lernen sprechen und uns von der Idee verabschieden, dass Universitäten keine einmalige Sache sind. Dann verändert sich auch die Wahrnehmung, wie Hochschulen mit Institutionen und Unternehmen kooperieren."

Die Unternehmen hätten die Verantwortung, sich auch an den Kosten zu beteiligen, ergänzt C Vijayakumar. "Viele Unternehmen investieren ja schon in die Fortbildung ihrer Angestellten. Ich gehe davon aus, dass der Etat für Weiterbildung in den meisten Firmen weiter steigen wird."

Doch auch Investitionen in Fortbildung und neue Fähigkeiten könnten nicht gänzlich vor Enttäuschungen schützen, so der Autor Harari: "Wenn man Programmieren oder etwas anderes lernt, ist das immer auch eine Wette. Denn man kann nicht sicher sein, dass die neue Fähigkeit auch tatsächlich gebraucht werden. Was aber auf jeden Fall gebraucht wird, ist emotionale und mentale Widerstandskraft, um mit all dem Stress und Wandel klarzukommen." Doch diese Fähigkeit werde bisher leider an keiner Universität gelehrt.

Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.
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