Der Düsseldorfer Kunstpalast zeigt die Vielfalt der DDR-Malerei. 30 Jahre nach dem Mauerfall erinnert die Schau daran, dass neben der regimetreuen "Staatskunst" auch experimentelle, abstrakte Kunst in der DDR entstand.
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Mit aller Kraft versucht eine junge Bäuerin, einen wutschnaubenden Bullen zu zähmen. Die Leipzigerin Elisabeth Voigt (1893-1977) hat ihr Bild "Der Rote Stier" genannt und in ausdrucksstarken Farben gemalt. Das im Westen nie zuvor gezeigte Gemälde markiert den Auftakt zur Ausstellung "Utopie und Untergang - Kunst in der DDR". Vier Monate lang, bis zum 5. Januar, will der Düsseldorfer Kunstpalast einen Überblick über das Kunstschaffen im SED-Staat geben, von den Nachkriegsjahren bis zum Mauerfall. Dabei fokussiert die Schau auf Malerei und damit das wichtigste Medium bildender Künstler in der DDR.
An den Wänden hängen rund 130 Gemälde und Papierarbeiten von 13 Malern. Sie gehören unterschiedlichen Malergenerationen an, die unterschiedlichste Malstile pflegten und jeweils sehr eigene künstlerische Positionen entwarfen. Längst nicht alle waren über die DDR-Grenzen hinaus bekannt: der Dresdner Hermann Glöckner (1889-1987) etwa, dessen mal bunte, mal reduziert farbigen, jedoch immer abstrakten Tableaus den Informellen des Westens in nichts nachstanden. Oder Carlfriedrich Claus (1930-1998), der einer Buch- und Kunsthändlerfamilie entstammte, seit den 1950er Jahren mit Sprache und Schrift experimentierte und dessen "Sprachblätter" souverän komplexe Schrift- und Zeichenwelten durchmessen.
Utopie und Untergang: DDR-Kunst im Düsseldorfer Kunstpalast
30 Jahre nach dem Mauerfall kommen verschiedene DDR-Künstler in einer Gesamtschau im Düsseldorfer Kunstpalast zusammen. Das Museum will mit der Ausstellung alte Vorurteile überwinden.
Bild: Bernhard Heisig/VG Bild- Kunst Bonn, 2019/bpk/Museum der bildenden Künste, Leipzig
Wolfgang Mattheuer: Die Flucht des Sisyphos (1972)
Wolfgang Mattheuer war einer der bekanntesten Künstler der DDR. Seine im Stil der neuen Sachlichkeit gemalten und symbolisch aufgeladenen Bilder waren auch außerhalb der DDR präsent, auf der documenta ebenso wie auf der Biennale von Venedig. Mattheuers Figuren, Landschaften und Szenen aus der klassischen Mythologie eröffnen viele Deutungsmöglichkeiten. Wovor flieht wohl dieser Sisyphos?
Bild: Wolfgang Mattheuer/VG Bild-Kunst Bonn, 2019/bpk/Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Carlfriedrich Claus: Beginn eines Briefs an Prof. Will Grohmann (1963)
Carlfriedrich Claus (1930-1998) entstammte einer Buch- und Kunsthändlerfamilie. Vielleicht interessierte er sich deshalb schon früh für Sprache und Schrift. Von den 1950er Jahren an experimentierte er mit "Lautprozessen" auf Tonband und entwarf in handschriftlichen "Sprachblättern" komplexe Schrift- und Zeichenwelten, wie in diesem Briefanfang an Prof. Will Grohmann.
Gerhard Altenbourg: Ecce Homo I (Der sterbende Krieger) (1949)
Gerhard Altenbourg hieß eigentlich Gerhard Ströch (1926-1989) und schuf surreale, poetische Werke, die sich gut verkauften. Sein Kunststudium in Weimar musste er abbrechen - wegen angeblicher "Amoralität seiner Motivwahl". Also arbeitete er freischaffend und nannte sich Altenbourg nach seiner thüringischen Heimatstadt Altenburg. Seinem "Ecce Homo" steht das Wasser bis zum Hals.
Bild: Gerhard Altenbourg/VG Bild-Kunst Bonn, 2019/PUNCTUM/Bertram Kober
Hermann Glöckner: Schwarz und Weiß auf Blau (1957)
Jahrzehntelang war er nur wenigen Kennern ein Begriff. Erst eine Einzelausstellung im Dresdner Kupferstichkabinett 1969 machte Hermann Glöckner (1889-1987) schlagartig bekannt, auch jenseits der DDR-Grenzen. Hatten schon die Nazis wenig Gefallen an seiner abstrakten Malweise gefunden, so kritisierten jetzt die DDR-Oberen seine informelle Kunst, die weit entfernt war vom Sozialistischen Realismus.
Bild: Hermann Glöckner/VG Bild-Kunst Bonn, 2019/Herbert Boswank
Cornelia Schleime: o.T. (1986)
Cornelia Schleime (geb. 1953) zählt zu den Jüngeren in der Düsseldorfer Schau. Nach einer Friseurlehre und dem Studium zur Maskenbildnerin studierte sie in Dresden Grafik und Malerei. Doch schon kurz nach ihrem Abschluss erhielt sie Ausstellungsverbot. Den DDR-Kulturbürokraten missfiel ihr weit gefasster Kunstbegriff, zu dem sie neben Fotografien auch Performances, Filme und Punk-Musik zählte.
Bild: Cornelia Schleim
A.R. Penck: Der Übergang (1963)
Ein Mann balanciert über einen brennenden Steg. A.R. Pencks (1939-2017) vielsagende Motivwahl, die DDR-Obere als Kritik an den Verhältnissen verstanden, brachte ihm ein Ausstellungsverbot ein. Zuvor hatte man Penck, der eigentlich Ralf Winkler hieß, schon das Kunststudium verwehrt. 1980 schließlich bürgerte die DDR ihren missliebigen Künstler aus. Im Westen begann seine zweite Karriere.
Willi Sitte: Nach der Schicht im Salzbergwerk (1982)
Er war Maler und einflussreicher Kulturfunktionär. Nach frühen Arbeiten, die sich an Picasso orientierten, bekannte sich Willi Sitte (1921-2013) 1963 öffentlich zur Sozialistischen Einheitspartei (SED). Von da an stand der "sozialistische Mensch" im Mittelpunkt seiner expressiven, farbintensiven Bilder. Nach dem Mauerfall sah sich Sitte Stasi-Vorwürfen ausgesetzt.
Werner Tübke: Sizilianischer Großgrundbesitzer mit Marionetten (1972)
Auch Werner Tübke (1929-2004) galt in der DDR als regimenaher "Staatskünstler". Dennoch gehörte er nach der Teilnahme an der Kasseler documenta 6 von 1977 - als Teil der sogenannten Viererbande mit Willi Sitte, Wolfgang Mattheuer und Bernhard Heisig - im Westen zu den meist ausgestellten DDR-Künstlern.
Bild: Werner Tübke/VG Bild-Kunst Bonn, 2019/bpk/Staatliche Kunstsammlungen Dresden
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Vielfältigkeit der DDR-Kunst
Mit frühen, an Höhlenmalereien erinnernden Arbeiten ist auch A.R. Penck (1939-2017) vertreten, der nach seiner Ausbürgerung aus der DDR Grafikprofessor an der Düsseldorfer Kunstakademie wurde. Da sind die Fotografie-Übermalungen von Cornelia Schleime (geb. 1953) ebenso zu sehen wie die Gemälde punkig-expressiver Frauenfiguren von Angela Hampel (geb. 1956). Es gibt viel zu entdecken in dieser Ausstellung. Und das ist gewollt, wie Kurator Steffen Krautzig sagt: "Wir wollen den Blick auf die Kunstwerke richten, auf ihre Vielfältigkeit, die es eben auch in der DDR gab."
Mit seiner Künstlerauswahl will Krautzig vor allem "verdeutlichen, dass die bis heute übliche Gegenüberstellung von freiheitlicher Abstraktion im Westen und ideologisch belastetem Realismus im Osten hinterfragt werden muss." So kommt es, dass Künstler wie Voigt, der Abstrakte Glöckner, Gerhard Altenbourg (1926-1989), Michael Morgner (geb. 1942) mit seiner existentialistischen Malerei oder Claus in der Düsseldorfer Ausstellung auf die sogenannten "Staatskünstler" der DDR treffen, Künstler wie Bernhard Heisig (1925-2011), Wolfgang Mattheuer (1927-2004), Werner Tübke (1929-2004) und Willi Sitte (1921-2013). Die Mitglieder der Leipziger Schule galten seit ihrer Teilnahme an der Kasseler documenta 6 von 1977 als Repräsentanten der DDR.
Kurator: Alter Bilderstreit soll ruhen
Wüsste er von dieser Kombination, wäre A.R. Penck, der mit der DDR-Kulturbürokratie im Dauerclinch lag, der nicht Kunst studieren durfte und dessen Bilder mehrfach beschlagnahmt wurden, vielleicht nicht begeistert. Schließlich war die DDR ein Unrechtsstaat, in dem die offizielle Kunst dem Stil des Sozialistischen Realismus zu folgen hatte. Sie sollte volkstümlich und parteilich im Dienst der Arbeiterklasse stehen und dabei helfen, die sozialistische Gesellschaft aufzubauen und zu festigen.
Der Kunstbetrieb teilte sich auf in Privilegierte und Drangsalierte. Leute wie Willi Sitte, der dem DDR-Künstlerverband vorstand, bekannten sich öffentlich zum System. "Aber viele Künstler unterliefen diese Vorstellung und suchten Alternativen zum staatlichen Kulturbetrieb", unterstreicht Kurator Krautzig. Den alten Bilderstreit über die "DDR-Staatskunst" möchte er in seiner Ausstellung nicht führen. Ob das gelingt, wird sich zeigen.
Aufklärung über die DDR notwendiger denn je
"Es wurde höchste Zeit, dass ein großes Kunsthaus in Westdeutschland endlich einmal die oft ausgeblendete Szene in Ostdeutschland zeigt und darüber aufklärt", sagt der Generaldirektor des Kunstpalastes, Felix Krämer. Das Interesse an den Kunstwerken aus der DDR-Zeit sei im Westen bislang doch "ziemlich gering" gewesen. Auch wüssten junge Menschen heute verschwindend wenig über die Geschichte der DDR. Umso erfreulicher sei es, so Krämer, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Schirmherrschaft über die Kunstschau übernommen habe. Das Staatsoberhaupt reiste eigens zur Eröffnung an.