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DDR: Sexueller Missbrauch in Kliniken

Helen Whittle
18. September 2023

Tausende Frauen wurden in DDR-Kliniken zwangseingewiesen und misshandelt. Der Vorwand: sie litten unter sexuell übertragbaren Krankheiten.

Deutschland Gynäkologischer Stuhl
Missbrauch statt Heilung: Frauen und Mädchen wurden in sexualmedizinischen Kliniken der DDR bestraft und diszipliniertBild: Kukota/Pond5 Images/IMAGO

"Das war ganz schlimm. Das hat mit Krankenhaus oder medizinischer Obhut überhaupt nichts zu tun", sagt Elke (Name geändert) über das, was ihr vor mehr als 50 Jahren in einer Klinik für Sexualmedizin in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) widerfahren ist.

Frauen und Mädchen ab 12 Jahren wurden von der DDR-Kriminalpolizei festgenommen, weil sie im Verdacht standen, mit Geschlechtskrankheiten infiziert zu sein. In Wirklichkeit sei es um Bestrafung oder "Umerziehung" gegangen, weil "die nicht ins System gepasst haben", wie Elke im Telefongespräch mit der DW sagt.

Die Frauen und Mädchen wurden in geschlossene Stationen für sexuelle Gesundheit gebracht (damals "Venerologische Stationen" genannt) und dort wochenlang festgehalten, während sie systematisch missbraucht wurden. Einige Frauen, die in den Kliniken festgehalten wurden, berichten von Vergewaltigung und Folter.

Einen "systematischen Machtmissbrauch durch ein politisches System", nennt das Florian Steger, Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universität Ulm.

Steger hat mehr als 100 Frauen und ehemalige Mitarbeiter der Kliniken befragt und die umfangreichen Akten ausgewertet, die von Behörden wie der Stasi erstellt wurden.

Die Frauen und Mädchen seien als Menschen angesehen worden, die von der gesellschaftlichen Norm abwichen, weil sie ihr Leben frei leben wollten. Manche hätten vielleicht nur die Schule geschwänzt oder seien per Anhalter mit Fremden im Auto mitgefahren, um Samstagabends eine Disco zu besuchen. Viele wurden beschuldigt, Sexarbeiterinnen zu sein.

Bestrafung durch das Gesundheitssystem

"Hier ging es darum, dass man sozialistische Frauen formen wollte, die einem geregelten Leben nachgehen, also arbeiten, irgendwann einen Mann haben und ein Kind", erklärt Steger. Und so wurde ein Teil des Gesundheitswesens instrumentalisiert: Kliniken wurden genutzt, um Frauen und Mädchen zu missbrauchen, sie zu disziplinieren und zu bestrafen. Alles unter dem Vorwand, sie seien mit Geschlechtskrankheiten infiziert.

Wer sich nicht anpasste, geriet in der DDR schnell ins Visier der BehördenBild: Werner Schulze/IMAGO

Man müsse sich klar machen, dass diese Frauen keine guten Chancen hatten, weil sie häufig aus nicht ganz einfachen Lebensverhältnissen kamen, sagt Steger. "Viele dieser Frauen haben bereits in ihrer Kindheit und in ihrer Jugend Gewalterfahrungen gemacht."

Die damals 12-jährige Elke zum Beispiel kam nach dem Tod ihrer Eltern in ein staatliches Kinderpflegeheim. Im Alter von 16 Jahren wurde sie nach eigenen Angaben von einem russischen Offizier vergewaltigt, woraus eine Schwangerschaft resultierte. Sie zeigte den Offizier bei den russischen Behörden an und wurde mehrmals verhört. Später stellte sie jedoch fest, dass Dokumente mit ihren Aussagen aus ihrer Akte verschwunden waren.

Sie sei ziemlich rebellisch gewesen, sagt sie, habe aber nie die Arbeit geschwänzt, nie gestohlen oder sich auf Sexarbeit eingelassen. Ohne jegliche staatliche Unterstützung und mit Schwierigkeiten, über die Runden zu kommen, wollte sie nur für sich und ihr Kind sorgen. Sie habe ihren Jungen zunächst nicht zur Adoption freigeben wollen, dann sei er ihr weggenommen worden.

Ein Besuch im Stasi-Gefängnis

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1970, als Elke gerade 18 Jahre alt geworden war – sie arbeitete zu dieser Zeit in einem Kaufhaus – kam eines Morgens die Polizei zu ihr. Unter dem Vorwand, eine polizeiliche Angelegenheit zu klären, wurde Elke in eine Klinik in Halle gebracht. Dort zwang man sie, ihre Sachen abzugeben. Sie bekam einen grauen Kittel und Unterwäsche und man sperrte sie in eine überfüllte Krankenstation, in der einige "Patientinnen" auf dem Boden schliefen.

Schmerzhafte Untersuchungen und Medikamentencocktails

Elke wurde gesagt, sie habe Tripper, also Gonorrhö. Eine Lüge, sagt sie. "Ich hatte keinen Mann, keinen Freund, ich hatte nichts." Sie sei damit beschäftigt gewesen, die Vergewaltigung zu verarbeiten, musste sich um ihr Kind kümmern. "Ich kam nicht dazu, Menschen um mich zu haben", sagt Elke.

Untersuchungen haben ergeben, dass nur etwa eine von fünf der Patientinnen in den Kliniken tatsächlich mit einer Geschlechtskrankheit infiziert waren.

Ein Ort des Unrechts: auch in der Kommunalpoliklinik in Rostock gab es eine geschlossene "Venerologische Station"Bild: Bernd Wüstneck/ZB/dpa/picture alliance

Den Frauen und Mädchen in den Kliniken wurden die Haare abrasiert. Diejenigen, die sich nicht an die strengen Regeln hielten, bekamen schmerzhafte Injektionen mit einer unbekannten Substanz, die zu schmerzenden Gliedern führten. Nach einem solchen Vorfall wurde Elke in eine andere Klinik in Leipzig verlegt. Sie gehörte zu einem Netz von "Venerologischen Stationen" in verschiedenen Städten der DDR, darunter Dresden, Rostock und Ost-Berlin.

Elke beschreibt, wie die dort Eingesperrten täglich gynäkologischen Untersuchungen unterzogen wurden. Dabei sei ein mit einem Bunsenbrenner erhitztes Spekulum bis zum Gebärmutterhals in die Vagina eingeführt worden. Sie erinnert sich, dass man ihr einen Medikamentencocktail verabreichte, der sie drei Tage lang handlungsunfähig machte. Sie fragt sich immer noch, ob dies die Ursache für die chronische Nierenerkrankung ist, mit der sie seit ihrem 20. Lebensjahr zu kämpfen hat.

Es ist schwierig, genau zu beziffern, wie viele Frauen und Mädchen solche Torturen erlitten. Die Zahl geht in die Tausende - bis zu 5.000 allein in der Stadt Halle. Während die weit verbreiteten Misshandlungen in den Kinderheimen und so genannten Jugendwerkhöfen der DDR gut erforscht und dokumentiert sind, ist über die Vorgänge in den "Venerologischen Stationen" nur wenig bekannt.

Bleibende physische und psychische Folgen

"Es ist ein besonders dunkles Kapitel der Geschichte. Niemand will wirklich davon hören", sagt Christine Bergmann, Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs und die einzige Person in der Kommission, die in der DDR geboren und aufgewachsen ist. 

"Sie nannten diese Kliniken "Tripperburgen" und die Leute haben vielleicht darüber gelacht, weil nicht bekannt war, was dort wirklich vor sich ging", erklärt Bergmann. Abgesehen von dem Stigma, das den Kliniken anhaftete, wurden die Frauen gezwungen, Vertraulichkeitsvereinbarungen zu unterzeichnen, und es wurde ihnen verboten, über das zu sprechen, was ihnen dort widerfuhr.

Unrechtsstaat DDR - ein Opfer erinnert sich

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Die 2016 durch einen Beschluss des Bundestages eingesetzte Kommission untersucht Ausmaß, Art und Folgen von sexuellem Kindesmissbrauch in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Die Kommission hat bereits Untersuchungen und Anhörungen zu körperlichem und sexuellem Missbrauch in der DDR durchgeführt. Nun richtet sich ihr Augenmerk auf geschlossene Einrichtungen in der DDR wie die "Venerologischen Stationen".

Schwere Traumata führte dazu, dass viele der Opfer ihre Ausbildung nicht abschließen konnten oder in staatlichen Heimen landeten und unter dauerhaften körperlichen und psychischen Folgen litten. Auch Schlafstörungen und Schwierigkeiten, langfristige Beziehungen aufzubauen, sind häufig. Viele hatten jahrzehntelang Angst, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

"Was man klarstellen muss, ist, dass niemand dafür zur Rechenschaft gezogen wurde, niemand wurde dafür irgendwo bestraft", sagt Bergmann. Die Verjährungsfristen sind abgelaufen, so dass eine Strafverfolgung nicht mehr möglich ist. Außerdem sind viele der Zeugen, Opfer und Täter, bereits verstorben. 

Das Ziel: Frauen, die ins sozialistische System passtenBild: Werner Schulze/IMAGO

Experten fordern mehr Forschung zum Thema, einen besseren Zugang zu Archivmaterial und ein Unterstützungssystem für Betroffene, einschließlich Entschädigung und Beratung. Die Hoffnung ist, dass durch weitere Forschung mehr Frauen zu Wort kommen. Nur wenn das Geschehene dokumentiert wird, gerät dieses dunkle Kapitel der DDR-Geschichte nicht in Vergessenheit.

Elke, die in Sachsen-Anhalt lebt, sagt, sie habe Glück gehabt. Denn durch den Verlust ihrer Eltern und das Aufwachsen im Kinderheimsystem habe sie gelernt, stark zu sein und sich durchs Leben zu kämpfen. Deshalb sei sie weder suchtkrank geworden noch straffällig. Dann hält sie inne. "Aber psychisch war ich am Boden zerstört, weil ich so viel Unrecht nicht ertragen konnte", sagt sie und beginnt zu weinen.

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen übersetzt.