Terrorhelfer Stasi
26. März 2012
Es war ein Paukenschlag: Am 26.3.1991 verhaftete das Bundeskriminalamt (BKA) mehrere ehemalige hochrangige Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit, darunter Stasi-Generalleutnant Gerhard Neiber. Er war der Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit, Erich Mielke. Der Vorwurf: Beihilfe zum versuchten Mord und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
Die sogenannte "RAF-Stasi-Connection" sorgte für Aufregung in den deutschen Medien. Die festgenommenen Stasi-Offiziere, so der Vorwurf, sollen Terroristen der linksextremen westdeutschen Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF) Anfang der 1980er Jahre, während eines mehrwöchigen Lehrgangs, im Umgang mit Waffen und Sprengstoff ausgebildet haben. Dabei soll, so heißt es, auch der Gebrauch einer sowjetischen Panzerfaust vom Typ RPG 7 geübt worden sein.
Im selben Zeitraum verübten RAF-Terroristen mit einer derartigen Waffe einen Anschlag auf den Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Europa. Es konnte allerdings nie zweifelsfrei geklärt werden, ob das Schiesstraining vor oder nach dem misslungen Angriff auf den General durchgeführt wurde.
Fluchtpunkt DDR
Schon Mitte 1990 war bekannt geworden, dass die DDR RAF-Terroristen Unterschlupf gewährt hatte. Am 6. Juni 1990 verhaftete das zentrale Kriminalamt der untergehenden DDR in einem Ostberliner Plattenbau eine schlanke, schwarzhaarige Frau. "Ingrid Becker" stand auf dem Klingelschild ihrer Wohnung.
"Ich möchte gleich zu Beginn meiner Befragung erklären", gab die 39-jährige Frau zu Protokoll, "dass meine eigentliche Identität nicht die der Becker Ingrid ist". Ihr wirklicher Name: Susanne Albrecht, eine der meistgesuchten RAF-Terroristinnen. Zu ihrer neuen Identität, erklärte Becker alias Albrecht, sei ihr "durch eine staatliche Stelle der DDR verholfen worden". In den folgenden Tagen wurden weitere neun mit falscher Identität auf dem Gebiet der DDR lebende RAF-Terroristen festgesetzt. Personen, nach denen die westdeutschen Behörden zum Teil jahrelang erfolglos gefahndet hatten.
Sie alle gehörten zur sogenannte "Zweiten Generation" der RAF. Im "Deutschen Herbst" 1977 hatten sie versucht, elf inhaftierte Gesinnungsgenossen der "Ersten Generation" freizupressen. Während RAF-Terroristen den Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer entführten, kidnappten palästinensische Sympathisanten eine deutsche Linienmaschiene. Doch der Staat blieb hart. Liess das Flugzeug von der Spezialtruppe GSG 9 stürmen. Die RAF ermordete ihre Geisel. Drei der inhaftierten Terroristen, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, verübten Selbstmord.
Hilfe für demoralisierte Terroristen
"Alle Hoffnungen waren futsch, Ratlosigkeit machte sich breit", erklärte die RAF-Frau Sigrid Sternebeck später. Niemand habe mit einem solchen Ende gerechnet. "Ich war verzweifelt und sah keine Perspektive." Viele RAFler wollen die Gruppe verlassen. Zunächst sind die sozialistischen Staaten Angola oder Mosambik als Rückzugsort im Gespräch.
Die DDR-Staatssicherheit, über die Terroristin Inge Viett in Kontakt mit der RAF, rät ab. Zu instabil, zu auffällig. Die Stasi-Leute haben einen besseren Vorschlag: Die DDR. Anfang der 1980er Jahre reisen schließlich insgesamt zehn kampfesmüde RAF-Mitglieder über Umwege nach Ostdeutschland. Unter ihnen auch Terroristen, die an der Schleyer-Entführung beteiligt waren. Die Aussteiger werden in DDR-Staatsbürgerkunde unterwiesen, erhalten neue Identitäten und gefälsche Papiere. Bis zur Wende leben sie unbelligt als realsozialistische Kleinbürger in der DDR.
Die Stasi versprach sich von der Aufnahme der Aussteiger Aufklärung über die Absichten der Terroristen. Gleichzeitig schätzte die Staatssicherheit die "antiimperialistische" Ausrichtung der RAF. Stasi-Chef Mielke erwog, die Terroristen in einem innerdeutschen Konfliktfall hinter den feindlichen Linien einzusetzen. Nach der Wende rechtfertigte er die Aufnahme der RAF-Leute: Man habe "damit auch der Bundesrepublik einen großen Dienst erwiesen".
Doch die Stasi unterstützte auch den weiterhin aktiven Rest der RAF. Mehrfach gewährte die Staatssicherheit RAF-Mitgliedern kurzfristigen Unterschlupf in der DDR. Dabei soll es auch zum oben erwähnten Schiesstraining gekommen sein.
Freispruch "mangels Beweisen"
Doch die Verfahren gegen Stasi-Mitarbeiter wegen Unterstützung der westdeutschen Linksterroristen liefen aus Mangel an Beweisen ins Leere. Das Landgericht Berlin verwarnte 1997 drei ehemalige Stasi-Offiziere im Zusammenhang mit der Aufnahme der RAF-Leute wegen versuchter Strafvereitelung. Außerdem verhängte das Gericht symbolische Geldbußen.
Der Vorwurf der Beihilfe zum Mord, wegen der militärischen Ausbildung der RAFler, wurde fallengelassen. 1988 hob der Bundesgerichtshof die Urteile ganz auf. Die drei Stasi-Offiziere wurden in allen Anklagepunkten freigesprochen.
Möglicherweise war es westlichen Geheimdienstkreisen auch ganz recht, dass die DDR die terrormüden Terroristen aufgenommen hatte. Nur bekannt werden sollte es offenbar nicht. Denn schon 1985 erklärte ein DDR-Aussiedler gegenüber der westdeutschen Polizei, dass sich die RAF-Terroristin Silke Maier-Witt in Ostdeutschland befinde.
Das Bundeskriminalamt (BKA) leitete den Hinweis an den Auslandsgeheimdienst BND weiter. Der aber, so ein interner Hinweis des BKA, "verzögerte die Ermittlungsmaßnahmen um ca. neun Monate". Daraufhin verzichtete das BKA auf weitere Anfragen beim BND.