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Terrorbedrohung bleibt hoch

Bernd Riegert31. März 2016

Die EU-Staaten müssen gemeinsam Terroristen bekämpfen, fordert seit Jahren der Anti-Terror-Beauftragte der EU, Gilles de Kerchove. Warum er nicht verzweifelt, sagt er im Interview.

Gilles de Kerchove Anti-Terror-Koordinator EU
Bild: DW/B. Riegert

Deutsche Welle: Bevor die Terroristen vorige Woche Brüssel angegriffen haben, haben die Türkei, die Niederlande und die USA versucht, möglicherweise wichtige Informationen über verdächtige Rückkehrer aus Syrien mit Belgien zu teilen. Das ging schief. Warum ist es für Staaten immer noch so schwierig, diese vielleicht entscheidenden Informationen auszutauschen?

Gilles de Kerchove: Es ist viel zu früh, hier zu sagen, wer schuld ist, die Türkei, die Niederlande oder Belgien. Wir wollen aktiv herausfinden, wo sich noch Stolpersteine befinden. Sie können technischer Natur sein, sie können juristisch oder auch kulturell begründet sein. Daran arbeiten wir mit Hochdruck.

So weit wir wissen, tauschen tatsächlich nur fünf Staaten in der EU Geheimdienst-Erkenntnisse über Terroristen aus. Ihr Job wäre es, hier zu koordinieren und die Staaten zu mehr Zusammenarbeit zu bringen. Was können Sie ausrichten?

Ein Weg ist es, diese Dinge öffentlich zu machen. Wenn Sie den Bericht lesen, den ich erst vor drei Wochen veröffentlicht habe, dann sehen Sie alle Fakten. Ich hoffe, dass dadurch einige Mitgliedsstaaten erkennen, dass sie mehr machen müssen. Wir sehen Fortschritte. Nehmen Sie zum Beispiel die Zahl der Alarmmeldungen im Schengen-Informations-System (SIS) durch die Geheimdienste (gemeinsame Datenbank der Schengen-Staaten an den Außengrenzen, d. Red.). Dort finden sie in den letzten Monaten nicht mehr nur 1000, sondern bereits 8000 Namen von Gefährdern. Die wahre Herausforderung ist, sehr schnell zu handeln.

Europol in Den Haag: Terrorabwehr koordinierenBild: picture-alliance/dpa/van Lieshout

Schützen die EU-Staaten ihre Außengrenzen ausreichend? Sie haben das Schengen-Informations-System (SIS) erwähnt, mit dem zurückkehrende radikalisierte Kämpfer aufgespürt werden sollen. Wird das System von den Mitgliedsstaaten wirklich ausreichend gefüttert und genutzt?

Sie haben ja Recht, dass wir an den Außengrenzen viel systematischer vorgehen müssen. Die EU-Staats- und Regierungschefs haben das beschlossen, und die Gesetzgebung ist fast abgeschlossen. Man braucht juristische Regelungen, aber auch neue Ausrüstung. Alle Inseln in Griechenland müssen (an SIS) angeschlossen werden und Informationen austauschen. Einige EU-Staaten helfen Griechenland mittlerweile mit Ausrüstung - nicht nur wegen der Terrorverdächtigen, sondern auch wegen der Flüchtlinge. Da machen wir Fortschritte, aber das kann noch mehr werden und schneller gehen. Ich bin zuversichtlich, dass wir die Außengrenze in einigen Monaten wirklich zu 100 Prozent kontrollieren können.

Belgien: Leben nach dem Terror

04:44

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Viel ist in den letzten Tagen an Belgien kritisiert worden. Ist Belgien ein spezieller Fall?

Das würde ich nicht sagen. Alle erwähnen jetzt Molenbeek, aber der französische Minister hat selbst gesagt, es gibt eine Reihe von Molenbeeks in Frankreich. Übrigens wurde erst gestern in Frankreich jemand mit einem ganzen Arsenal an Waffen und Sprengstoff verhaftet. Das war ein Franzose. Wir müssen uns klar sein, dass dies eine weltweite Bedrohung ist. Es könnte auch in Deutschland passieren oder in Großbritannien. Es ist in der Türkei passiert, im Libanon, in Jordanien, in Ägypten. Also, Belgien ist da nicht allein.

Dauert, das, was die Europäer tun, nicht alles viel zu lange? Werden Sie ungeduldig? Wie viele "Weckrufe" braucht man denn noch?

Wir haben Fortschritte gemacht. Ich sage immer, Edgar Hoover hat 30 Jahre gebraucht, um das Federal Bureau of Investigation (FBI) aufzubauen. Bei uns ist die europäische Polizeibehörde Europol gerade seit vielleicht zehn Jahren mit Terrorabwehr beschäftigt. Aber es wird besser. Es liegt in der Hand der Mitgliedsstaaten. Wir werden mehr in Europol investieren, weil wir davon alle was haben. Zum Beispiel das Internet: Wenn das kleine Belgien alleine mit Facebook, Google oder anderen Internet-Giganten über Daten oder Entschlüsselung von Kommunikation spricht, wird es nicht viel erreichen. Wenn wir aber zusammen handeln, können wir viel mehr erreichen, um digitale Beweise zu sichern und Propaganda der Terroristen abzustellen.

Belgien und Frankreich versuchen fieberhaft, das aktuelle Terrornetzwerk zu zerstören. Wenn das geschafft ist, ist dann die Bedrohung auch vorbei?

Nein, leider nicht. Ich denke, je mehr militärischen Druck wir auf Daesh ("Islamischer Staat") in Syrien und Irak ausüben, desto mehr Terroranschläge wird Daesh im Westen zu verüben versuchen, und zwar vor allem in Europa. Die Terrororganisation will Erfolge vorzeigen, aber militärisch sind sie eben gerade in der Defensive. Das kann auch heißen, dass die Kämpfer, die aus Europa zu Daesh gegangen sind, früher nach Europa zurückkehren, als wir das eigentlich erwartet haben. Die Führung von Daesh könnte sich von Syrien nach Libyen bewegen. Die Bedrohung bleibt weiter in der Tat sehr hoch. Ich muss dazu sagen, dass sie Terror nie ganz zu 100 Prozent abstellen können. Wenn sich jemand im Zentrum von Berlin in die Luft sprengen will, dann können Sie ihn davon kaum abhalten. Das wäre sehr schwierig.

Gilles de Kerchove (59) ist seit 2007 Anti-Terror-Beauftragter der Europäischen Union. Der belgische Jurist bekleidete zuvor leitende Posten in der belgischen Regierung und in der EU-Kommission.

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