1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

De Maizière: "Wo bleibt die Mäßigung?"

23. Oktober 2019

Hass, Hetze, Drohungen. In den vergangenen Tagen wurden Politiker verbal attackiert, Veranstaltungen gestürmt. Politiker in Deutschland sorgen sich zunehmend um die Meinungsfreiheit.

Göttingen | Aktivisten verhindern Lesung von Thomas de Maizière
Thomas de Maizière - ausgebuht in GöttingenBild: picture-alliance/dpa/S. Rampfel

Aktivisten verhindern eine Lesung des ehemaligen Bundesministers Thomas de Maizière in Göttingen. Der Mitbegründer der AfD, Bernd Lucke, wird als Nazi-Schwein beleidigt und daran gehindert, eine Uni-Vorlesung zu halten. Und Christian Lindner, der FDP-Chef, darf erst gar nicht zu einer Uni-Veranstaltung erscheinen. Kurz vor der Landtagswahl in Thüringen häufen sich Morddrohungen gegen Politiker. Statt Dialog und demokratischer Auseinandersetzung gibt es Hetze, Hass und Drohungen.

Thomas de Maizière - ausgebuht in GöttingenBild: picture-alliance/dpa/S. Rampfel

Wider die Meinungsfreiheit

Montagabend vor dem Alten Rathaus in der Innenstadt von Göttingen. Der arrivierte CDU-Politiker und Ex-Minister Thomas de Maizière will aus seinem Buch "Regieren: Innenansichten der Politik" vorlesen. Ein Mob von antifaschistischen Linken hat sich vor der Tür versammelt und protestiert gegen den Auftritt - unangemeldet. Sie schreien Parolen wie "Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt". Weil Deutschland während de Maizières Amtszeit Waffen an die Türkei lieferte, machen sie den ehemaligen Verteidigungsminister mitverantwortlich und verhindern die Lesung. Die rund 300 Besucher werden nach Hause geschickt. Die Empörung geht quer durch alle demokratischen Parteien.

"Hau ab" hatten ihm hunderte Studenten entgegen gerufen: Mitte Oktober wollte der Volkswirtschaftler und Euro-Kritiker Bernd Lucke eine Vorlesung über das Thema Makroökonomik an der Universität von Hamburg halten. Es sollte sein Wiedereinstand in den Lehrbetrieb sein. Lucke hatte sich beurlauben lassen.

AfD-Mitgründer Lucke an der Uni Hamburg am 16.10.2019: unerwünscht und ausgebuhtBild: picture-alliance/dpa/M. Scholz

Der AfD-Mitbegründer und Wirtschaftswissenschaftler wurde von aufgebrachten Studenten darin gehindert, seine Vorlesung zu halten. Lucke hatte die rechtspopulistische Partei 2015 verlassen, weil er deren nationalkonservative Ausrichtung nicht mehr mittragen wollte. An diesem Mittwoch hatte Bernd Lucke erneut versucht, seine Vorlesung abzuhalten und wieder wurde sie von einem Dutzend linker Demonstranten gesprengt. 

Diskurs in Gefahr?

Christian Lindner, der Chef der FDP, ist empört darüber, dass er bei einer für November geplanten Veranstaltung an derselben Universität in Hamburg nicht reden darf. Lindner beschwerte sich bei der zuständigen Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) schriftlich. Der Brief liegt der Deutschen Welle vor. Darin schreibt der FDP-Politiker: "Ich fordere Sie auf, mit der universitären Selbstverwaltung das Gespräch zu suchen und dafür Sorge zu tragen, dass auch die Universität Hamburg wieder zum Ort des lebendigen politischen Meinungsaustauschs werden kann." Lindner erinnert daran, dass Meinungsfreiheit "konstituierend" für "unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung" sei. Die Uni-Verwaltung hat sich verteidigt und weist darauf hin, dass sie Räume für Veranstaltungen mit explizit parteipolitischer Ausrichtung nicht zur Verfügung stellen könne.

Kommunikationswissenschaftler Thomas Roessing warnt vor PanikmacheBild: Privat

Kommunikationswissenschaftler Thomas Roessing sieht die Meinungsfreiheit in Deutschland generell aber als nicht bedroht an. "Ablehnende Reaktionen" auf "abweichende" Äußerungen seien kein neues Phänomen: "Die Forschung (…) legt nahe, dass es solche Themen und solche Reaktionen in der Menschheitsgeschichte immer und überall gegeben hat." Es gebe derzeit "Umbrüche" in der Gesellschaft. "In den 1970er Jahren gab es nicht nur Morddrohungen gegen Personen des öffentlichen Lebens, einige wurden sogar ermordet", erinnert Thomas Roessing etwa an die Zeiten der Roten Armee Fraktion. 

Politik für demokratische Debatten

Die Freien Demokraten sind besorgt und hatten deshalb eine Aktuelle Stunde zum Thema "Meinungsfreiheit in Deutschland verteidigen" beantragt. Im Bundestag findet Wolfgang Kubicki, der stellvertretende Vorsitzende der FDP, deutliche Worte: "Die plurale Demokratie darf nicht hinnehmen, dass Meinungen niedergebrüllt werden." Die Vorkommnisse der vergangenen Tage seien keine "Lappalien" sondern würden eine "Verrohung" in der Debatte zeigen. Auch Thomas de Maizière meldete sich zu Wort. Er wolle, so sagte er, nicht als Betroffener sprechen, sondern an die erinnern, denen es ähnlich gegangen sei: Bürgermeister, Parlamentarier und die 300 Bürgerinnen und Bürger in Göttingen, die zu der Lesung gekommen waren, die nicht habe stattfinden können. "Ich bin keine Ausnahme", sagte de Maizière. Ihm gefalle auch so manche Äußerung von Politikern und Künstlern nicht. Aber Meinungsfreiheit sei eben nicht "schwarz-weiß", sie habe aber auch Grenzen. Zum Beispiel die Strafbarkeit von Äußerungen und "Hass und Hetze". Das sei politisch "unanständig".

Morddrohungen gegen CDU-Politiker Mike MohringBild: picture-alliance/dpa/M. Schutt

Am Sonntag wird im Bundesland Thüringen gewählt. Im Internet kursieren wieder einmal Drohungen, sogar Morddrohungen. Dem Spitzenkandidat der CDU, Mike Mohring, wird in einer Mail der "Kopfschuss" angekündigt, sollte er den Wahlkampf nicht einstellen. Das Haus des FDP-Spitzenkandidaten Thomas L. Kemmerich wird beschmiert. Und auch Grünen-Chef Robert Habeck wird mit Mord gedroht.

"Vor dem Computer ist es eben doch etwas einfacher, sich in einer Weise zu äußern, die im normalen Leben heftige Reaktionen hervorrufen würde", erklärt Kommunikationswisschenschaftler Thomas Roessing im DW-Interview. "Man muss nicht unmittelbar damit rechnen, bespuckt oder verprügelt zu werden."

Thomas de Maizière hatte zum Ende der Bundestagsdebatte noch einen Appell an alle Abgeordneten: "Ich wünsche mir mehr Mäßigung im Meinungstreit."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen