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Deadline für Freihandelsabkommen

26. September 2023

Paukenschlag in den Verhandlungen zwischen der EU und dem südamerikanischen Länderblock Mercosur. Der Präsident Paraguays macht Druck und setzt ein Ultimatum.

Argentinien | Flaggen der Mercosur-Länder
Die Flaggen der Mercosur-MitgliedsländerBild: Isac Nobrega/Palacio Planalto/dpa/picture alliance

Bis zum 6. Dezember dieses Jahres müssen die Handelsgespräche zwischen der Europäischen Union (EU) und dem Mercosur abgeschlossen sein, forderte Paraguays Präsident Santiago Pena am Montag in der Hauptstadt Asuncion. "Wenn es keinen Abschluss gibt, werde ich im nächsten Semester nicht weitermachen", sagte Pena.

Der Vorsitz im Handelsblock Mercosur, der für den südamerikanischen Binnenmarkt steht, rotiert jedes Halbjahr zwischen den derzeit vier aktiven Vollmitgliedern Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. (Venezuela, das fünfte Mitglied, ist derzeit suspendiert, die übrigen sieben Länder des Kontinents sind assoziierte Mitglieder).

Santiago Pena kurz nach seiner Wahl zum Präsidenten am 2. Mai 2023Bild: Jorge Saenz/AP Photo/picture alliance

Derzeit führt Brasilien die Geschäfte und übergibt sie am 6. Dezember an Paraguay. Dessen Präsident Pena sagte nun, wenn bis dahin keine Einigung erzielt sei, werde er sich auf Abkommen mit mit anderen Ländern konzentrieren, die weniger umständlich seien. Als Beispiele nannte er Singapur und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE).

Kein Kommentar aus Brüssel

Die EU-Kommission in Brüssel wollte Penas Äußerungen auf Anfrage der DW am Dienstag nicht kommentieren. "Wir arbeiten weiterhin auf Basis der auf Präsidialebene eingegangenen Verpflichtung, die Verhandlungen vor Jahresende abzuschließen", sagte der für Handel und Landwirtschaft zuständige Sprecher der EU-Kommission, Olof Gill.

Er verwies auf den "sehr konstruktiven Austausch am 14. September", als Vertreter beider Seiten im spanischen Santiago de Compostela zusammengekommen waren. "Ich hoffe, noch vor dem Wochenende den Termin für das nächste Treffen der Hauptverhandler bekanntgeben zu können."

Man könnte die offizielle EU-Position also übersetzen mit "Alles läuft wie geplant, kein Grund zur Aufregung".

"Hart, aber notwendig"

Dagegen scheint ein Vertreter der deutschen Regierungskoalition in Berlin fast dankbar zu sein für den Druck aus Paraguay. "Das Ultimatum des Präsidenten von Paraguay ist hart, aber notwendig", so Reinhard Houben, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im deutschen Bundestag auf Anfrage der DW. "Mehr als 20 Jahre müssen reichen, um ein Freihandelsabkommen zu verabschieden."

Tatsächlich begannen erste Gespräche über ein Freihandelsabkommen zwischen EU und Mercosur schon 1999. Lange passierte wenig, 2019 wurde dann eine "grundsätzliche Einigung" verkündet. Der ausgehandelte Vertragsentwurf scheiterte Anfang 2020 am Widerstand Österreichs und Frankreichs.

Belgische Kühe: Bald stärkere Konkurrenz durch Rinder aus Südamerika?Bild: Lucia Schulten/DW

In Europa sind es vor allem Länder mit einer großen Agrarproduktion, die das Abkommen kritisch sehen. Sie befürchten, dass europäische Landwirte durch die Konkurrenz in einen Preiskampf gezwungen werden und gleichzeitig in Südamerika noch mehr Regenwalt zerstört wird als ohnehin schon.

Der Versuch Paraguays, mit einem Ultimatum nun politischen Druck auszuüben, habe ihn nicht überrascht, sagt Pekka Pesonen, Generalsekretär der europäischen Bauern- und Genossenschaftsverbände.

"Das bestätigt uns nur in unserer Bewertung dieses Abkommens und seiner Auswirkungen für die Landwirtschaft. So wie es jetzt ist, ist das Abkommen inakzeptabel. Das betrifft den Marktzugang für einige landwirtschaftliche Rohstoffe, aber auch das Fehlen konkreter Zusagen für Klima und Nachhaltigkeit durch die Mercosur-Länder."

Die Zerstörung des Amazonas-Regenwalds ist auch bei den Verhandlungen ThemaBild: Imago Images

Streitpunkte und Kritik

Im Sommer dieses Jahres hatte die EU zusätzliche Forderungen gestellt, um den Umweltschutz und die Menschenrechte zu stärken - was in Südamerika auf Kritik stieß. Brasiliens Umweltministerin Marina Silva verwies auf die Erfolge der aktuellen Regierung unter Präsident Lula da Silva. So sei die Entwaldung des Amazonas allein in diesem Jahr um fast 50 Prozent reduziert worden. "Also sollte das Freihandelsabkommen jetzt unterzeichnet werden", sagte Silva Mitte September zur DW.

Ignacio Bartesaghi, Direktor des Instituts für internationale Wirtschaft der Katholischen Universität von Uruguay (UCU), sagt, ein Grundproblem bei den Verhandlungen sei die unterschiedliche Haltung zu Landwirtschaft und Industrie. "Der Mercosur ist in der Industrie sehr protektionistisch, die EU in der Landwirtschaft."

Er glaubt deshalb, Paraguays Präsident wolle mit seinem Ultimatum Druck auf beide Verhandlungsseiten ausüben. "In beiden Blöcken gibt es Kräfte, die gegen die Unterzeichnung des Abkommens sind." Dazu zählt Bartesaghi die Agrarlobby in Frankreich, aber auch Industrielobbyisten in Brasilien, die am liebsten bereits abgeschlossene Kapitel zum geistigen Eigentum und dem öffentlichen Beschaffungswesen neu verhandeln würden.

Auch die Umweltorganisation Greenpeace gehört zu den Gegnern des Abkommens in seiner jetzigen Form. "Anstatt ein Abkommen voranzutreiben, das wie gemacht ist für große Konzerne, sollten die EU und die Mercosur-Länder lieber überlegen, wie man es so einrichtet, dass Natur und Menschenrechte mehr zählen als die Zerstörung unseres Planeten für privaten Profit", so Lis Cunha von Greenpeace zur DW.

China, Russland und Südamerika

Javi Lopez, sozialdemokratischer Abgeordneter im EU-Parlament und dort Delegierter in der Parlamentarischen Versammlung Europa-Lateinamerika, betont dagegen die geopolitische Bedeutung. "Das Abkommen zwischen der EU und Mercosur wäre ein echter Game-Changer und würde die Beziehungen mit der Region stärken."

Javi Lopez während einer Plenarsitzung des Europäischen ParlamentsBild: European Union

Phil Hogan, bis 2020 Handelskommissar der EU, sieht das ähnlich. Die EU wolle sich "diversifizieren", um weniger abhängig zu sein von Ländern wie China oder Russland. "Wir sollten diese Gelegenheit nicht verpassen. Das ist ein Markt mit 270 Millionen Menschen, es wurde jahrelang verhandelt."

Die nun diskutierten Auflagen für den Schutz von Klima und Umwelt seien kein Grund, die Verhandlungen scheitern zu lassen. Er sei hoffnungsvoll, dass bis Jahresende ein Abkommen erreicht werden kann, so Hogan. "Ich denke, Europa braucht es und Südamerika braucht es auch."

Für den EU-Parlamentarier Lopez kommt ein Scheitern ebenfalls nicht in Frage. "Ich verstehe den Frust, dass nach 20 Jahren Verhandlungen noch immer kein Endergebnis erreicht wurde", sagte er der DW. "Hier geht es deshalb auch um die Verlässlichkeit der Europäischen Union als Verhandlerin internationaler Abkommen."

 

Mitarbeit: Finlay Duncan (Brüssel), Zura Karaulashvili (Berlin)

Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.
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