Debakel für Brasiliens Präsidentin Rousseff
18. April 2016Tumulte dominieren den Abstimmungsprozess in Brasilia. Abgeordnete brüllen durcheinander. Einige singen patriotische Lieder. Andere halten Spruchbanner hoch, auf denen sie die geplante Amtsenthebung von Brasiliens erster Staatschefin Dilma Rousseff als "Putsch" verurteilen.
Immer wieder branden Wortgefechte auf zwischen Gegnern und Anhängern von Rousseffs linker Arbeiterpartei (PT). Einzeln werden die Abgeordneten vom Präsidenten des Parlaments, Eduardo Cunha, der der Partei der demokratischen Bewegung (PMDB) angehört, vor dem Mikrofon zur Stimmabgabe aufgerufen.
Korruptions-Verdächtiger zählt die Stimmen
PT-Parlamentarier halten wild gestikulierend ein Banner hoch "Weg mit Cunha". Er, der das Verfahren gegen Rousseff federführend initiiert hat, steht selbst unter Verdacht, umgerechnet fünf Millionen Dollar Schmiergeld kassiert und auf Schweizer Konten deponiert zu haben.
Die Faust gereckt, Schärpen in Brasilien-Farben umgelegt, skandieren Rousseff-Gegner in das Mikrofon: "Ich stimme mit Ja." Mal wird die eigene Familie beschworen, der geliebte Sohn, mal der liebe Gott oder der Kampf gegen die Korruption und die Arbeiterpartei. Major Sérgio Olímpio Gomes brüllt drei Mal: "Dilma, geh jetzt."
Tiefe Spaltung zeigt sich
Die Abgeordnete Janete Capiberibe von der Sozialistischen Partei stimmt hingegen mit Nein. "Fora Cunha" (Weg mit Cunha) ruft sie voller Wut. Auch Parlamentarier wie Simone Morgado von der PMDB votieren mit Nein. Es gebe hier so viele, die ganz anderer Verbrechen schuldig seien, begründet sie ihre Entscheidung.
Als der sozialdemokratische Abgeordnete Bruno Araújo sein "Ja" verkündet, fallen ihm Kollegen um den Hals. Seine 342. Stimme ist diejenige, die die Zwei-Drittel-Mehrheit besiegelt. Lauter Jubel bricht im Parlament los, Plakate mit der Aufschrift "Tchau Querida" (Tschüss meine Liebe) werden hochgehalten. So hatte sich einst Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva von Rousseff in einem Telefonat verabschiedet, das abgehört und später publik wurde. Seither ist es der Schlachtruf der Opposition.
Nach mehr als neun Stunden Debatte und Abstimmung hat die wegen des Bruchs der einstigen Neun-Parteien-Koalition stark angewachsene Opposition 367 Ja- zu 137 Nein-Stimmen gesammelt.
Einfache Mehrheit des Senats erwartet
Es ist ein Debakel für Rousseff. Nach dem grünen Licht des Unterhauses wird sich nun der Senat voraussichtlich im Mai mit dem Fall befassen. Eine einfache Mehrheit im Oberhaus reicht aus, um das Amtsenthebungsverfahren in Gang zu bringen. Rousseffs Amtsführung würde dann zunächst für 180 Tage ausgesetzt. Würde sie suspendiert, könnte sie beispielsweise auch nicht die Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro am 5. August eröffnen.
Rousseffs einstiger Verbündeter und derzeitiger Erzfeind, Vizepräsident Michel Temer von der rechtsliberalen PMDB, übernähme dann die Amtsgeschäfte. Er will die Absetzung der Präsidentin erreichen und hatte die Koalition mit der Arbeiterpartei platzen lassen.
Juristische Prüfung
In dem 180-Tage-Zeitraum würden die Vorwürfe gegen Rousseff juristisch geprüft. Ihr wird vorgeworfen, in den Schmiergeldskandal um den staatlich kontrollierten Ölkonzern Petrobras verwickelt zu sein. Außerdem soll sie den Haushalt manipuliert haben, um 2014 ihre Wiederwahl zu sichern. Ferner wird sie für die schwerste Rezession seit Jahrzehnten in Brasilien verantwortlich gemacht.
Bis Oktober könnte der Senat die eigentlich bis 2018 gewählte Tochter eines bulgarischen Migranten dann mit Zwei-Drittel-Mehrheit endgültig absetzen.
se/rb (ap, dpa, afp, rtr)