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SportGlobal

Ski alpin: Muss man die Rennfahrer vor sich selbst schützen?

12. Februar 2025

Nach vielen schweren Stürzen und Verletzungen soll die Sicherheit im alpinen Ski-Weltcup verbessert werden. Diskutiert wird über Material, Streckenführung und die Eigenverantwortung der Fahrerinnen und Fahrer.

Skirennfahrer Dominik Paris bei der WM-Abfahrt
"Wenn man das letzte Risiko eingeht, muss man auch einsehen, dass Verletzungen passieren", sagt Top-Abfahrer Dominik Paris aus ItalienBild: Gabriele Facciotti/Pentaphoto/IPP/picture alliance

"Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist fünf nach zwölf", hat Markus Waldner bereits vor einigen Wochen gesagt. Der Chef-Renndirektor des Ski-Weltverbands FIS reagierte damit auf die Vielzahl heftiger Stürze im alpinen Ski-Weltcup und die zahlreichen, oft schweren Verletzungen, die es in diesem Winter schon gegeben hat. Bereits im Jahr zuvor war eine Debatte über die Sicherheit entbrannt.

Wegen ihrer Verletzungen mussten einige Top-Fahrerinnen und -Fahrer auf den Saisonhöhepunkt, die alpine Ski-WM, die noch bis zum Wochenende in Saalbach-Hinterglemm in Österreich läuft, verzichten. Besonders in den Speed-Disziplinen - Abfahrt und Super-G - waren ein paar der Besten nicht dabei.

Schwere Verletzungen bei Kilde, Sarrazin und Shiffrin

Mit Alexander Aamodt Kilde fällt einer der besten Abfahrer der Welt bereits seit Monaten aus. Der Norweger kämpft immer noch mit den Folgen seines Sturzes im vergangenen Winter. Bei der Abfahrt in Wengen kugelte er sich die Schulter aus und erlitt eine Schnittwunde in der Wade, bei der auch ein Nerv beschädigt wurde.

Cyprien Sarrazin schlug im Dezember beim Training vor der Abfahrt in Bormio bei einem Sturz heftig mit dem Kopf auf. Der Franzose erlitt eine Hirnblutung und lag einige Tage sogar im künstlichen Koma. Ob er jemals wieder Skirennen fahren kann, ist fraglich. Beim Abfahrtstraining der Frauen in Garmisch-Partenkirchen Ende Januar zog sich auch die Tschechin Tereza Nova eine schwere Kopfverletzung mit Hirnödem zu und liegt seitdem im Koma. Einen Tag später im Rennen verlor Nina Ortlieb aus Österreich die Gewalt über ihre Ski und brach sich Schien- und Wadenbein.

Cyprien Sarrazin verunglückt in Bormio schwer - es ist fraglich, ob er je wieder in den Ski-Weltcup zurückkehren kannBild: Alessandro Trovati/AP Photo/picture alliance

Hinzu kommen etliche weitere Ausfälle, bei denen sich die Gestürzten meistens schwere Knie- oder Unterschenkelverletzungen zuzogen. Bei Ex-Kombinations-Weltmeister Alexis Pinturault aus Frankreich riss beim Super-G in Kitzbühel der Meniskus, und das Schienbeinplateau brach. Der Deutsche Nicolas Schramm riss sich bei seinem Trainingssturz auf der Streif die Kreuzbänder in beiden Knien.

Auch Mikaela Shiffrin, derzeit die beste Skirennfahrerin der Welt, war in dieser Weltcup-Saison einige Wochen nicht dabei. Sie stürzte beim Riesenslalom in Killington, prallte gegen zwei Tore und rutschte in den Fangzaun. Dabei erlitt sie eine Stichwunde im Bauch, verursacht entweder durch ihren Skistock oder den Teil eines Tores.

Und auch die WM in Saalbach-Hinterglemm, auf einer eher leichten Abfahrtsstrecke, ging nicht ohne Verletzung ab. Die Österreicherin Ricarda Haaser stürzte und riss sich Kreuzband und Meniskus im rechten Knie.

Ausgereiztes Material

Viele sehen die Hauptverantwortung für die Häufung der schweren Stürze und Verletzungen im Material, das immer "aggressiver" wird: Skischuh, Bindung, Ski und die Kanten der Skier - alles ist im Zusammenspiel verantwortlich für die Kraftübertragung des Athleten auf die Piste.

Der Schweizer Marco Odermatt ist seit Jahren einer der risikofreudigsten und erfolgreichsten SkirennfahrerBild: Tobias Steinmaurer/APA/picture alliance

Das Material sei "extrem ausgereizt, vielleicht haben wir die Grenze schon überschritten", meinte FIS-Renndirektor Waldner kürzlich. Im Idealfall führt eine optimale Abstimmung zu Topspeed und Bestzeiten. Geht aber etwas schief, zum Beispiel weil der Fahrer verkantet oder eine Bodenwelle ihn aus dem Gleichgewicht bringt, hat er oft kaum noch Möglichkeiten, sich zu retten und abzufangen, weil das Tempo zu hoch und die Hebelwirkung zu stark ist.

Fehler der Athleten müssten "verzeihbar" sein, forderte Wolfgang Maier, der Alpindirektor im Deutschen Skiverband (DSV). Leider sei das aktuell nicht der Fall.

Umstrittene Carbon-Stutzen

Verstärkt wird die Kraftübertragung auf den Schnee noch durch Carbon-Stutzen, die seit einigen Jahren im Weltcup verwendet werden. Es handelt sich dabei um Socken aus festem Material, die kaum noch eine Bewegung des Fußes im Skischuh zulassen. Ursprünglich sollten sie Athleten nach Verletzungen mehr Schutz bieten, dann aber kamen einige Fahrer darauf, dass man sie auch zur Leistungssteigerung einsetzen kann.

Spitzenfahrer könnten damit "unglaubliche Linien fahren", sagte der österreichische Ex-Weltmeister Hannes Trinkl, der heute Rennleiter der FIS für die Abfahrtsrennen ist. Allerdings: "Mit so einem Setup bewegt man sich in Wirklichkeit jenseits von Gut und Böse", so Trinkl. Auch Cyprien Sarrazin trug bei seinem kapitalen Sturz in Bormio solche Carbon-Stutzen.

Abfahrts-Rennleiter Hannes Trinkl (l.) und FIS-Renndirektor Markus Waldner (r.) sind für die Sicherheit der Rennen verantwortlichBild: Johann Groder/EXPA/APA/picture alliance

Neben einer Debatte, ob man die Carbon-Stutzen zum Wohle der Fahrerinnen und Fahrer verbieten sollte, wird auch über die Rennanzüge diskutiert. Würden sie weniger eng am Körper anliegen, böten sie einen höheren Luftwiderstand und könnten das Tempo auf diese Art und Weise etwas drosseln.

"Es hilft gar nichts, das Material zu ändern", meinte dagegen US-Skistar Lindsey Vonn kurz vor Beginn der WM. "Wir Athleten finden immer einen Weg, noch schneller zu werden."

Das sieht auch Stefan Stuefner so. Der Internist aus Garmisch-Partenkirchen arbeitet während der dortigen Weltcup-Rennen als Notarzt im Rettungshubschrauber. "Der Athlet wird sicherlich nicht langsam fahren, sondern hat ja das Ziel, dass er der Schnellste ist", sagt er im Interview mit der DW. "Und daher ist es schon so, dass es nicht nur in der Verantwortung des Athleten liegt, dass er möglichst sicher hinunterkommt und bei einem Sturz möglichst ohne Verletzungen davonkommt."

Lindsey Vonn: "Setzt mehr Kurven!"

Für Vonn, die in ihrer langen Karriere schon viele schwere Verletzungen hatte, ist der Weg zu mehr Sicherheit simpel: "Die einfache Lösung ist, die Kurssetzungen zu ändern", sagte sie. "Vergrößert die Abstände zwischen Schwüngen um ein oder zwei Meter, setzt mehr Kurven! Das würde alles ändern."

Lindsey Vonn ist eine der Rennfahrerinnen, die viel am Material feilen, um die schnellste Zeit herauszuholenBild: Angelika Warmuth/dpa/picture alliance

Andere Spitzenfahrer möchten auf keinen Fall, dass an den Strecken etwas verändert wird, schließlich sollten die legendären Pisten ihren Reiz behalten und nicht für jedermann einfach zu befahren sein. "Die Eigenantwort ist das, was zählt. Wenn man das letzte Risiko eingeht, muss man auch einsehen, dass Verletzungen passieren", sagte Dominik Paris Mitte Januar in Wengen im Interview mit dem deutschen Fernsehen.

Der Italiener gewann 2019 die WM im Super-G und feierte bisher 22 Weltcupsiege in Speedrennen, darunter die Abfahrtsklassiker in Bormio, Kitzbühel und Garmisch-Partenkirchen. "Die Sicherheit an der Piste ist gegeben, und erste Hilfe ist sofort vor Ort", meint Paris. "Und logisch: Mit dem Risiko, das wir eingehen, wird es sicher schwierig, das noch sicherer zu machen. Oder wir machen einen Rückschritt."

Airbag: Ausnahme ist die Regel

Wie umstritten Veränderungen sein können, die das Verletzungsrisiko der Athleten minimieren sollen, zeigt das Beispiel des Airbags, einer Schutzweste für Brust und Rücken, die sich im Falle eines Sturzes automatisch aufbläst und so den Aufprall abfedern soll. Eigentlich ist das Tragen des Airbags seit dieser Saison Pflicht.

Allerdings ermöglichte die FIS Ausnahmen: Wer sich darin unwohl und in der Bewegungsfreiheit eingeschränkt fühlt, darf auf den Airbag verzichten. Rund 40 Fahrerinnen und Fahrer nutzten dieses Schlupfloch, sodass aktuell die Ausnahme fast die Regel ist.

Noch während der alpinen Ski-WM in Saalbach-Hinterglemm soll es einen Runden Tisch zum Thema Sicherheit geben, beim Weltcup-Finale Ende März in Sun Valley einen weiteren. Zur neuen Saison sollen dann Veränderungen eingeführt werden. Welche das sein werden, ist noch unklar. Wie sie dann von den Fahrerinnen und Fahrern angenommen werden, ebenso.

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