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Gesellschaft

Debatte um "Ehe für alle" geht weiter

1. Juli 2017

Der Bundestag hat zwar mit klarer Mehrheit die Ehe für homosexuelle Paare beschlossen, dennoch geht die Diskussion über das umstrittene Gesetz weiter. Es wird wohl vor dem Bundesverfassungsgericht landen.

Deutschland Regenbogenfahne vor dem Brandenburger Tor in Berlin
Bild: picture-alliance/ZUMA Wire/O. Messinger

Dieser Ansicht ist auch Unionsfraktionschef Volker Kauder: "Da bin ich mir sicher", sagte der CDU-Politiker der Nachrichtenagentur AFP. Im Verhalten der SPD, die zusammen mit Linken und Grünen gestimmt hatte, sieht der Unionspolitiker ein klares Zeichen für Rot-Rot-Grün.

Die Befürworter der neuen Regelung hätten eine breitere Debatte anstreben sollen, anstatt schnell "einen recht unausgegorenen Gesetzentwurf mal eben schnell aus dem Rechtsausschuss zu holen", kritisierte Kauder. "So wird in nächster Zeit die Frage, ob die Öffnung der Ehe wirklich verfassungsrechtlich zulässig ist, auch homosexuelle Partner verunsichern, die jetzt im Sinne des Gesetzes heiraten wollen. Wir haben einen unguten Schwebezustand."

"Aushöhlung des Grundgesetzes"

Kauder bekräftigte seine Auffassung, dass für die Öffnung der Ehe eine Änderung des Grundgesetzes nötig wäre. Das Gegenargument, dass die Ehe im Grundgesetz heute auch anders als nur zwischen Mann und Frau verstanden werden könne, nannte Kauder "nicht überzeugend". Er fügte hinzu: "Eine solche Interpretation des Grundgesetzes, wie sie auch der Bundesjustizminister vertritt, ist fast abenteuerlich. Die Ordnungsfunktion des Grundgesetzes wird ausgehöhlt."

Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-BundestagsfraktionBild: Getty Images/V. Hartmann

Kauder unterstrich seine Kritik an dem von der SPD vorangetriebenen Schnellverfahren im Bundestag. "Es wäre aus meiner Sicht auch angemessener gewesen, wenn sich der Bundestag für die Entscheidung weitere Zeit zur Beratung genommen hätte. Es ging um eine Frage, die sehr viele Menschen tief bewegt, nicht zuletzt, weil sie den persönlichen Glauben und Grundüberzeugungen berührt. Das Verfahren war dem Thema nicht würdig", so Kauder.

Wahlkampftaktik der SPD

Dem Partner SPD in der großen Koalition warf Kauder Unzuverlässigkeit vor. "Letztlich hat die SPD nur gezeigt, dass sie im Zweifel bereit ist, alle Verträge über Bord zu werfen und auch mit Grünen und Linken zu stimmen." Der CDU-Politiker wertete dies als "wichtigen Fingerzeig" auch für den Wahlkampf: "Die SPD braucht nun nicht mehr drum herumzureden. Jetzt ist klar geworden: Sie strebt eine rot-rot-grüne Koalition an. Das war deutlich zu sehen."

Grundsätzlich zufrieden zeigte sich Kauder mit dem Verlauf der weniger als einstündigen Diskussion im Bundestag. "Es ist gut, dass in der Debatte am Freitag überwiegend der Respekt vor der Ansicht des anderen geäußert wurde", sagte Kauder. "So sind wir auch in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion miteinander umgegangen."

Kritik übte Kauder zudem an der emotionalen Rede des SPD-Abgeordneten Johannes Kahrs sowie am Konfettiregen bei den Grünen: "Einige Töne aus der SPD, wie sie Herr Kahrs angeschlagen hat, und auch das Tischfeuerwerk der Grünen waren aber völlig fehl am Platze. Damit dient man nicht der gesellschaftlichen Befriedung." Kahrs hatte sichtlich erbost den jahrelangen Widerstand von Kanzlerin Angela Merkel gegen die Homoehe attackiert und unter anderem gesagt: "Frau Merkel: es war erbärmlich, es war peinlich."

Scharfe Attacke gegen Merkel: Johannes Kahrs von der SPDBild: picture-alliance/AP Photo/M. Schreiber

Den Ausführungen Kauders widersprechen zahlreiche deutsche Staatsrechtler. Sie halten die vom Bundestag beschlossene "Ehe für alle" für verfassungsgemäß. Christoph Degenhart, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Leipzig, sagte der "Rheinischen Post": "Ich könnte mir vorstellen, dass das Bundesverfassungsgericht pragmatische Lösungen sucht, um das Gesetz zu halten." Er sei nicht sicher, ob die Karlsruher Richter das Standvermögen hätten, sich dem neuen Gesetz in den Weg zu stellen.

Glaubt an "pragmatische Lösungen" des Bundesverfassungsgerichts: Staatsrechtler Christoph DegenhartBild: privat

Frauke Brosius-Gersdorf, Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Hannover, sagt: "Die Ehe für alle steht mit Artikel 6 in Einklang. Ich bin zuversichtlich, dass das hält." Da die Ehe nirgends definiert sei, habe der Gesetzgeber einen sehr großen Gestaltungsspielraum, sagte Brosius-Gersdorf. "Dass die Ehe auch zwischen zwei gleichgeschlechtlichen Partnern geschlossen werden kann, stand 1949 nicht zur Debatte. Es wurde damit aber auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen", so die Juristin.

Der Berliner Staatsrechtler Christoph Möllers sagt: "Es gibt im Grundgesetz sicherlich kein Diskriminierungsgebot." Entweder verstehe man den Ehe-Artikel entwicklungsoffen, oder er ist traditionell, dann gebietet er Schutz, aber deswegen keine Schlechterstellung anderer Zweierbeziehungen zwischen Personen."

Kritik aus der katholischen Kirche

Sorgen bereite der Bundestagsbeschluss führenden Vertretern der katholischen Kirche. Die Zustimmung von 75 Bundestagsabgeordneten der Union zur Öffnung der Ehe für schwule und lesbische Paare hat beim Erzbischof von Berlin, Heiner Koch, Fragen aufgeworfen. Er habe vor der Entscheidung im Bundestag mit vielen CDU-Politikern geredet, sagte Koch, der auch Familienbischof der Deutschen Bischofskonferenz ist, der "Passauer Neuen Presse". "Denen geht es mit ihrer Zustimmung um die Anerkennung verschiedener Gemeinschaftsformen. Da muss ich zur Kenntnis nehmen, dass unsere christliche Position, nicht verstanden worden ist."

Sorgt sich um christliche Werte: Berlins Erzbischof Heiner KochBild: DW/S. Dege

Weiter sagte Koch: "Was für mich bedrückend ist: Ich erhalte stapelweise Briefe von Menschen, die sagen, dass die AfD inzwischen die einzige Partei sei, die noch christliche Werte vertritt." Auf die Frage ob er ausschließe, dass es in der katholischen Kirche ähnlich wie in einigen evangelischen Gemeinden einen Segen für Ehen von Homosexuellen geben werde, antwortete der Erzbischof: "Wir werden alles unterlassen, was die Vermutung nahelegt, Verbindungen Homosexueller seien mit der Ehe gleich. Eine Segnung kommt deshalb nicht in Frage. Die Ehe ist für uns ein Sakrament, das der Schöpfungsordnung entspricht."

Irritation bei Koch

Die politische Debatte in den vergangenen Tagen habe er sehr aufmerksam verfolgt, sagte Koch. "Viele, die die Institution Ehe lange Zeit als lebensfeindlich und als Auslaufmodell bekämpft haben, sind mittlerweile zu glühenden Verfechtern der 'Ehe für alle' geworden. Das kann ich nicht nachvollziehen."

In der Oldenburger "Nordwest-Zeitung" betonte der Familienbischof, er wolle nicht in Abrede stellen, dass auch in schwulen und lesbischen Beziehungen konservative und christliche Werte gelebt würden. Auch dort gebe es zudem Treue und Verlässlichkeit. "Aber man soll bitte nicht alles in einen Pott werfen. Das Problem unserer Gesellschaft ist das Missverständnis, dass man Gleichwertigkeit schafft, indem Differenzierungen aufgehoben werden."

Zustimmung bei Homosexuellenorganisationen

Unterstützer der Homoehe in Europa haben den Beschluss des Bundestages hingegen begrüßt. Die europäische Vertretung des internationalen Dachverbands der Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- und Intersexorganisationen (ILGA) sprach von einem historischen Meilenstein mit Signalwirkung auf andere Länder. ILGA-Europe hat nach eigenen Angaben über 400 Mitgliedsorganisationen in 45 europäischen Ländern.

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström freut sich über das deutsche VotumBild: picture-alliance/dpa/J. Gavlak

Die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström sprach von "ausgezeichneten Nachrichten". Mit der Entscheidung werde Deutschland das zwölfte EU-Land, das gleichgeschlechtliche Ehen erlaube. "Wundervolle Nachrichten", schrieb auch der Vorsitzende der Liberalen im Europaparlament, Guy Verhofstadt, in dem Kurznachrichtendienst.

Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel, der selbst 2015 seinen langjährigen Lebenspartner geheiratet hatte,spricht von einem "guten Tag für Deutschland". "Herzlichen Glückwunsch für diese zwar selbstverständliche, aber mutige Entscheidung des deutschen Bundestags."

Beim liberalen Fußball-Club FC St. Pauli freut man sich über den Beschluss des Bundestags. In der üblichen St. Pauli-Manier geht man lässig mit dem Thema um: "Heirate doch, wen du willst", vermeldet der Fußball-Zweitligist auf Twitter.

cgn/gri (afp, kna)

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