Debatte um Prostitution: Was ist das "Nordische Modell"?
8. November 2025
Ist Deutschland wirklich der "Puff Europas"? Die deutsche Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) hat mit dieser Bezeichnung eine Debatte darüber wieder aufflammen lassen, wie das Land künftig mit Prostitution umgehen soll. In einer am Dienstag bei einer Preisverleihung verlesenen Laudatio hatte Klöckner die aktuelle Gesetzgebung in Deutschland kritisiert. Ihr zufolge würden Prostituierte nicht ausreichend geschützt. "Ich bin der festen Überzeugung: Wir müssen die Prostitution und den Sexkauf hierzulande endlich auch verbieten", erklärte Klöckner, und bekam umgehend Rückendeckung von ihrer Parteikollegin Nina Warken. "Deutschland braucht wie andere Länder auch ein strafbewehrtes Sexkaufverbot für Freier", sagte die Bundesgesundheitsministerin der "Rheinischen Post". "Prostituierte sollen straffrei bleiben und umfassende Ausstiegshilfen erhalten."
Wie ist die Gesetzgebung in Deutschland derzeit?
Nach derzeitiger Rechtslage ist Prostitution in Deutschland erlaubt. Durch das 2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz gilt Sexarbeit nicht mehr wie zuvor als "sittenwidrig", sondern als legale Dienstleistung. Damit haben Betroffene ein gesetzliches Recht auf die hierfür vereinbarte Bezahlung.
Im Jahr 2017 wurde zudem das Prostitutionsschutzgesetz verabschiedet, um die rechtliche und soziale Situation von Sexarbeitenden weiter zu verbessern. Personen, die in der Prostitution tätig sind, müssen ihre Tätigkeit bei den Behörden anmelden. Bordelle müssen ihren Betrieb genehmigen lassen. Dies geschieht nur, wenn bestimmte Mindestanforderungen an Sicherheit, Hygiene und Ausstattung erfüllt sind.
Welche Kritik gibt es an der derzeitigen Regelung?
Die Kriminalität ist mit der Legalisierung der Prostitution nicht eingedämmt worden, im Gegenteil: Insbesondere Menschenhandel und Zwangsprostitution haben laut der jährlich vom Bundeskriminalamt veröffentlichten "Bundeslagebilder Menschenhandel" zugenommen.
Insgesamt gibt es laut Statistischem Bundesamt 32.300 registrierte Sexarbeiterinnen in Deutschland, von denen allerdings nur 5600 deutsche Staatsangehörige sind (Stand Ende 2024). Jede dritte Prostituierte stammt demnach aus Rumänien (11.500), weitere 3400 aus Bulgarien. Allerdings gehen Fachleute von einer sehr hohen Dunkelziffer nicht angemeldeter Prostituierter aus. Die meisten Schätzungen schwanken zwischen 200.000 und 400.000 Betroffenen, einige Quellen sprechen sogar von bis zu einer Million.
Dabei sollen ausländische Frauen mit mangelnden Deutschkenntnissen den weitaus größten Anteil ausmachen. Weil sie kaum etwas über ihre Rechte wissen, erhalten sie so gut wie keinen Zugang zu bereits bestehenden Gesundheits- und Unterstützungsangeboten. Die weit überwiegende Mehrheit dieser Frauen prostituiert sich unfreiwillig - entweder aus Armutsgründen oder weil sie von Zuhältern dazu gezwungen werden.
Kritiker der derzeitigen Gesetzgebung monieren, dass die Legalisierung der Prostitution in Deutschland den Sexmarkt in Deutschland habe explodieren lassen: der Wettbewerb sei deutlich größer, die Preise deutlich niedriger geworden. Davon würden vermehrt auch solche Freier angezogen, die selbst vor sexuellem Missbrauch nicht Halt machten.
Was ist das Nordische Modell und wo wird es angewandt?
Vor diesem Hintergrund haben sich Julia Klöckner und Nina Warken für die Einführung des so genannten "Nordischen Modells" ausgesprochen. Die Debatte darüber, ob eine solche Regelung sinnvoll ist oder nicht, wird in Deutschland allerdings schon seit Jahren geführt.
Das "Nordische Modell" heißt so, weil es zuerst im Jahre 1999 in Schweden und 2009 auch in Norwegen eingeführt wurde. Später folgten unter anderem Island, Kanada, Frankreich, Irland und Israel. Das Modell verbietet den Kauf sexueller Dienstleistungen und deren organisierte Vermittlung, nicht aber deren direkten Verkauf. Damit kriminalisiert es die Freier und Zuhälter, während die Prostituierten straffrei bleiben. Gleichzeitig bietet es den Sexarbeitenden umfassende Unterstützung und Aussteigerprogramme an. Freiern drohen Geldstrafen, in Schweden im schlimmsten Fall sogar Gefängnisstrafen von bis zu einem Jahr. Norwegen verfolgt seine Staatsbürger darüber hinaus auch für den Kauf sexueller Dienstleistungen im Ausland.
Was spricht dafür, was dagegen?
Kritiker des Modells sehen (freiwillige) Prostitution meist als "normalen" Job: sie wollen die Rechte der Prostituierten dahingehend stärken, dass diese selbstbestimmt ihrer Arbeit nachgehen können. Zwangsprostitution glauben sie bekämpfen zu können, indem sie die Rechte der Betroffenen stärken. Sie wollen Sexarbeit entstigmatisieren und befürchten, dass sich bei einer Kriminalisierung des Sexkaufes die Prostitution tiefer in illegale und weniger geschützte Bereiche verschiebe, etwa in den digitalen Raum.
Dem halten die Befürworter des Modells entgegen, dass der größte Teil der Prostitution bereits jetzt im Verborgenen und damit in einer Art Parallelgesellschaft stattfinde. Prostituierte sollten nicht auch noch gesetzlich dafür bestraft werden, dass sie zur Sexarbeit gezwungen würden. Sie könnten sich durch eine Entkriminalisierung eher trauen, Freier bei der Polizei oder der Justiz anzuzeigen, weil sie dann ein verankertes Recht auf Schutz und Hilfe besäßen. Wenn sich Sexkäufer strafbar machten, würde dies zu einem Rückgang der Prostitution insgesamt führen.
Nicht umsonst sei in den Ländern, die das Nordische Modell eingeführt haben, sowohl die Zahl der Prostituierten als auch die der Freier mittlerweile deutlich gesunken. Eine erst vor kurzem veröffentlichte Studie der Universität Tübingen kommt zu dem Schluss, dass die Einführung des Modells "auch langfristig zu einer objektiv messbaren Reduzierung der Anzahl an Menschenhandelsopfern" beitrage.
Bundesverband: Gesetz allein reicht nicht
Allerdings reiche die bloße Einführung eines derartigen Gesetzes nicht aus, um die Situation von Zwangsprostituierten zu verbessern, warnt etwa der Bundesverband Nordisches Modell.
Es brauche eine Finanzierung umfassender Ausstiegshilfen und eine deutliche Stärkung der Opferrechte. Es müssten Mittel für eine ganzheitliche soziale Unterstützung bereitgestellt werden, durch die sich die Betroffenen auch eine eigene Wohnung, eine psychologische Versorgung und eine Ausbildung leisten könnten, so der Verband. Wichtig seien auch Gelder für Prävention und Aufklärung sowie eine konsequente Strafverfolgung von Zuhälterei und Menschenhandel, um den Markt für Prostitution insgesamt zu verkleinern.