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PolitikAsien

Decoding China: Offensive im Südchinesischen Meer

15. Dezember 2023

Als aufsteigende Macht tritt China auf der internationalen Bühne zuweilen aggressiv auf. Experten glauben, dass Peking damit seinen eigenen Zielen schadet.

Südchinesischen Meer | Chinas Küstenwache attackiert Philipinische Boote mit Wasserwerfern
Zwischenfall zwischen der chinesischen Küstenwache und den philippinischen Schiffen (Quelle: Philippine Coast Guard via AP)Bild: (Philippine Coast Guard/AP/picture alliance

"Die Philippinen müssen sich der Risiken bewusst sein, wenn sie die Rolle spielen, die die USA ihnen zugeteilt haben", titelte Anfang Dezember die englischsprachige China Daily und sprach damit den Philippinen eigene Interessen ab.

Der Stein des Anstoßes für den Leitartikel war das Südchinesische Meer. Dort streiten die Philippinen und China mit wachsender Intensität über Riffe und Sandbänke und über die sich daraus ergebenden Hoheitsansprüche. Insbesondere rund um Scarborough-Riff, auf Chinesisch Huangyan, kam es in den letzten Wochen zu Konfrontationen mit Wasserkanonen und Kollisionen. Anfang November hatte die Regierung in Manila den Rücktritt von Chinas Imageprojekt, der Seidenstraßeninitiative, verkündet.

"Stellvertreter der USA"

In diesem Leitartikel schilderte die China Daily, die der zentralen Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei Chinas untersteht, dass die Philippinen keine eigenen Interessen hätten und eine von den USA abhängige Politik vertreten würden. Die Regierung in Washington täusche das Streben nach einer "regelbasierten Ordnung" im asiatisch-pazifischen Raum nur vor. "Dabei sind die USA selbst die größte Bedrohung für Frieden und Stabilität in der Region. Sie suchen Stellvertreter in der Region, um Unruhe zu stiften. Und die Philippinen geben sich dafür her."

Auf dem Twitter Account der Global Times (GT), der englischsprachigen Tageszeitung unter Kontrolle der kommunistischen Partei, wird eine Karikatur veröffentlicht, die die Philippinen als Opfer der USA zeigt. Die GT fragt auch, ob der philippinische Botschafter in den USA seinen Verstand verloren hat. Bild: globaltimesnews/Twitter

Im September 2023 warnte  Chinas Außenminister Wang Yi zum wiederholten Mal den Staatenverband südostasiatischer Nationen ASEAN davor, "Bauern" im geopolitischen Schachspiel zu werden, wie die South China Morning Post berichtete.

Ähnliche Äußerungen waren schon im März 2022 auf der jährlichen Pressekonferenz des Nationalen Volkskongresses zu hören. China und ASEAN müssten die Stabilität in der asien-pazifischen Region hüten, so Wang 2022. Die Forderung nach Frieden, Stabilität und Wohlstand sei der gemeinsame Wunsch. "Der asiatisch-pazifische Raum ist kein 'Schachbrett' für den Wettbewerb zwischen Großmächten. Die ASEAN-Länder sind keine 'Schachfigur' im geopolitischen Spiel, sondern wichtige 'Spieler' für Wachstum und Prosperität."

Die ASEAN ist ein Staatenbund von zehn südostasiatischen Staaten und vertritt knapp 700 Millionen Menschen. Die Philippinen waren Gründungsmitglied.

Wiederholt China die Fehler der USA?

Die Schlagzeile der China Daily ist kein Einzelfall. China will die USA aus dem Indopazifik hinausdrängen bzw. den eigenen Einfluss ausdehnen. Dabei treten chinesische Diplomaten, aber vor allem die Staatspresse mit immer aggressiveren Tönen auf. Allerdings stehe diese Art des Auftretens in einem Spannungsverhältnis zum angestrebten Ziel der Außenpolitik, sagt Collin Koh, Senior Fellow des Instituts für Verteidigung und strategische Studien der S. Rajarantam School of International Studies in Singapur, im Gespräch mit der DW.

"China will sich von anderen westlichen Großmächten wie den USA abgrenzen, indem es sagt: 'Wir streben gemeinsame Gewinne an, keine Hegemonie.'" China wolle eine "wohltätige Großmacht" sein. Abgesehen von dieser Selbstinszenierung verhalte sich China wie jede andere Großmacht. "Sie berücksichtigen die Interessen kleinerer Länder, wenn diese mit ihren Interessen übereinstimmen. Wenn sie ihren Interessen entgegengesetzt sind, dann passiert das, was den Philippinen gerade passiert."

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China gegen USA, USA gegen China

China hat in den letzten Jahrzehnten seinen außenpolitischen Stil verändert. Das vielzitierte Diktum des Reformpolitikers Deng Xiaoping Ende der 1970-er Jahre, "die Stärken zu verstecken und auf den richtigen Zeitpunkt zu warten", ist längst Geschichte. Xi Jinping, der seit 2013 Staatspräsident ist, steht für eine ganz andere Außenpolitik. Er kann sie sich auch deswegen leisten, weil China derzeit die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ist.

Unter anderem während der US-Präsidentschaft unter Donald Trump (2017-2021) und in Reaktion auf dessen konfrontative Wirtschaftspolitik habe China neue Akzente in der Außenpolitik gesetzt, sagt Koh: "Aufgrund der Verschlechterung der Beziehungen zu den USA hat China begonnen, außenpolitische Fragen in gewisser Weise aus der Perspektive seiner Beziehungen zu den USA zu betrachten und zu gestalten." Gleiches gelte übrigens auch für die USA, die ihre Präsenz in Südostasien häufig im Kontext des Wettbewerbs mit China dächten.

"Der hässliche Chinese?"

China wiederhole die gleichen Fehler, die die USA im 20. Jahrhundert in Südostasien gemacht hatten, schrieb Charles Dunst, Forscher am Center for Strategic and International Studies im Politmagazin "Foreign Policy" bereits 2020.

In seinem Beitrag erinnert er an den 1958 erschienen Roman "Der hässliche Amerikaner" von Eugene Burdick und William Lederer. Der sprichwörtlich gewordene Titel beschrieb das arrogante und unsensible Auftreten der USA in Südostasien. "China handelt heute dort auf die gleiche Art und Weise", so Dunst.

Politikwissenschaftler Koh bemerkt, dass die USA viele Jahre gebraucht hätten, um die regionalen und lokalen Empfindlichkeiten in Südostasien zu verstehen.

Gemeinsame Übung der Luftwaffe zwischen den USA und den PhilippinenBild: PHILIPPINE AIR FORCE/AP/dpa//picture alliance

Washington komme jetzt mit abweichenden Positionen der ASEAN-Staaten klar und wolle seine Position nicht immer durchsetzen. In einem demokratischen System seien andere Meinungen erlaubt, sachliche Diskussionen erwünscht. China handele anders, beharre in Verhandlungen mit Südostasien auf eigenen Positionen. Im autokratisch regierten China gehe es darum, den Willen der Zentralorgane der Kommunistischen Partei zu exekutieren, auch beim Umgang mit anderen souveränen Staaten.

Wolfskrieger-Diplomatie

Der neue Stil hat einen Namen: Wolfskrieger-Diplomatie, benannt nach dem Actionfilm und Kassenschlager "Wolf Warrior" vom Regisseur und Schauspieler Wu Jing. Die Wolfskrieger-Diplomaten sind nationalistische Auslandsvertreter, die mitunter aggressiv auftreten. Es kam mehrfach vor, dass sie andere Staaten als "Vasallen", "Marionetten" oder "Handlanger der USA" bezeichneten. Koh hält diese Art der Diplomatie für kontraproduktiv: "Es entfremdet deine Freunde und schafft eine negative Wahrnehmung von China."

Nach Koh habe inzwischen auch Teile der Kommunistischen Partei das Risiko erkannt. Allerdings sei die Umsteuerung bisher weitgehend erfolglos, denn die scharfe Polemik der vergangenen Jahre habe nicht nur in die Außenpolitik, sondern auch in den Staatsapparat und die Medien gewirkt und damit letztlich auch in die Bevölkerung. "Die jüngeren Chinesen von heute werden keine Regierung tolerieren, die in der Außenpolitik nachgibt, einfach weil sie in einer Zeit geboren sind, in der sie China als starkes Land sehen."  Der Leitartikel der China Daily passt damit ins Bild, denn die junge Leserschaft in China will genau diese Position lesen.

"Decoding China" ist eine DW-Serie, die chinesische Positionen und Argumentationen zu aktuellen internationalen Themen aus der deutschen und europäischen Perspektive kritisch einordnet.

 

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