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PolitikChina

Decoding China: In diplomatischer Grauzone mit dem Vatikan

Yu Hao
30. August 2024

Seit 2018 ernennen der Vatikan und Peking im wechselseitigen Einvernehmen die Bischöfe in China, wie diese Woche den Bischof für die Diözese der Hafenstadt Tianjin. Das Abkommen soll nun verlängert werden.

Symbolbild | China - Vatikan | Verlängerung Abkommen zur Ernennung von Bischöfen
Bild: Greg Baker/AFP/Getty Images

Nach amtlichen Angaben leben circa sechs Millionen Katholiken in China. Sie gehören der "Patriotischen Katholischen Kirche" an, die unter staatlicher Aufsicht steht und die Autorität des Vatikans nicht anerkennt. Die reale Anzahl der Katholiken dürfte aber doppelt so hoch sein. Schätzungsweise weitere sechs Millionen stehen loyal zum Papst und zählen zur sogenannten Untergrundkirche.

Dabei geht es um mehr als um Glaubensangelegenheiten. Denn der Vatikan ist der einzige Staat in Europa, der die Regierung in Peking nicht als legitime Regierung Chinas anerkennt und diplomatische Beziehungen mit der Republik China auf Taiwan unterhält.

Papst Franziskus im VatikanBild: Yara Nardi/REUTERS

Die regierende Kommunistische Partei in Peking dagegen kontrolliert alle religiösen Gruppen in China - von der Finanzierung bis hin zur Berufung der Geistlichen. Inwiefern kann China also einen Glauben zulassen, zu dessen Kern auch der Papst als Stellvertreter Gottes auf Erden zählt und der als Oberhaupt des Vatikans einen Staat vertritt, auf den die Kommunistische Partei keinen Einfluss hat?

Geheimabkommen regeln den Umgang

Um Auswege aus dieser komplizierten Situation zu finden, sucht der Vatikan Gesprächskanäle zu China. Eine zentrales Thema ist dabei die Bischofsweihe. China wehrte sich bisher gegen die Ernennung durch den Papst. Aus Pekings Sicht käme das einem Verlust der Souveränität und einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Volksrepublik gleich. 

2018 haben China und der Vatikan ein Übereikommen zur Einsetzung von Bischöfen erreicht. Im Rahmen einer "provisorischen" Einigung, wie beide Seiten diese nennen, werden Bischöfe geweiht, die vom Vatikan und Peking anerkannt sind. Es handele sich dabei nicht um ein politisches, sondern ein pastorales Abkommen, betonte der damalige Papstsprecher Greg Burke im Jahr 2018. Wie das Verfahren aussieht ist der Öffentlichkeit nicht bekannt. Die Vereinbarung, die jeweils 2020 und 2022 verlängert wurde, wird geheim gehalten.

Am Dienstag (27.08.24) begrüßte der Heilige Stuhl "mit Zufriedenheit" die zivilrechtliche Anerkennung des Bischofs Melchior Shi Hongzhen in der Millionenhafenstadt Tianjin. "Diese Maßnahme ist ein positives Ergebnis des seit Jahren bestehenden Dialogs zwischen dem Heiligen Stuhl und der chinesischen Regierung", hieß es vom Vatikan.

Ex-Kardinal Zen: "Papst soll China-Kurs überdenken"

01:18

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In der katholischen Kirche selbst ist dieses Abkommen allerdings umstritten. "Ich hoffe, dass der Papst das Ganze erstmal stoppt und noch einmal überdenkt", sagte der emeritierte Hongkonger Kardinal Joseph Zen 2018 im DW-Interview. Die ehemalige britische Kolonie Hongkong genießt aufgrund der völkerrechtlichen Vereinbarung zwischen China und Großbritannien einen Sonderstatus. Das Bistum von Hongkong ist unabhängig von der Kirchenstruktur auf dem Festland. Der Kardinal in der chinesischen Sonderverwaltungszone wird direkt vom Vatikan ernannt.

(Archiv) Der deutsche Papst Benedikt XVI. ernannte 2006 Joseph Zen zum Kardinal für das Bistum HongkongBild: Maurizio Brambatti/epa/ansa/dpa/picture-alliance

Papst Franziskus opfere die Interessen der Kirche, um die Beziehung mit Peking zu verbessern, klagt ein Parlamentarier eines europäischen Landes, der lange Jahre im Vatikan gearbeitet hatte. "Aus Sicht des Vatikans kann die Verbesserung so viel kosten, wie es wolle", sagt der Politiker im DW-Interview, der anonym bleiben will.

Der vatikanische Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, Chefdiplomat des Heiligen Stuhls, hat jüngst immer wieder freundliche Signale nach Peking gesendet. "Wenn die Chinesen offen wären, würde der Papst auch sofort nach China reisen", so Parolin vor Journalisten im Mai auf dem Kongress "100 Jahre Konzil von Shanghai" in der Päpstlichen Universität Urbaniana. "Ich habe nicht den Eindruck, dass bisher die Voraussetzungen für die Verwirklichung dieses Wunsches des Papstes gegeben sind", fügte er hinzu.

Der Jesuit Matteo Ricci (links) mit seinem ersten Konvertiten in China - Bild aus einem chinesischem Manuskript des Jesuiten um das Jahr 1667Bild: Hulton Archive/Getty Images

Annäherung und Entfremdung seit vielen Jahrhunderten

Der Machtkampf zwischen Kirche und Staat ist in China nicht neu. Seit Beginn der katholischen Missionierung im Reich der Mitte im 13. Jahrhundert hatten die päpstlichen Gesandten immer mit der einheimischen Tradition zu kämpfen.

Sehr erfolgreich war der Orden der Jesuiten, dem auch Papst Franziskus angehört. Im 16. Jahrhundert brachten die Jesuiten neben dem katholischen Glauben auch modernes Wissen aus der Naturwissenschaft nach Fernost. Der Kölner Jesuit Adam Schall von Bell zum Beispiel schaffte es bis an den chinesischen Kaiserhof. Er zeichnete mit chinesischen Wissenschaftlern die Sternbilder und erstellte den Kalender für den Kaiser. Später wurde er Mandarin der ersten Klasse und gehörte damit zu den ranghöchsten zivilen Beamten am Kaiserhof.

Der Kölner Adam Schall von Bell: Missionar, Astronom und Mandarin erster Klasse in ChinaBild: picture alliance/akg-images

In China konnten fortan katholische Kirchen gebaut werden. Mit päpstlicher Zustimmung durften die zum Christentum bekehrten Chinesen ihre eigenen Riten behalten, zum Beispiel die Verehrung des Konfuzius. Die Christen engagierten sich auch in der Außenpolitik. Unter ihrer Vermittlung kam 1689 eine völkerrechtliche Einigung über den Grenzverlauf zwischen China und Russland zustande. Der Vertrag zwischen dem chinesischen Kaiser und dem russischen Zaren wurde in Latein verfasst wurde, der Amtssprache des Vatikans.

Allerdings war die katholische Kirche, genauso wie heute, uneins über den angemessenen Umgang mit China. Andere Orden, wie die Franziskaner und die Dominikaner, stellten sich später gegen die sogenannte Akkommodation, also die Anpassung an chinesische Traditionen. Daraufhin verbot Papst Clemens XI. 1704 einheimische Riten in China und Indien. Dies wurde 1742 von Papst Benedikt XIV. mit der Bulle "Ex quo singulari", einem päpstlichen Rechtsakt, bestätigt.

Die Folge: die Qing-Kaiser als Herrscher der letzten Dynastie in China verboten das Christentum. Die Geistlichen durften zwar bleiben. Das Missionieren war ihnen aber nicht gestattet. Erst 1939 stellte Papst Pius XII. im Dekret "Plane Compertum" klar, dass einige Riten "zivile Signifikanz der Pietät gegenüber den Vorfahren oder der Liebe zum Vaterland" aufweisen.

Eine katholische Kirche in Peking um 1880Bild: picture alliance/akg-images

Taipeh bangt Beziehung zum Verbündeten

Zuletzt wandte sich 2007 der deutsche Papst Benedikt XVI. in einem Brief an die "Bischöfe, die Priester, die Personen des gottgeweihten Lebens und an die gläubigen Laien der katholischen Kirche" in China und bekräftigte seine Position in Bezug auf die Bischofsweihe: "Wenn der Papst den apostolischen Auftrag zur Weihe eines Bischofs erteilt, übt er seine höchste geistliche Autorität aus - eine Autorität und ein Handeln, welche streng im religiösen Bereich angesiedelt bleiben. Es geht hier also nicht um eine politische Autorität, die sich unrechtmäßigerweise in die inneren Angelegenheiten eines Staates einmischen und seine Souveränität verletzen würde."

(Archiv) Taiwans Vizepräsident Chen Chien-jen (2.v.l.) neben dem deutschen Kardinal Rainer Maria Wölki (3.v.l.) auf der Trauerfeier des deutschen Papstes Benedikt XVI. am 04.01.2023Bild: Antonio Calanni/ASSOCIATED PRESS/picture alliance

Als Verbündeter des Vatikan bangt Taiwan um die Zukunft der diplomatischen Beziehungen. Die Inselrepublik wird von Festlandchina isoliert. Aufgrund der Pekinger Ein-China-Politik erkennen nur noch zwölf Länder der Welt, meistens kleine Staaten im Pazifik, der Karibik und Afrika, die Republik China auf Taiwan an.

"Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Vatikan Taiwan irgendwann verraten würde, wenn er mit Peking offizielle Beziehungen aufnehmen will", sagt ein Diplomat in Taiwan, der seinen Namen nicht veröffentlich wissen will, in recht undiplomatisch klarem Ton. Der Heilige Stuhl mache in letzter Zeit Kompromisse - einen nach dem anderen. Es sehe so aus, als wäre Peking noch nicht zu einem Entschluss gekommen. Die Entscheider hinter der roten Mauer befürchteten soziale Instabilität und eine Parallelgesellschaft, wenn die katholische Untergrundkirche offiziell anerkannt werde.

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Quo vadis?- Schattenspiele zwischen China und dem Vatikan

Einige Insider im Vatikan glauben nicht, dass der Vatikan zu "schwach" gegenüber China auftrete. "Von außen mag es so aussehen, als würde die Kirche in Grundsatzfragen Kompromisse eingehen. Aber das ist nicht ganz richtig", sagt Piero Schiavazzi, Vatikankenner und Professor an der italienischen Link-Universität in Rom. "Die Aufnahme Chinas in die katholische Welt wird von enormer Bedeutung sein. Ich glaube, die Frage ist eher 'wann' als 'wo' der nächste Schritt erfolgen wird."

Papst Franziskus spreche gerne in seiner Muttersprache Spanisch von der schnellen Aufnahme: "Rapidación". "Ich glaube, dass der entscheidende Schritt die Ernennung eines Bischofs aus der chinesischen patriotischen Kirche zum Kardinal sein wird." Dieser wäre dann berechtigt, den Papst zu wählen. "Die Kirche weiß sehr wohl, dass dies das Risiko mit sich bringt, einen Mann im Konklave zu haben, der auch der Regierung in Peking treu ist. Aber es wäre nicht das erste Mal in der tausendjährigen Geschichte der Kirche. Man denke zum Beispiel an andere wahlberechtigte Kardinäle, die in der Vergangenheit Monarchen und Kaisern sehr nahestanden."

Zwischen dem Vatikan und Peking sei ein Schattenspiel im Gange. Chinas Präsident Xi Jinping sei der Master. "Aber Papst Franziskus als ein großer Fan von Caravaggio ist auch ein Experte für Licht und Schatten", sagt Schiavazzi in der Kunstsprache. Michelangelo Merisi da Caravaggio (1571-1610) war der bekannteste italienische Maler in der Barockzeit. Er gilt als "Magier des Lichts" auf Leinwänden. Sein großflächiges Gemälde "Grablegung Christi" wird zum Beispiel in der Vatikanischen Pinakothek ausgestellt.

Der Vatikan ist nach Ansicht von Staatssekretär Parolin sehr optimistisch, dass das Abkommen zur Einsetzung von Bischöfen Ende des Jahres verlängert werde. "Es handelt sich um einen Ausgangspunkt. Es hat eine wichtige Umsetzung in konkreten Fällen gefunden. Die bisher verzeichneten positiven Entwicklungen geben uns Hoffnung, dass weitere und größere folgen werden", sagt Chefdiplomat Parolin, der als Architekt des Abkommens gilt.

Chefdiplomat Kardinal Pietro ParolinBild: Evandro Inetti/ZUMA Press/picture alliance

"Decoding China" ist eine DW-Serie, die chinesische Positionen und Argumentationen zu aktuellen internationalen Themen aus der deutschen und europäischen Perspektive kritisch einordnet.

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