Warum DeepSeek die KI-Welt und die Börse schockt
28. Januar 2025Auslöser der Kursverluste bei Tech-Aktien war die Frage, ob China bei künstlicher Intelligenz (KI) einen Durchbruch erzielt hat - und was das für die vielen Milliarden Dollar bedeutet, die US-Firmen bereits in die Technologie investiert haben.
Besonders betroffen war die Aktie von Nvidia. Das Unternehmen stellt auf KI spezialisierte Computerchips her. Nvidia-Aktien verloren am Montag 17 Prozent, der Börsenwert des Unternehmens gab um 600 Milliarden US-Dollar nach. Es war der größte Tagesverlust eines Unternehmens an der Wall Street.
Auch der Softwarehersteller Microsoft und Meta, die Mutter von Social-Media-Plattformen wie Facebook und Instagram, gaben an der Börse nach, wenn auch weniger stark. Beide Firmen investieren viel Geld in die Entwicklung von KI.
Die chinesische Firma DeepSeek hatte in der vergangenen Woche ihr neuestes KI-Modell vorgestellt. Nach Unternehmensangaben kann es mit ChatGTP mithalten, dem Produkt des führenden US-Anbieters OpenAI, obwohl die Chinesen für die Entwicklung weit weniger Geld ausgegeben und auch viel weniger der teuren Nvidia-Chips verwendet haben.
ChatGTP und die Konkurrenz von DeepSeek sind sogenannte Chat-Bots oder Assistenten, mit denen sich User unterhalten können. Sie basieren auf großen Sprachmodellen (engl. LLM - Large Language Models), bei denen riesige Mengen an Daten verarbeitet werden - weshalb leistungsfähige Chips benötigt werden, um die Modelle zu trainieren.
Anders als der Firmenname vermuten lässt, hält die US-Firma OpenAI die genaue Funktionsweise von ChatGTP geheim. Der Code der chinesische Konkurrenz dagegen ist öffentlich zugänglich (Open Source), und DeepSeek hat im Detail erläutert, wie es sein Modell mit einem Budget entwickelt hat, das nur einen kleinen Bruchteil dessen beträgt, was US-amerikanische KI-Firmen für dieselbe Leistung aufwenden müssen.
All das hat bei Anlegern Zweifel am KI-Boom im Silicon Valley geweckt. In den vergangenen zwei Jahren sind die Aktien der US-Firmen in die Höhe geschosssen, weil viele Anleger auf das Wachstumspotenzial von KI gesetzt haben.
Die DeepSeek-App hat den Konkurrenten ChatGTP bei den Download-Zahlen inzwischen überholt und ist nun die beliebteste kostenlose Anwendung im App-Store von Apple.
DeepSeeks tiefe Wirkung
Die Leistung und Beliebtheit der App und die Angaben zur Entwicklung des OpenSource Modells haben die KI-Community überrascht und den ohnehin schwankungsanfälligen Markt für solche Tech-Aktien ins Trudeln gebracht.
Schon im vergangenen Jahr gab es hier viele dramatische Kursbewegungen. Analysten haben aber keinen Zweifel daran, dass die aktuellen Turbulenzen DeepSeek geschuldet sind.
Schließlich erschüttern die Angaben, die DeepSeek zu seinem R1 genannten Modell gemacht hat, grundlegende Annahmen über die Entwicklung von KI-Modellen.
Und sie zeigen, dass China zunehmend in der Lage ist, mit den USA im Bereich der KI zu konkurrieren.
DeepSeek sei bei KI Spitzenreiter in China, und insgesamt schließe das Land bei KI schnell zu den USA auf, sagt Angela Zhang zur DW. Sie ist Jura-Professorin an der University of Southern California und Autorin eines Buches über die chinesische Tech-Industrie ("High Wire: How China Regulates Big Tech and Governs Its Economy").
"Es gibt mindestens vier chinesische Firmen, die behaupten, KI-Modelle trainiert zu haben, die es mit der US-Konkurrenz im Silicon Valley aufnehmen können", sagt Zhang. "Es geht bei DeepSeek also nicht um eine Ausnahme, sondern vielmehr um ein Beispiel für die gesamte KI-Industrie in China."
Echter Erfolg, offene Fragen zu chinesischer KI
Richard Windsor, Tech-Analyst und Gründer des britischen Forschungsunternehmens Radio Free Mobile, hat keinen Zweifel daran, dass das Modell von DeepSeek so fortschrittlich ist, wie das Unternehmen behauptet.
"Es ist echt. Wenn sie es nicht vollständig als Open Source veröffentlicht hätten, gäbe es weit mehr Zweifel an seiner Leistung. Aber sie haben es veröffentlicht und es kann mit bestehenden Benchmarks gemessen werden", so Windsor zur DW.
US-Konkurrent OpenAI, der die neueste Version seines ChatGTP im Dezember veröffentlicht hat, gibt dagegen keine technischen Details zur Entwicklung bekannt.
Dann ist da auch noch die Tatsache, dass DeepSeek den Durchbruch erreichen konnte, obwohl Washington Nvidia die Ausfuhren seiner modernsten Chips nach China verboten hatte. So behauptet DeepSeek, sein Modell nur mit Nvidia-Chips vom Typ H800 entwickelt zu haben und nicht mit den momentan leistungsstärksten Chips vom Typ H100.
Laut Zhang haben die Exportbeschränkungen für chinesische Unternehmen zwar eine "sehr schwierige Zeit" bedeutet. Sie hätten eben aber auch "Anreize für Innovationen" in China geschaffen.
Richard Windsor bezweifelt allerdings die Angaben von DeepSeek zu den Entwicklungskosten. Die Firma behauptet, insgesamt nur etwas mehr als 2.000 Nvidia H800-Chips verwendet zu haben. Die Kosten hätten sich deshalb auf nur 5,6 Millionen Dollar (5,24 Millionen Euro) belaufen, um das aktuelle Modell zu trainieren. "Das ist der Grund für die ganze Aufregung", so Windsor. "Das ist mehr als 95 Prozent billiger als OpenAI".
Für ihn sei allerdings "zweifelhaft", wie sich die Zahl von 5,6 Millionen zusammensetze. Denn es sei nicht klar, welche Unterstützung das Unternehmen von der chinesischen Regierung erhalten habe. Dazu könnten Stromkosten, Gehälter oder auch die Trainingskosten von KI-Modellen zählen.
Interessant sei auch, dass das Veröffentlichungsdatum der Details zum neuesten Modell von DeepSeek auf den Tag der Amtseinführung von Donald Trump gefallen sei. Dies lasse auf eine gewisse politische Motivation seitens der chinesischen Regierung schließen, so Analyst Windsor.
Liang Wenfeng, der Mann hinter DeepSeek, ist in China inzwischen eine Art Nationalheld. Vergangene Woche war er der einzige KI-Chef, der mit anderen Unternehmern zu einem Treffen mit dem chinesischen Premier Li Qiang eingeladen wurde.
Woher kommt DeepSeek?
Hervorgegangen ist DeepSeek aus einem Hedgefonds mit dem Namen High Flyer. Dieser wurde 2016 von Liang Wenfeng gegründet. Einer seiner Ableger beschäftigte sich mit Algorithmen für künstlicher Intelligenz und wurde 2023 zu DeepSeek umbenannt.
Angela Zhang sieht einen wesentlichen Teil des Erfolgs von DeepSeek in der Tatsache, dass Liang nicht "kommerziell getrieben" zu sein scheint. "DeepSeek zeigt die Fähigkeiten chinesischer KI-Firmen. Es zeigt aber auch, dass in China unter bestimmten Umständen eine immense Innovationsfähigkeit möglich ist." Voraussetzung sei ein exzellentes Team, das von jemandem geführt werde, der eine große Vision habe, so Zhang.
Die Juristin und Buchautorin geht nicht davon aus, dass DeepSeek enge Verbindungen zum chinesischen Staat unterhält. "Echte Innovationskraft kommt in China aus dem dynamischen Privatsektor und nicht aus dem staatlichen Sektor", sagt sie. "Wenn der Staat etwas finanziert, gehe ich fast davon aus, dass es scheitern wird. Aber DeepSeek ist jetzt natürlich auf dem Radar der chinesischen Regierung, angesichts seines immensen, unglaublichen Erfolgs."
Der Durchbruch des Unternehmens im Bereich der künstlichen Intelligenz deutet daraufhin, dass ein neuer globaler KI-Gigant entstehen könnte.
Der Technologie-Analyst Richard Windsor sieht derzeit vor allem große Unsicherheit darüber, wie sich die Entwicklung von DeepSeek auf den Markt auswirken werden. Seiner Meinung nach könnten andere Firmen nun versuchen, die Methoden von DeepSeek nachzuahmen. Sollte ihnen das gelingen, könnte es günstiger werden, KI-Systeme zu trainieren.
"Die Frage ist dann, ob die Anzahl der trainierten KI-Systeme plötzlich massiv ansteigt, weil es jetzt viel billiger ist, sie zu trainieren - und ob alle den Bedarf an Rechenzentren überschätzt haben." All das deutet auf weitere Umwälzungen im KI-Sektor hin.
Diese Umbrüche werden wiederum erheblich Einfluss auf Firmenbewertungen und Anleger haben. Erst vor wenigen Tagen hatte US-Präsident Donald Trump eine Firmenallianz vorgestellt, die Milliarden in den Aufbau neuer Rechenzentren investieren will.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert