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Die Katastrophe ist nicht vorbei

Gero Schließ20. April 2015

Vor fünf Jahren explodierte die Ölplattform "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko. Der Ölmulti BP streitet ab, dass es Langzeitschäden gibt. Gero Schließ hat bei den Menschen im Mississippi-Delta nachgefragt.

Golf von Mexiko: Die Öl- Katastrophe Deepwater Horizon (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images

"Sie haben die Schweinerei angerichtet, jetzt sollen sie auch so lange dableiben, bis es beendet ist!" In Wayne Keller kocht die Wut über den Betreiber BP hoch, als er am Strand von Grand Isle am Ende des Mississippi-Deltas wieder mehrere Ölklumpen findet.

Der tief gebräunte Mann ist in der kleinen Gemeinde Grand Isle seit mehr als 15 Jahren Direktor der Port Commission und zuständig für Wirtschaft, Handel und Tourismus. In dieser Zeit hat er sieben schwere Hurrikane erlebt. Doch das Unglück auf der Ölplattform Deepwater Horizon war selbst für ihn kaum zu ertragen: Eine Explosion, 13 Arbeiter kamen ums Leben und Millionen Barrel von Öl ergossen sich nicht weit von der Küste des US-Bundesstaates Louisiana ins Meer.

Grand Isle, das Fischerei- und Ferienparadies, traf es besonders hart. Das Meer war schwarz, die Luft beißend, und für die geschockten Bewohner sah es so aus, als würden BP und seine Aufräumtrupps das Kommando im Ort übernehmen.

Wayne Keller...Bild: DW/G. Schließ

Bleibt das Öl am Meeresboden?

Fünf Jahre später wirkt Grand Isle beschaulich und aufgeräumt wie eh und je. Doch so ist es nicht: "Auch wenn BP sagt, dass die Strände sauber sind, stimmt das ganz offensichtlich nicht", sagt Keller. Die Angst ist groß bei den Menschen in Grand Isle, dass das Öl mithilfe von Chemikalien lediglich "auf den Boden versenkt" wurde - und dass die von Sand und Schlamm zugedeckten Ölteppiche jederzeit von Unwettern wieder an die Oberfläche gespült werden können.

Fünf Jahre nach dem Unglück hat BP eine Studie vorgelegt, mit der das Unternehmen belegen will, dass für die Natur und das Ökosystem keine bleibenden Schäden eingetreten sind. Die Menschen in Grand Isle hören das und glauben es doch nicht - genauso wie die Wissenschaftler der "National Wildlife Federation". Sie legen in einer eigenen Studie dar, dass die Tierwelt des Meers auch heute noch schwer in Mitleidenschaft gezogen ist: Neben der hohen Sterblichkeit bei Delphinen, See-Schildkröten und Pelikanen seien insgesamt 20 Spezies betroffen.

...und sein Fund am Strand von Grand Isle, LouisianaBild: DW/G. Schließ

Die Universität von Alabama hat - ebenfalls zum fünften Jahrestag - nachzuweisen versucht, dass die mehr als 48.000 Menschen, die beim Säubern der Strände und des Wassers geholfen haben, unter Langzeitschäden leiden, verursacht durch die eingesetzten Chemikalien.

Atemwegsprobleme und Depressionen

Der Streit ist nicht akademisch, denn vor einem US-Bundesgericht ist immer noch ein Verfahren gegen BP anhängig. Und vom Ausmaß der festgestellten Schäden hängt ab, wie hoch die Strafzahlung von BP ausfällt. Der Staatsanwalt fordert 13,7 Milliarden Dollar, BP will aber nur bis zu 2,3 Milliarden Dollar zahlen.

"Ich hatte nie Asthma, ich hatte nie Atemprobleme", erzählt der Fischer Ernest Cheramie, der 30 Meilen entfernt von Grand Isle in Golden Meadow lebt. "Seit der Ölkatastrophe, bei der ich die Chemikalien eingeatmet habe, bereitet mir das Atmen Schwierigkeiten.“ Auch seine Frau leide darunter. Aber noch schlimmer sei, dass sie psychisch krank geworden sei. Früher fuhr sie immer mit auf dem Boot raus. Doch heute gibt es keine Aufgabe mehr für sie.

56 Kisten Shrimps - das war einmal: Ernest Cheramie, Fischer in LouisianaBild: DW/G. Schließ

Auch Richard Naquin berichtet von Krankheiten. Der 73-Jährige half bei den wochenlangen Aufräumarbeiten. Heute leidet er an Lungenkrebs. Er musste sein Boot verkaufen und arbeitet heute im familiären Handwerksbetrieb mit. Psychisch ist das eine Bürde, sagt er.

Zukunftsangst

Glenn Morris von der Universität Florida sieht in den psychischen Erkrankungen die schlimmsten gesundheitlichen Langzeitfolgen für die Menschen rund um den Golf von Mexiko. Gemeinsam mit drei anderen amerikanischen Universitäten erfasst und dokumentiert er seit der Ölkatastrophe vor fünf Jahren die Krankheitsfälle: "Wir haben einen hohen Grad an psychischen Erkrankungen festgestellt", sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle. 40 Prozent der Bevölkerung hätten damals chronische Depressionen und Angstzustände gehabt, das sei vier mal soviel wie sonst. "Fünf Jahre danach sehen wir, dass immer noch 20 Prozent der Bevölkerung an Depressionen leiden."

Auslöser sei weniger das Öl selbst als vielmehr die Zukunftsangst und die Unsicherheit. Noch immer streiten die Menschen hier mit BP über die Entschädigung für finanzielle Verluste, noch immer herrscht Unsicherheit über die eigenen Lebens- und Berufsperspektiven. "Das Gesundheitssystem in den USA ist fragmentiert", gesteht Morris ganz offen zu. Es gab weder die entsprechenden Fachkräfte noch das nötige Geld, um mit den psychischen Problemen zurecht zu kommen. "Heute gibt es die Wahrnehmung, dass alles vorbei ist und dass man nach vorne schauen sollte", kritisiert Morris. Es sei nicht klar, ob es bei der Regierung die Sensibilität und den Willen gebe, sich der massiven Nöte der Menschen anzunehmen.

Half bei den Aufräumarbeiten - und leidet heute an Lungenkrebs: Richard Naquin, 73Bild: DW/G. Schließ

Kaum noch Krabben

Ernest Cheramie hat sein Boot nach der Ölkatastrophe verloren. Es gab einfach nichts zu fischen. Und ohne Einnahmen konnte er den Unterhalt für das Boot nicht bezahlen. Heute hat er wieder eines, doch es sei sehr hart, wirtschaftlich zu überleben. Früher hat er in einer Nacht 56 Kisten Shrimps gefischt, heute sind es gerade mal zehn. Und Krabben gibt es so wenige, dass er es gar nicht erst versucht. Er hat damals von BP eine einmalige Zahlung von 96.000 Dollar bekommen, soviel verlor er ungefähr im ersten Jahr nach der Katastrophe. Doch jetzt muss er alleine über die Runden kommen, und noch, so sagt er es, gebe es viel zu wenig Shrimps- und Krabbenbestände im Golf, um davon leben zu können. "BP müsste an uns eine jährliche Ausgleichszahlung leisten, bis wieder genug Fische da sind", fordert er. Seine Söhne sollten eigentlich einmal das Geschäft übernehmen, doch für Cheramie ist das nicht mehr realistisch: Er müsse das Boot später einmal verkaufen, um davon im Alter leben zu können.

Von der Fischerei auf den Tourismus umsteigen und Besucher aus aller Welt durch die Gegend schiffen? Davon hält Cheramie nicht viel - außerdem spreche dagegen, dass er Lizenzen erwerben und Gebühren bezahlen müsse.

2013 besuchte die DW die Austernfischer in Louisiana - und nahm dieses Foto auf. Nicht auszuschließen, dass es viele in der Region noch immer so sehenBild: DW/C.Bergmann

Immerhin: Die Touristen kommen

Nach Grand Isle zumindest sind die Touristen wieder zurückgekehrt. Dorla Pitre, die seit acht Jahren für das Bridge Side Motel am Ortsanfang arbeitet, sagt sogar, es habe nie einen Einbruch gegeben. Im Gegenteil: Neue Hotels haben aufgemacht, zuletzt das Hurricane Whole mit einer hervorragenden Küche. Und auch die populären Fisch-Rodeos gibt es weiterhin, zu denen mehr als 25.000 Menschen für ein Wochenende in den kleinen Ort kommen.

Doch die Angst bleibt bei den Menschen hier. Die Angst, dass eines Tages nicht nur Ölklumpen, sondern wieder ganze Ölteppiche an den Strand gespült werden. Was dann passiert, will sich hier keiner so genau ausmalen.

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